
Aus der traditionsreichen Geschichte der Borussia / Heute vor 60 Jahren: Borussia unterliegt trotz Chancenplus bei 1860 München mit 2:4 / Elmar May und Heinz Simmet sorgen nach 0:4-Rückstand für Ergebniskosmetik
Unser Bild: Diese Granate von Rudi Brunnenmeier genau in den Torwinkel bedeutete nach dem Seitenwechsel das 3:0 für 1860 München und die Vorentscheidung in einem Bundesligaspiel, in dem für Borussia mehr drin gewesen wäre! (Foto: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Wenn die Löwen losgelassen wurden, war im Stadion an der Grünwalder Straße immer was los! „Als wir ins Stadion einliefen, haben uns mehr als 30.000 Menschen empfangen und mit einer solchen Inbrunst das Vereinslied gesungen, dass einem fast das Herz in die Hose gerutscht ist. Eine solche Kulisse, das muss man sagen, waren wir ja in den Jahren zuvor in der Ober- und Regionalliga, bis auf wenige Ausnahmen wie zum Beispiel gegen Saarbrücken oder Kaiserslautern, nicht gewohnt“, hat Borussias verstorbener Stürmer Paul Pidancet sich einmal an die Gastspiele bei 1860 München erinnert. „57, 58, 59 – sechzig, sechzig!“ In der Tat: Der sogenannte „Sechz´ger Marsch“, den die Fans auf Giesings Höhen in der proppenvollen Stehhalle intonierten, muss wirklich beeindruckend und unter die Haut gegangen sein, gerade auf manche Gastmannschaft auch einschüchternd gewirkt haben.
Das schien jedoch heute vor 60 Jahren, an jenem 20. März 1965, nicht unbedingt so gewesen zu sein. Denn die Borussen, die in den Wochen zuvor in 6 Spielen nur einmal verloren und acht Tage vor dem Gastspiel in München den kommenden Meister Werder Bremen beim 1:1 im Ellenfeld am Rande einer Niederlage hatte, traten durchaus selbstbewusst auf und wussten sich gegen den Titelaspiranten aus der bayrischen Hauptstadt sehr wohl zu wehren. Insofern wäre nach 90 interessanten Minuten viel mehr drin gewesen als die 2:4-Niederlage, mit der im Gepäck es wieder zurück ins Saarland ging. „Gut gebrüllt, Löwen“, hieß es im Anklang an William Shakespears Sommernachtstraum für die Münchner, während der Samstagnachmittag auf weichem, aber kräftezehrenden Boden in der März-Sonne für die Borussen eher an einen Frühlingsalptraum erinnerte. Dabei hatten sich die Borussen beim 3:0 im Hinspiel im Ellenfeld durch Treffer von Paul Pidancet (2) und Elmar May noch als wahre Löwen-Dompteure erwiesen!

Beeindruckende Kulisse: Mehr als 30.000 Fans unterstützen Münchens Löwen heute vor 60 Jahren beim Sieg gegen die Borussia im Grünwalder Stadion. (Foto: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Das große Manko auf Seiten der Borussia: Die Chancenverwertung! „Einige müssen wohl einen Föhnstich gehabt haben, anders ist das Auslassen selbst der besten Gelegenheiten nicht zu erklären. Sie wissen mit den besten Chancen nichts anzufangen. An diesem Tag wäre der amtierende deutsche Pokalsieger von den Borussen zu schlagen gewesen“, so der Kommentator des Bayrischen Rundfunks (BR) im Spielbericht der ARD-Sportschau. Denn schon nach wenigen Minuten scheiterte Stürmer Günter Heiden, der mit entschlossenem Sprint auf der linken Angriffsseite in den Strafraum der Münchener eingedrungen war, aus aussichtsreicher Position am Torhüter Petar Radenkovic. Wenig später bot sich Elmar May die Riesenchance auf die Führung: Achim Melcher hatte Günter Kuntz in Szene gesetzt, dessen wuchtigen Schuss konnte der Löwen-Keeper zwar abwehren, aber genau vor die Füße des „blonden Engels“ aus Neunkirchen, der jedoch – offenbar sichtlich überrascht – das Leder nicht richtig traf und statt ins sich vor ihm offen wie ein Scheunentor darbietende Tor genau in die fangbereiten Arme Radenkovics bugsierte! Überhaupt: Elmar May, ansonsten treffsicherer Angreifer und am Ende der Saison mit 12 Toren erfolgreichster Schütze der Borussia) sollte sich für die Borussen diesmal als ausgesprochene Pechvogel (der BR-Reporter sprach gar von einem „rabenschwarzen Tag“) erweisen, traf er doch später mit einer ordentlichen Fackel nur die Unterkante der Latte. Und in der zweiten Halbzeit verstolperte er am Fünf-Meter-Raum ein Zuspiel von Günter Heiden, so dass die Löwen-Abwehr die Gefahrensituation bereinigen konnte. Auch Günter Kuntz versagten freistehend vor Radenkovic offenbar die Nerven, als er mittig vor dem Tor sich eigentlich die Ecke aussuchen konnte, aber stattdessen mit seinem Flachschuss exakt den Münchner Torwart anvisierte!
Wie das dann oft so ist: Machst du die Dinger vorne nicht rein, bekommst du sie hinten! Gemäß dieser Binsenweisheit des Fußballs schlugen die von Max Merkel gecoachten Münchner erbarmungslos zu. Mittelstürmer Rudi Brunnenmeier, der zuvor im Europapokalspiel gegen Legia Warschau noch pausiert hatte, schickte das Leder nach geglücktem Doppelpass mit Peter Grosser aus halbrechter Position an Willi Ertz vorbei ins lange Eck – schon nach 9 Minuten lagen die Borussen auf einmal trotz guter Anfangsphase im Rückstand. Damit nicht genug: Gut zehn Minuten später stand Vorlagengeber Grosser nach gefühlvoller Flanke von Freddy Heiß, am langen Pfosten von Achim Melcher offenbar aus den Augen verloren, mutterseelenallein und musste den maßgerecht aufgelegten Ball per Kopf nur noch locker einnicken. Eine Einzelaktion des bärenstarken Rudi Brunnenmeier sorgte dann gleich nach der Pause für das 3:0 und die Vorentscheidung: Der bullige Stürmer der Löwen setzte sich im Strafraum gleich gegen mehrere Borussen durch und hämmerte das Spielgerät unter die Latte – da konnte sich der lange Willi Ertz, der ja bekanntlich im Sommer zuvor an gleicher Stelle beim 2:0 in der Aufstiegsrunde gegen den FC Bayern eine Sternstunde erlebt hatte, strecken wie er wollte! Als der dribbelstarke Peter Grosser fünf Minuten später einen Pass in die Tiefe aufnahm und alles umspielte, was ihm in die Quere kam, um dann den Ball ins lange Eck zum 4:0 einzuschieben, schienen die Borussen einem Desaster entgegenzusteuern.

Führung für die Löwen: Brunnenmeiers Flachschuss landet zum 1:0 im langen Toreck, Borussen-Keeper Willi Ertz kann dem Leder nur noch traurig nachschauen. (Foto: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Doch – und dass muss man den Schützlingen von Trainer Horst Buhtz zugute halten – sie gaben sich in denn noch verbleibenden 33 Minuten nicht auf, im Gegenteil: sie bliesen den 60ern nochmal orcdentlich zum Marsch. Der verdiente Lohn: Gleich zwei Ehrentreffer. Der erste ging auf das Konto des bis dahin glücklosen Elmar May, der eine Zuspiel von Günter Heiden einfach mal aufs Münchner Tor zog: Unhaltbar für Radenkovic abgefälscht landete das Leder im Löwen-Netz. Für das zweite Borussen-Tor zeichnete Heinz Simmet verantwortlich: Achim Melcher hatte nach einer Balleroberung gegen Peter Grosser in der eigenen Hälfte den langen Marsch durchs Mittelfeld angetreten und Borussias Außenstürmer mustergültig in den freien Raum hinein bedient, der wiederum tunnelte Löwen-Torwart Radenkovic und sorgte für den 2:4-Endstand.
Immerhin hatten die Borussen damit die zweite Halbzeit mit 2:2 ausgeglichen gestalten können, fielen aber durch diese unnötige Niederlage wieder um einen Tabellenplatz (von 12 auf 13) zurück. Die Lage im „Rotlicht-Viertel“ der Liga blieb nach wie vor kuschelig eng: Punktgleich mit Hertha BSC, das auf Rang 14 ebenfalls 19:29-Punkte auf dem Konto hatte, bewegten sich Borussia mit nur noch einem Zähler Vorsprung vor den Abstiegsplätzen (Karlsruher SC und Schalke 04 mit jeweils 18:30-Punkten) auf dünnem Eis! Auf der anderen Seite war auch das Mittelfeld, das der 1. FC Kaiserslautern auf Rang 10 mit 21:27-Punkte verkörperte, nicht weit entfernt. Doch jetzt sollte im Ellenfeld für das „Schalke des Südwestens“ eine Woche nach dem Gastspiel in München mit dem Heimspiel gegen das mitbedrohte Schalke aus dem Ruhrpott eine vorentscheidende Partie anstehen! Die Münchener Löwen dagegen blieben Spitzenreiter Werder Bremen, das zeitgleich den VfB Stuttgart mit 1:0 besiegt hatte, auf den Fersen und liefen am Saisonende auf Platz 4 ein, um ein Jahr später (1966) deutscher Meister zu werden! (-jf-)
Bewegte Bilder vom Gastspiel der Borussia am 20. März 1965 gibt es auf „BR retro“ unter folgendem Link:
Statistik: 1860 München – Borussia Neunkirchen 4:2 (2:0)
Borussia: Willi Ertz – Erich Leist, Dieter Schock, Hennes Schreier, Günter Schröder, Erwin Glod, Achim Melcher, Günter Heiden, Günter Kuntz, Elmar May, Heinz Simmet. – Trainer: Horst Buhtz.
1860 München: Petar Radenkovic – Bernd Patzke, Hans Reich, Manfred Wagner, Peter Grosser, Hans Küppers, Otto Luttrop, Rudolf Zeiser, Rudi Brunnenmeier, Alfred Heiß, Hans Rebele. – Trainer: Max Merkel.
Tore: 1:0 (9.) Rudi Brunnenmeier, 2:0 (22.) Peter Grosser, 3:0 (52.) Rudi Brunnenmeier, 4:0 (57.) Peter Grosser, 4:1 (70.) Elmar May, 4:2 (75.) Heinz Simmet. – Schiedsrichter: Gerd Henning (Duisburg). – Zuschauer: 30.000.
Fotograf Ferdi Hartung hat vor 60 Jahren in München weitere (untenstehende) Impressionen eingefangen. (Fotos: Ellenfeld Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)










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