Heute vor 55 Jahren: Borussia imponiert in Köln

Ein ganz besonderes Spiel in der Bundesliga-Historie der Borussia: Der amtierende deutschen Meister am Rande einer Niederlage / Überragender Paul Pidancet brachte die Borussen früh in Führung / Kölner Routine am Ende ausschlaggebend

Unser Bild: Kaum zu stoppen war in Müngersdorf Paul Pidancet (re.), der hier allein vor Toni Schumacher (li.) eine gute Chance zum 4:4-Ausgleich liegen lässt, der Kölner Torwart kann den Schuss noch abwehren. (Foto: 90 Minuten – mit Ferdi Hartung in die Bundesliga)

Den 5. September 1964 und das Spiel beim 1. FC Köln hat Paul Pidancet bis heute nicht vergessen. Der frühere Bundesligaspieler der Borussia, der am kommenden Sonntag seinen 82. Geburtstag feiert, war heute vor 55 Jahren einer der auffälligsten Spieler im alten Müngersdorfer Stadion. Schon beim ersten Angriff düpierte der Offensivspieler des Aufsteigers aus dem Saarland die Abwehr des amtierenden deutschen Meisters und packte mit seinem Tor zur 1:0-Führung den „Geißbock“ ordentlich bei den Hörnern. „Wir haben von Beginn an frisch und fröhlich aufgespielt, die Kölner mit unserer Angriffslust überrascht. Die haben uns total unterschätzt. Lange Zeit waren wir vorne, ehe wir dann dem Gegner in der zweiten Halbzeit ins Messer gelaufen sind. Da hat dann doch die Kölner Routine eine Rolle gespielt“, erinnert sich Paul Pidancet.

Im Gegensatz zu den weiten Reisen nach Hamburg oder Berlin („Da sind wir von Frankfurt aus geflogen“, so Paul Pidancet) waren die Borussen ins Rheinland am Spieltag mit dem Bus gefahren und hatten die Reisemüdigkeit ganz schnell aus den Kleidern geschüttelt. Denn schon nach drei Minuten stand es durch die Treffer von Pidancet und Elmar May gegen völlig überrumpelte Kölner 2:0. „Es war, als ob ein Roboter aus Eisen und Stahl in eine Konzertharfe greift“, bemüht die Saarbrücker Zeitung (SZ) einen angemessenen Vergleich. Die Überlegenheit der Borussen spiegelte sich auch in einem geradezu sensationellen Eckballverhältnis von 7:1 nach nur fünf Spielminuten – was den Unmut der 25.000 Kölner Fans gefährlich aufbrühen ließ! „Schrille Pfeifkonzerte umgaben den deutschen Fußballmeister“, berichtet die SZ. Daran änderte auch der Anschlusstreffer durch Mittelstürmer Christian Müller (8.) wenig, denn das beantwortete Borussias Erwin Glod postwendend mit dem 3:1 (9.), als Kölns Keeper Toni Schumacher mit den Gedanken ganz woanders schien und Glods Schuss zur Überraschung aller passieren ließ. Borussia war wieder mit zwei Toren vorne. 1:3 nach noch nicht einmal zehn Minuten – was für ein Spektakel! Wolfgang Overath brachte den „Eff Zeh“ nach 25 Minuten wieder heran, dabei schien der Kölner Mittelfeldspieler ob der fehlenden Anspielmöglichkeiten zunächst reichlich ratlos, ehe er sich mangels Alternate zu einem Flachschuss entschied, mit dem er Borussias Keeper Horst Kirsch sichtlich überraschte.

Immer wieder Toni Schumacher: Hier kommt der Kölner Torhüter mit der linken Faust gerade noch so vor Borussias „blondem Engel“ Elmar MAy an das Leder. (Foto: 90 Minuten – mit Ferdi Hartung un die Bundesliga)

Die Truppe von Trainer „Schorsch“-Knöpfle zog sich nach der Halbzeit so langsam über den Kampf aus dem Dilemma heraus. Jetzt wurde auch der 54er-Weltmeister Hans Schäfer aktiver. Zudem erwies sich der vor Saisonbeginn von Saar 05 an den Rhein gewechselte Hannes Löhr zunehmend als echte Verstärkung. Seine Flanke nahm Christian Müller auf der rechten Seite aus spitzem Winkel volley, jagte das Leder an die Unterkante der Latte, von wo aus es ins Netz spritzte – ein Tor, das die FC-Fans von den Sitzen riss (61.). Beim entscheidenden Treffer zum 4:3 nur ein paar Minuten später jedoch ließ sich Schiedsrichter Kurt Tschenscher aus Mannheim überlisten und sah gleich über mehrere Regelwidrigkeiten hinweg: Borussias Erich Leist war, den Ball deckend, von Christian Müller rücklings angegangen worden und mit dem Kölner Stürmer zu Boden gestürzt. Was dann passierte, liest sich im Archiv der SZ wie folgt: „Wie ein Jäger kniend blieb Müller über dem gefällten Leist. Der Ball war zur Strafraummitte abgefälscht worden. Overath schob ihn zu Müller, der immer noch Leist am Boden festhielt und nicht gerade sanft mit Fäusten und Schuhen bearbeitete, zurück. Hurtig sprang der Kölner Torjäger auf und jagte den Ball aufs Tor. Wieder reagierte Kirsch zu spät.“ Gleich doppeltes Pech für die Borussia unmittelbar nach dem 4:3: „Leist blieb verletzt liegen. Er wurde dann hinter dem Tor gepflegt, kam wieder, hob die Hand zum Zeichen der Wiederkehr, ging humpelnd auf den rechten Flügel, wurde angespielt, drang in den Strafraum ein – und wurde abgepfiffen. Schiedsrichter Tschenscher monierte, Leist habe sich nicht zurückgemeldet“, heißt es in der SZ – eine klare Ausgleichschance wurde Borussia genommen! Fast hätten die Borussen durch den unermüdlichen Paul Pidancet, der zwischen allen Mannschaftsteilen hin- und herpendelte und ein Laufpensum wie ein Marathonläufer absolvierte, doch noch den Ausgleich erzielt, aber sein scharfer Schuss strich knapp am Tor vorbei.

3:4 nach packendem Kampf – Borussia hatte trotz der unglücklichen Niederlage beim amtierenden Meister bewiesen, dass sie in der Bundesliga angekommen war. Über weite Strecken, zumindest in der ersten Halbzeit, „konnte man nicht erkennen, wer hier der amtierende Meister und wer der Aufsteiger aus der südwestdeutschen Fußballprovinz war“, schreiben Paul Burgard und Ludwig Linsmayer in ihrer Spielrückschau in Ferdi Hartungs Bundesliga-Fotobuch. In Müngersdorf holten sich die Schützlinge von Trainer Horst Buhtz auf jeden Fall eine Menge Selbstvertrauen, mit dem es eine Woche später gelang, beim 3:1 gegen Uwe Seelers Hamburger SV im Ellenfeld den ersten Bundesliga-Sieg in Borussias Historie einzufahren. Die Revanche im Rückspiel im Ellenfeld gelang den Borussen wenigstens halbwegs: Wolfgang Webers Führungstor für Köln (16.) konnte Elmar May fast mit de, Pausenpfiff ausgleichen. 1:1 hieß es auch nach 90 Minuten. Im Übrigen konnte der 1.FC Köln in den drei Bundesligajahren der Borussia im Ellenfeld nicht gewinnen: 1965/66 blieben die Borussen – ebenso wie zwei Jahre später (1967/68) – jeweils mit 2:1 obenauf!

Borussia spielte am 5. September 1964 in Köln mit folgender Mannschaft: Horst Kirsch – Erich Leist, Dieter Schock, Hans Schreier, Günter Schröder, Erwin Gold, Achim Melcher, Paul Pidancet, Rüdiger Gratz, Günter Heiden, Elmar May. Der 1. FC Köln war aufgelaufen mit: Toni Schumacher – Fritz Pott, Toni Regh, Wolfgang Weber, Leo Wilden, Wolfgang Overath, Hans Schäfer, Hans Sturm, Hannes Löhr, Christian Müller, Karl-Heinz Thielen. (-jf-)

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