Zwischen Putz und Türrahmen – ein Borussia-Fundstück mit Seltenheitswert

Eine Silvester-Geschichte zu einem spannenden Thema der traditionsreichen Borussia-Historie

Hansi Molter staunt nicht schlecht. Der Niederkirchner Familienvater ist gerade dabei, im Einfamilienhaus dem Keller umzubauen. Ein Hobbyraum soll entstehen. Dem steht eine alte Tür im Wege. Also: Raus damit! Beim Herausstemmen des eisernen Türrahmens purzeln dem fleißigen und geschickten Handwerker ein paar Zeitungsblätter entgegen. Fein zusammengerollt, vergilbt und verschmutzt. Sie befanden sich in der Spalte zwischen Putz und Rahmen im Bereich der Zargen. An dem Platz, der heute ausgeschäumt wird. Hansi Molter legt sie zunächst achtlos beiseite. Schließlich duldet die Arbeit keinen Aufschub, der Hobbyraum soll bald fertig werden.

Später, in der wohlverdienten Pause, dann der Blick auf die Zeitung. Ein Zeugnis längst vergangener Tage. Aus den Zeiten, als das Haus errichtet wurde. Hansi Molter rollt die Fundstücke auf. Saarbrücker Zeitung: Ausgabe Nummer 62, 10. April 1967 ist auf dem Titelblatt zu lesen. Und direkt darunter dick eingerahmt: „42.000 im Ludwigspark“. Hansi Molter stutzt. Ludwigspark? Er ist zwar von Haus aus Fan des 1. FC Kaiserslautern, aber Ludwigspark? Das sagt ihm etwas. Ist das nicht das traditionsreiche Stadion des 1. FC Saarbrücken, das sich schon seit Jahren in der Umbauphase befindet und deshalb – anders als sein eigenes Bauprojekt im Haus – immer wieder in den Schlagzeilen ist? Das Stadion in der Schloss- und Gartenanlage, die ein gewisser Ludwig Heinrich, ein Fürst der Grafschaft Saarbrücken-Nassau errichten ließ? Mitten drin ein „Lustschloss“ für seine Geliebte? Die Anlage wurde während der französischen Revolution in Trümmer gelegt, die Anhöhe jedoch behielt ihre Bezeichnung und wurde schließlich namensgebend für die Sportstätte.

Hansi Molters Interesse ist geweckt. Jetzt muss die Arbeit mal warten. „Der Park war diesmal zu klein“ – darüber Bilder von Menschenmassen, zum Teil auf Bäumen, von endlosen Blechkarawanen. Klingt spannend, sieht spannend aus. „Man kam mit der Eisenbahn, dem Bus, zu Fuß und mit dem eigenen Vehikel. Man kam aus allen Teilen des Saarlandes und den angrenzenden Gebieten von Frankreich und Rheinland-Pfalz. Und selbst die von Fußballenthusiasmus freien weiblichen Teenager und Twens ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen, im Minirock und süßlila oder knallrotem Hosenkostüm kokett hin- und herflanierend, sich in den Blicken der dem Spiel entgegenharrenden Männerwelt zu sonnen.“ Hansi Molter muss schmunzeln. So schreiben die Journalisten eben in den 60er Jahren!

Der Anlass für den Menschenauflauf im Ludwigspark, so findet Hansi Molter schnell heraus, ist das Top-Spiel der damaligen Regionalliga Südwest zwischen dem 1. FC Saarbrücken und der Borussia aus Neunkirchen. Lokalderbys zwischen den Blau-Schwarzen und den Schwarz-Weißen gehören immer zu den Highlights im Fußball-Saarland. Doch an diesem strahlenden Frühlingstag geht es um den Meistertitel und so ganz nebenbei auch wieder einmal um die Vorherrschaft im Saarland-Fußball. Da ist es den Fußballfans auch egal, dass zeitgleich im Fernsehen die Partie der Nationalmannschaft gegen Albanien (6:0) aus Dortmund im Rahmen der EM-Qualifikation für 1968 über die damals noch schwarz-weißen Bildschirme flimmert: Fußball live und in Farbe ist angesagt!

Die Borussia ist im Vorjahr aus der Bundesliga abgestiegen und hatte mit Heinz Simmet, (nach Köln), Werner Görts (nach Bremen) und Paul Pidancet (zurück nach Trier) Leistungsträger abgeben müssen. Dennoch schafft es Trainer Zjelko Cajkovski, der jüngere Bruder des Bayern-Coaches Zlatko „Tschik“ Cajkovski, im Ellenfeld eine neue junge Mannschaft zu entwickeln, die sich nun anschickt, nach einigen Startschwierigkeiten postwendend in die Bundesliga zurückzukehren. Zwei Punkte liegen die Borussen vor dem Spiel im Park am vorletzten Spieltag der Saison hinter dem FCS zurück. Das Hinspiel haben sie im eigenen Ellenfeld mit 2:0 gewonnen, jetzt muss auch im Ludwigspark ein Sieg her, um Südwestmeister zu werden. Und das gelingt! Die Borussia gewinnt nach 90 hochspannenden Minuten mit 1:0, zieht mit den Hauptstädtern gleich. Während der FCS auch das Saisonfinale  mit einem 1:2 bei den bereits abgestiegenen Bellheimern verpatzt, schicken die Borussen die Germanen aus Metternich mit 8:0 geschlagen nach Koblenz zurück und feiern im Ellenfeld den Titelgewinn. Das i-Tüpfelchen folgt anschließend in der Aufstiegsrunde gegen die stark eingeschätzte Konkurrenz von Hertha BSC und Schwarz-Weiß Essen: Die Borussia kehrt als erste Mannschaft in der Bundesligageschichte direkt nach dem Abstieg wieder ins Fußball-Oberhaus zurück, während die Saarbrücker in ihrer Gruppe gegen die vermeintlich schwächeren Alemannen aus Aachen den Kürzeren ziehen.

Klassiker im Ellenfeld: Das Hinspiel im Ellenfeld am 6. November 1966 konnte die Borussia (hier mit Hans Linsenmaier beim Flugkopfball) gegen den 1. FC Saarbrücken mit 2:0 gewinnen.

Doch es ist weniger die sportliche Geschichte, die den Reiz der Zeitungsreportage ausmacht. Der Berichterstatter schildert eindrücklich die Atmosphäre im dicht gefüllten Park. „Obwohl beim Bau der Saarlandhalle die Zahl der Ränge wesentlich vermehrt wurde, reichten sie an diesem Samstag nicht aus, um allen einen Platz zu sichern. Man postierte sich darum auf den anliegenden Böschungen und kletterte auf Bäume, Masten und selbst auf das Dach der anliegenden Saarlandhalle, an der mit Hochdruck gearbeitet wird. Als die letzten ihren Platz gefunden hatten, war das Spiel bereits mehr als eine Viertelstunde im Gange“, heißt es. Dabei sei nur ein kleiner Teil der Fußballfreunde „eingeschworene Parteigänger der spielenden Vereine“ gewesen: „Die Masse der Besucher kam mit dem Willen, seine Sympathie ohne Vorbehalt dem besser Spielenden entgegen zu bringen.“ Und das war die Borussia: „Die junge Elf aus der benachbarten Hüttenstadt gewann nicht nur das Spiel, sondern mit zunehmender Spieldauer – für jedermann sichtbar und hörbar – auch zusätzliche Sympathien bei den Tausenden, deren reibungslose Abfahrt später Saarbrückens verstärktes Polizeikommando nur mit großer Mühe steuern konnte.“

„42.000 im Ludwigspark.“ Hansi Molter weiß sofort, wem er mit diesem Zeitdokument eine Freude machen kann. Sein Freund Dirk Steingasser, in der Jugendabteilung der Borussia als Trainer und Organisator sehr aktiv, wird am zweiten Weihnachtstag mit Familie zum Besuch erwartet. Diesmal wartet eine Überraschung auf den engagierten Borussen: Das Fundstück aus dem Keller von Hansi Molter. Das Original wird er der Borussia für das Archiv zur Verfügung stellen. Dafür vorab ganz herzlichen Dank an die Familie Molter! Was bei einem Kellerumbau doch so alles zum Vorschein kommt. Und wer weiß, was sich hinter alten Türzargen und Fensterbänken noch so alles verbirgt. Vielleicht kommt das eine oder andere im neuen Jahr 2020 zum Vorschein … (-jf-)

Borussia wünscht allen Mitgliedern, Fans, Freunden, Sponsoren, Unterstützern und Helfern einen guten Rutsch ins neue Jahr und für 2020 alles Gute, Glück, Gesundheit und Erfolg!

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