“Alte Dame“ aus dem Ellenfeld wird 113 – happy birthday, Borussia!

Geburtshelfer aus einem Frankenthaler Internat / Viel Spott und Kritik am Anfang: „Gesundheitsschädliche Fastnachtsnarrenkluft“ und „nacktbeinige Kerle“! / Ein paar Erinnerungen an die Gründerzeit

Unser Bild: Training in den Gründerjahren – junge Borussen vor den Übungseinheiten hinter dem Lämmerhof auf den Drexler´schen Wiesen. (Foto aus: Mythos Ellenfeld. 100 Jahre Borussia Neunkirchen).

Von Jo Frisch

Borussia hat Geburtstag! Heute, am 24. Juli, auf den Tag genau vor 113 Jahren gründeten Neunkircher Jungs den Fußball-Club Borussia 1905. Der Zusatz „VfB“ kam erst 1907 hinzu, als sich die Borussen mit zwei weiteren Fußballgemeinschaften vereinigten: Mit der ebenfalls im Sommer 1905 gegründeten Fußballriege des Turnvereins 1860 und der Turn- und Spielvereinigung am Realgymnasium. Seitdem trägt der Club aus dem am Ostersonntag 1912 erstmals als Spielstätte genutzten Ellenfeld den stolzen Namen „Borussia, Verein für Bewegungsspiele e.V.“ – ein Name, mit dem auf die geplante Erweiterung des Sportprogramms Bezug genommen wurde.

In der Gründungszeit waren die Fußballer mit ihrer Begeisterung für die aus dem Mutterland England auf den Kontinent überschwappenden „Fußlümmelei“ keineswegs unumstritten. Das war auch in Neunkirchen nicht anders, wo ein Kommunaldelegierter (Arzt) die sportgerechte Kleidung mit zünftigen Fußballstiefeln, wie sie den international anerkannten Regeln des Int. Football-Board entsprach, in einem öffentlichen Flugblatt als „gesundheitsschädliche Fastnachtsnarrenkluft“ bezeichnete. Dabei war es anno dazumal noch gar nicht so einfach, an diese „Fastnachtsnarrenkluft“ heranzukommen. Alles, was zum Fußballspiel gehörte, musste bei dem einzigen deutschen Sportartikelgeschäft A. Seidel in Berlin bestellt werden, das die Waren direkt aus England bezog. Die Gründer des FC Borussia wählten in der Tat einen recht bunten Dress: Einen schwarz und rot geviertelten Sweater, blaue Kniehose mit breitem, rotem Generalstreifen, schwarz-rot geringelte Strümpfe und eine in denselben Farben geringelte Kappe. Der Mannschaftskapitän trug, entsprechend der Würde seines Amtes, eine breite Schärpe in den Vereinsfarben. Erst mit der Vereinigung zum „VfB“ 1907 fand ein Wechsel der Vereinsfarben statt: Die neue Gemeinschaft entschied sich für Schwarz und Weiß, schuf zudem das heute allgemein bekannte Borussia-Wappen, konstruiert nach den Gesetzen des Goldenen Schnittes. Die Spielkleidung der Vereinigung war zunächst ganz weiß, dazu kam aber bald ein breiter schwarzer Brustring. So entstand der eigentliche Traditionsdress, der lange Zeit das äußere Wahrzeichen der wachsenden Tradition darstellte und die Borussen bei ihren ersten Erfolgen (von 1907 bis 1912 von der C-Klasse in die Liga!) kleidete.

Wer waren nun die Gründer der Borussia? Borussen-Chronist Albrecht Menzel weiß zu erzählen, dass Fußball um die Jahrhundertwende zunächst noch „in systemloser Weise mit Anklängen an Rugby betrieben wurde. Meines Wissens wurde zum ersten Mal am hiesigen Realgymnasium unter der Leitung des damaligen Oberlehrers Trösken nach den Associationsregeln im Jahrre 1902/03 gespielt.“ Menzel verließ, wie viele seiner Klassenkameraden, Ostern 1904 die Anstalt und besuchte das Real-Gymnasium in Frankenthal, wo bereits ein Fußballverein existierte. „Der Besuch der Wettspiele dieses Vereins ließ“, so Menzel weiter, „in mir den Gedanken reifen: Wenn du nach Hause kommst, dann werden sich schon gleichgesinnte Seelen finden, mit denen du einen Fußballverein gründen kannst.“ Gesagt, getan. Als der junge Albrecht Menzel am 5. Juli 1905 ins Saarland kam, vereinbarte er mit Reinhold Wilhelmy, der schon vorher in Kreuznach gespielt hatte, die Gründung eines Clubs. Noch am selben Abend wurde eine Handvoll weiterer Interessenten für die Sache gewonnen. In der Wirtschaft „Zu den drei Kaisern“ (später: „Cafe Bübchen“) fand am 24. Juli 1905 die Gründungsversammlung statt. Als Trainingsplätze wurden der Schlackenplatz an der Königsstraße und die Lindenallee gewählt, die Wettspiele dort „erregten mächtig viel Gelächter und Spott“, heißt es in Albrecht Menzels Chronik. Das erste Spiel am 12. November 1905 gegen den SC Saar 05 Saarbrücken fand auf der Drexler´schen Wiese auf dem Lämmerhof statt. Eine 200köpfige Zuschauermenge sah sich das Treiben der „nacktbeinigen Kerle“ an. Borussias Aufstellung im ersten Spiel: Albert Werner – Otto Fried, Ludwig Walter, Robert Sommer, Reinhold Wilhelmy, Otto Wilhelmy, Richard Rimbach, Ludwig Reich, Julius Sperling, Fritz Hilbert, Robert Anschütz. Borussia verlor 0:10 – kein Wunder, hatte doch außer Reinhold Wilhelmy noch kein Borusse jemals in einem Wettspiel gestanden! Aller anfänglichen Skepsis zum Trotz wuchs die Zahl der Mitglieder stark an, 1912 und 1913 gründete Borussia als erster Fußballverein des Saargaues Tennis- und Hockeyabteilungen.

So manche Anekdote ist aus der Anfangszeit überliefert. So wie die von einer Kuh, die im Herbst 1905 beim Spiel auf den Saarwiesen gegen den TV Burbach (später Sportfreunde Saarbrücken) just in dem Moment unbemerkt herangekommen war, als ein Borussen-Angriff in den gegnerischen Strafraum eindrang. „Der Regitz Louis“, so berichtet Chronist und Mitspieler Otto Fried, „schoss das Rindvieh an. Pfiff des Schiedsrichters, das Rindvieh wurde verjagt, und der Schiedsrichter gab Elfmeter wegen der Kuh. Dieser Elfer ergab das 3:3-Endergebnis. Die Burbacher Turner hatten gegen diese originelle Entscheidung nicht das Geringste einzuwenden. Wir aber lachten uns ins Fäustchen.“ Im Jahre 1907, als die Gymasial-Sportvereinigung gerade in Borussia VfB aufgegangen war, wurde dem talentierten Paul Bachmann ausgerechnet für das Spiel gegen den Meisterkandidaten VfR Mannheim aus schulischen Gründen von Direktor Wernicke die Fußballerlaubnis entzogen, was damals laut Schulgesetz erlaubt war, um das Lernen nicht durch übertriebene Sportbeteiligung zu beeinträchtigen und zu erforderlichen guten Schulleistungen anzureizen. Alle Bemühungen, den Schulleiter angesichts der Bedeutung des Spiels umzustimmen, waren zum Scheitern verurteilt. Also klebte sich Paul Bachmann einen mächtigen Schnurrbart unter die Nase und trat als der tags zuvor in der Tagespresse angekündigte Neuzugang Maubad aus Berlin an. Sein Pech nur, dass er schon nach fünf Minuten bei einem harten Zweikampf die eine Schnurrbarthälfte verlor. Der Schwindel flog auf. Zumindest auf dem Platz. Wie die Sache ausging? Tagsdrauf musste Paul einen deutschen und einen französischen Aufsatz abliefern. Die älteren saßen bis ein Uhr nachts bei ihm und halfen – echter Teamspirit, auch außerhalb des Platzes! Im Mündlichen gab er sich ebenfalls große Mühe. Auch glaubte Bachmann nicht, dass die Lehrerschaft etwas von seiner Maskerade und Spielteilnahme erfahren haben könnte. Und so wagte er denn nach einiger Zeit, Schuldirektor Wernicke um Erlaubnis zur Wiederaufnahme seiner Spieltätigkeit bei Borussia zu bitten. Streng blickte der Schulleiter seinem Primaner Bachmann in die Augen: „Genehmigt, Herr Maubach. Aber ohne Schnurrbart, bitte!“ Dem jungen Borussen blieb die Spucke weg …

Die Anfänge der Borussen-Geschichte sind ausführlich und sehr anschaulich geschildert in der im Juni 2005 unter der redaktionellen Leitung von Michael Kipp herausgegebenen Buch zum 100jährigen Bestehen: „Mythos Ellenfeld – 100 Jahre Borussia Neunkirchen.“

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