More than a feeling

Gedanken zum historischen Ellenfeld-Stadion

Unser Bild: Das Ellenfeld im Lichterglanz – im Oktober 2015 feierte das Flutlicht im Ellenfeld Premiere. Mit einer mobilen Anlage wurde das Pokalspiel gegen den 1. FC Saarbrücken (0:1) ermöglicht. Die Neuauflage 2024 soll auf ein Wochenende verlegt werden. (Foto: -jf-)

„More than a feeling!“ Als die amerikanische Rockband Boston im September 1976 ihre Hymne als erste Single aus dem Debutalbum veröffentlichte, leckte die Borussia gerade die Wunden des verpassten Sprungs in die 2. Liga Süd. Nach dem sieglosen Scheitern in der Aufstiegsrunde gegen die alten Rivalen Wormatia Worms und Eintracht Trier waren zwei weitere Ehrenrunden in der damals drittklassigen Saarlandliga angesagt. Umso mehr traf damals die Botschaft des Liedes die Gefühlslage vieler Borussen, geht es doch um liebevolle Erinnerungen an vergangene Tage, um von Melancholie geprägte Sehnsucht nach einer früheren Liebe, um eine Prise Bitterkeit angesichts einer tristen Gegenwart.

„More than a feeling“ beschreibt sicher aber auch die Stimmung, die diejenigen, deren Herz im schwarz-weißen Borussia-Takt schlägt, beim Anblick des Ellenfeld-Stadions, empfinden. „Eine Rarität in Neunkirchen, im Saarland, in Deutschland und weit darüber hinaus“, so die Einschätzung von Professor Dr. Jens Kelm. Immer wieder hat der Ellenfeld-Experte, der wohl wie kaum ein anderer die Sportstätte kennt, Zustimmung von vielen Fußballfreunden erhalten, die er im Laufe der Jahre durch das Stadion geführt hat. „Ich höre dann Sätze wie: Hier kann man Fußball noch atmen. Das muss unbedingt erhalten werden“, berichtete Jens Kelm in der vergangenen Woche anlässlich der Mitgliederversammlung. Und ein solches Urteil ist beileibe kein Einzelfall.

„Nach dem Eintritt in das Innere der altehrwürdigen Borussen-Heimat schlug mein Fußball-Herz nochmal höher: Soeben hatte ich mich verliebt“, sagte Sven Huber aus Schifferstadt, als er 2017 das Ellenfeld näher inspizieren konnte. Für Sven Kohl, den Fan von Dynamo Dresden, ist es „eine wahre Perle der Stadionkultur“, für Tobias Schätzlein aus Hassfurt gar „die absolute Nummer 1 in Deutschland“ und „ein geiles und unverwechselbares Stadion“.  Und Bertram Bonacker aus Kirchhain empfiehlt angesichts mancher „Standardkisten nach dem Baukastenprinzip auf der grünen Wiese in Mainz Augsburg oder Sinsheim“ allen Fußballfreunden: „Wer mal wieder den Charme der Anfangsjahre des Deutschen liebstes Kind, der Bundesliga, nachspüren will, der sollte sich auf den Weg in den Südwesten der Republik machen, genauer gesagt nach Neunkirchen ins dortige Ellenfeld-Stadion.“

Gefundenes Fressen für Fußballromantiker auf der Suche nach krummen Tribünen und überwucherten Stehstufen: Die derzeit gesperrte Vortribüne (oben). „Das Ellenfeld-Stadion verkörpert 100 Prozent Fußballkultur und ist ein Muss für jeden Liebhaber. Wir werden aktiv Werbung machen für die beeindruckende Arena!“ Job van de Kraats und Marcel Plette (li.) sind eigens aus den Niederlanden nach Neunkirchen gereist und waren von der Stadionführung mit Dr. Jens Kelm begeistert. (Foto: -jf-)

Nun mögen Urteile von sogenannten Groundhoppern in diesem oder jenem Fall sehr speziell ausfallen, ist ihre Freizeit- bzw. Wochenendbeschäftigung kein Hobby für Fans, die Fußball gerne in wohltemperierten Multiplexarenen sehen wollen, sondern eher auf der Suche nach dem Abseitigen, nach krummen Tribünen und von Unkraut überwucherten Stehtrassen sind. Viele treibt bestimmt auch an, was der französische Medientheoretiker, Philosoph und Soziologe Jean Baudrillard in seinem 1991 erschienenen Buch „Le Système des Objets“ (Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen), als Vorliebe des Menschen nach dem Alten und Authentischen beschreibt, als eine „Reise zum Mythos des Urprungs“. Für manch einen fühlt es sich im Ellenfeld vielleicht sogar so an, als erhole sich der Fußball hier für 90 Minuten von der aufgeblasenen Industrie, zu der er mittlerweile mutiert ist. Klar ist auch: Als in den 70er-Jahren allsamstäglich die Bilder der Sportschau in die Wohnstuben flimmerten, war – auch ohne die Stimme der Kommentatoren – binnen weniger Sekunden klar, in welchem Stadion gespielt wird. Das ist heute kaum noch möglich.

„Ein Stadion ist vermeintlich ein reiner Zweckbau. Schnell viele Leute reinbringen, das Spiel reibungslos möglich machen mit Merch-Stand, Brautwurst und Halbzeit-Pinkelpause und dann anschließend die Leute schnell wieder rausbringen. Atmosphäre und identitätsstiftende Merkmale bleiben dabei auf der Strecke“, bedauert Architekturkritiker David Kasparek in einem bemerkenswerten Interview mit Philipp Köster in der Dezember-Ausgabe des Magazins 11FREUNDE. „Statt architektonisch auszuleuchten, was den Verein ausmacht, der hier spielt, welche speziellen Eigenarten sich im Stadion ausdrücken könnten und welche Rolle die Sportstätte im Stadtbild und für das Selbstverständnis des Ortes und für den Verein spielen könnte, geht es neben den Kosten meist nur um die Organisation von Fluchtwegen, die Zeiten für den Toilettengang und die daraus resultierende Menge an Toiletten“, führt Kasparek seine Kritik weiter aus, räumt dabei aber auch ein, dass „das alles Kriterien sind, die es natürlich beim Bau eines Stadions zu berücksichtigen gilt. Aber wenn nur sie erfüllt sind, fehlt dem Stadion eben etwas.“ Eben das, was Kasparek etwas pathetisch „Seele“ nennt: „In der Architektur spricht man gerne vom Genius loci, dem Geist des Ortes.“

Den „Genius loci“ förmlich spüren kann man bei diesem beeindruckenden Bild von Block 5, der Heimat der treuen Borussen-Fans. (Foto: Marc NK) Immer wieder haben sich die Anhänger bei der Instandhaltung und Reinigung engagiert (unten).

Die Forderung des Architekturkritikers: Die Klubs müssten begreifen, „dass die Stadien nicht nur ökonomischen Zwecken dienen. Man spricht immer gerne von grauer Energie, die in Gebäuden steckt. Wer ein Gebäude abreißt, vernichtet immer Energie. Klar ist aber: Gebäude sind auch Träger sozialer Energie. Gerade Fußballstadien, wo viele Menschen zusammenkommen und ihre Geschichten mit dem Gebäude verbinden.“ Für Kasparek geht es am Ende „um Fußballkultur, die in Baukultur ihren angemessenen Ausdruck findet. Und deshalb geht es darum, diese Menschen, die Fans und die Anwohnenden mitzunehmen. Im besten Fall spiegelt sich die Identität eines Klubs im Stadion wider, wird mitgetragen und geht nicht verloren.“

Auf dem Hintergrund solcher Aussagen erscheinen die Bemühungen aller, denen das Ellenfeld-Stadion und die Borussia am Herzen liegt, noch einmal in einem nachdrücklicheren Licht. Nicht umsonst sprechen Jens Kelm und Tobias Fuchs in ihrem Jubiläumsbuch „100 Jahre Ellenfeld-Stadion“ von einem „Erinnerungsort als langlebigen, Generationen überdauernden Kristallisationspunkt kollektiver Erinnerung und Identität.“ Keine Frage: Borussia und das Ellenfeld, in dem der Verein seit mehr als 111 Jahren spielt, gehören zusammen. Ohne Borussia kein Ellenfeld, ohne Ellenfeld keine Borussia.  „Ellenfeld-Stadion – Heimat seit 1912“ haben engagierte Borussen-Fans vor wenigen Monaten auf die Betonwand unterhalb der Haupttribüne gemalt – besser kann man die Beziehung zwischen Verein und Stadion nicht zum Ausdruck bringen!

Und so muss es nicht verwundern, dass beim Stadionthema auch bei der Mitgliederversammlung die Wellen höher schlugen. Dabei monierte Jens Kelm, der gemeinsam mit einigen Mitstreitern immer wieder viele Stunden körperliche Arbeit in das Stadion investiert hat, im Rahmen der Rasenerneuerung aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen das Fehlen einer Regenrückgewinnungsanlage. Auch eine Betonschadstellensanierung der Spieser Kurve ist dem Stadionexperten eine Herzensangelegenheit, selbst wenn die Tribüne, eine der größten Stehtraversen Deutschlands, derzeit nicht benötigt wird. Doch der Vergleich mit einem Haus bietet sich an: Werden dort zwei Zimmer nicht gebraucht, wird man sie substantiell dennoch vernünftigerweise nicht so weit herunterkommen lassen, dass die Abrissbirne die finale Lösung bedeutet. Was für Jens Kelm über die identitätsstiftende Bedeutung der Sportstätte hinaus eine Rolle spielt: „Wenn vermeldet wird, dass der Verein dadurch, dass er zurzeit wegen der Rasenerneuerung nicht im Stadion spielen kann, über 24.000 Euro Einnahmeverluste hat, dann zeigt das doch auch die enorme wirtschaftliche Bedeutung des Ellenfeld-Stadions für die Borussia.“ Auch deshalb sind alle Borussen froh, wenn auf neuer Rasenfläche im Frühjahr der Ball wieder rollt. Von der ganz besonderen Atmosphäre, die von den steilen Rängen ausgeht, ganz abgesehen.

1964 Umbau für die Bundesliga: Gerade werden die Fundamente für die gewaltige Spieser Kurve gelegt (oben). Ein Gutachten der Universität Luxembourg bescheinigt der Stehtribüne eine intakte Statik (unten), nötig ist jedoch eine Betonschadstellensanierung. (Fotos: Ellenfeld-Verein – Archiv Borussia Neunkirchen / -jf-)

Das bevorstehende Highlight im Saarlandpokal im Frühjahr gegen den 1. FC Saarbrücken kann auf jeden Fall nur im Stadion stattfinden. „Es ist der Wunsch der Borussia das Spiel, das ursprünglich für Mittwoch, den 6. März 2024, vorgesehen ist, zu verlegen. Wir peilen dafür den 23. März an. An diesem Wochenende ist für den Profifußball und damit auch für den 1. FC Saarbrücken Länderspielpause. Sowohl von unserem Gegner als auch vom saarländischen Fußballverband haben wir bereits positive Signale für eine solche Verlegung erhalten“, erklärte Alexander Kunz. Notwendig ist aber dafür auch eine Verschiebung des für den 24. März terminierten Saarlandligaspiels der Borussia beim SV Saar 05 auf dem Kieselhumes. „Der Wochenendtermin würde es uns erlauben, mit unseren Fans und den Anhängern des FCS, zu denen ja eine freundschaftliche Verbindung besteht, ein richtiges Fußball- und Fanfest zu veranstalten“, hofft Borussias Vorsitzender auf eine Einigung aller beteiligten Parteien.

Für die Stadiongesellschaft hat Professor Dr. Jens Kelm angeboten, anlässlich des Pokalknüllers die Betreuung eines Catering-Standes zu übernehmen. Sportvorstand Gunther Persch hob deshalb auch im Zusammenhang mit dem Ellenfeld – unabhängig von Meinungsverschiedenheiten und kontroversen Positionen – noch einmal die Verdienste von Dr. Jens Kelm hervor: „Es tut mir in der Seele weh, dass wir bisher auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen sind, weil ich weiß, dass Jens Kelm im Grunde seines Herzens die Borussia liebt. Sein Stellenwert und sein Einsatz für das Stadion werden bei der Borussia immer in Ehren gehalten.“

Das historische Ellenfeld-Stadion – es wird auch in Zukunft ein komplexes Thema bleiben. Es geht auf jeden Fall nur gemeinsam. Das Verhältnis der beteiligten Parteien, Stadt als Eigentümer, Borussia als Nutzer, sei gut, Offenheit und Transparenz seien gegeben, betonen Alexander Kunz, Gunther Persch und Jörg Aumann unisono. „Wir versuchen, die Wünsche des Vereins einvernehmlich umzusetzen“, so der Oberbürgermeister anlässlich der Mitgliederversammlung in der letzten Woche. Bei der Sanierung und Ertüchtigung des Stadions sind auf dem schmalem Grat zwischen Tradition und Fortschritt viele Aspekte zu beachten und manche Kompromisse zu schließen. Denn bei aller Erhaltung der Substanz und des historisch wertvollen, weil einmaligen Gesamtensembles gilt sicher auch: „Während der Tourist staunend vor unrenovierte Gründerzeithäusern steht, fragt sich der Bewohner irgendwann, ob eine Dreifachverglasung und eine funktionierende Heizung nicht doch ganz nett wäre“, wie es Andreas Bock in einem 11FREUNDE-Beitrag über „The Oval“, das Stadion des nordirischen Glentoran FC, schreibt. Was „The Oval“ und das Ellenfeld eint: Beide Sportstätten versprühen eine unvergleichliche und nur noch selten zu erlebende Aura. Sie lässt manchen Besucher auf der Spieser Kurve noch lange verweilen, selbst wenn das Spiel schon lange vorbei ist – man könnte ewig hier stehen! Eine Aura, die, wenn überhaupt, vielleicht am ehesten in die Worte der bittersüßen Boston-Ballade zu fassen ist. More than a feeling – mehr als ein Gefühl: Heimat! (-jf-)

Untenstehend ein weitere Eindrücke aus dem Ellenfeld. (Fotos: Marc NK / Susi Welter / Tobias Amelong / -jf-)

3 Kommentare

  1. Ich danke Jo Frisch für den schönen Artikel, einige Fotos habe ich noch nicht gekannt. Es wäre mir eine Freude, würde der Beitrag viele Menschen für das Ellenfeld sensibilisieren. Das Stadion ist einmalig, „ein Ort der kollektiven Erinnerung“! Hoffentlich kommt das auch bei den Entscheidungsträgern an.
    Als Ergänzung ist es mir persönlich wichtig auf dieser Plattform, Mitstreitern in Sachen Stadionsanierung, Stadionpflege und Stadionführungen zu danken. Leider sehe ich Peter Frohnhöfer und Udo Neurohr nicht mehr, die großen Anteil an der Fugenaushebung von Block 5 hatten. Rainer Lauffer, der sich intensiv um die Pflege der Spieser Kurve und den Nebenplatz kümmerte und zusammen mit den Mitgliedern der SGE (Sighard Groß, Herbert Grundmann) die Ministerbesuche im Ellenfeld organisierte. Natürlich gilt auch Dank an „ Mister Elllenfeld“/Wolfgang Rausch, der nicht nur jeden Stein, sondern auch jede Schraube im Stadion kennt und es ohne ihn keine Stadionführungen gäbe.

    Hoch lebe Eisen und Unser Ellenfeld, mehr als nur ein Stadion ⚒🏟⚒
    JK

  2. Das Ellenfeld zu pflegen und zu erhalten ist für Neunkirchen nicht weniger als eine baukulturelle Verpflichtung! Die Stadt hat in den letzten Jahrzehnten schon so viele Federn gelassen. Es reicht! Ich freue mich schon sehr darauf, anlässlich des Derbys nach vielen Jahren wieder mal in die Heimat Ellenfeld zurück zu kehren.

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