Der Mensch und Sportler Stefan Kuntz (Screenshot: -jf-) im ARD-Interview / Bemerkenswert selbstkritische, offene und ehrliche Worte über seine Triebfeder, seine Werte und die Bedeutung von Familie und Freunden
Seine Erfolgsbilanz im Profifußball ist beeindruckend: 449 Bundesligaspiele für den VfL Bochum, Bayer Uerdingen, den 1. FC Kaiserslautern und Arminia Bielefeld, 179 Tore, zweimal Bundesliga-Torschützenkönig (1986 und 1994), Fußballer des Jahres 1991, DFB-Pokalsieger (1990) und Deutscher Meister (1991), 25 A-Länderspiele (6 Tore) und Europameister (1996). Als Trainer führte er im Ellenfeld die Borussia in der Saison 1999/2000 zur Oberliga-Meisterschaft, agierte als Übungsleiter beim Karlsruher SC, Waldhof Mannheim und LR Ahlen. Die TuS Koblenz brachte er als Sportdirektor auf Vordermann, erweckte die Roten Teufel vom Betzenberg als Vorstandsvorsitzender wieder zum Leben. Seit fünf Jahren ist er jetzt verantwortlich für die deutsche U21-Nationalmannschaft, die unter seiner Ägide 2017 in Polen den Europa-Titel holte. Den Ausgang nahm diese großartige Karriere 1970 im Alter von 8 Jahren in der Jugend der Borussia. Als Torschützenkönig der Oberliga Südwest startete Stefan Kuntz 1983 in die Bundesliga durch, wagte für eine Ablösesumme von 55.000 DM den Sprung zum VfL Bochum. Dass der frühere Borussen-Torjäger über all seine Erfolge die Bodenhaftung nicht verloren hat, die Höhen und Tiefen seiner Karriere und seines Lebens sensibel und aufmerksam reflektiert, hat Stefan Kuntz vor kurzem in einem sehenswerten ARD-Interview unter Beweis gestellt. Sportschau-Moderator Michael Antwerpes hat dem gebürtigen Neunkirchener bemerkenswert selbstkritische, ehrliche und offene Details aus seinem Innenleben entlockt. Dabei wird deutlich: Es war nicht immer alles eitel Sonnenschein in den 58 Jahren eines bewegten und auf den ersten Blick so erfolgsverwöhnten Lebens. An dieser Stelle einige Auszüge. Der Mensch und Sportler Stefan Kuntz über …
… das Glück in seinem Leben:
„Das stand oft auf meiner Seite. Zum Beispiel: Als ein Scout vom VfL Bochum bei uns in Neunkirchen war, wollte er sich eigentlich einen Abwehrspieler anschauen. Gegen den habe ich aber damals drei Tore gemacht. Da hat er dann durchgegeben: `Den Abwehrspieler könnt ihr vergessen, aber ich habe einen guten Stürmer gefunden.´ Das Angebot aus Bochum war da. Der VfL hat mir zusammen mit dem Land Nordrhein-Westfalen garantiert, dass ich wechseln und trotzdem Polizist bleiben kann. So bin ich nach Bochum gegangen. Ich weiß nicht, ob ich woanders meine Karriere so hätte starten können.“
… über seine Jugend und die Jugend seiner heutigen Spieler in der U21-Nationalmannschaft:
„Das verläuft heute ganz anders. Weder ist früher mein Vater zum Jugendtrainer gelaufen und hat sich dafür eingesetzt, dass ich spiele. Er hat mir höchstens gesagt: Du musst halt mehr trainieren, dann muss er dich irgendwann aufstellen! Noch ist meine Mutter in die Schule gegangen und hat irgendwas für mich geregelt. Das musstest du schon selber machen. Wenn die jungen Spieler heute kommen, haben sie vielleicht 500 bis 1000 Konflikte weniger. (…) Ich habe als Polizist schon im ersten Lehrmonat über 1000 Mark bekommen, dazu bei der Borussia auch 200, 300 Mark Fahrgeld. Ich hatte also damals schon relativ viel Geld. Von meinem Vater erhielt ich dann einen unglaublichen Anschiss, als ich mir von meinem selbst gesparten Geld nach einem Jahr einen BMW kaufen wollte. Das hat wiederum eine Außenwirkung, die ich zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht gesehen habe. In diesen Bereichen musst du sehr wachsam bleiben. (…) Ich muss lachen, wenn ich daran zurückdenke, dass mein Vater auf der Couch zu mir sagte: Steh mal auf und schalt um! Wie mich meine Spieler dann anschauen! Die fragen dann: Lag die Fernbedienung da vorne? Ne, du hast so einen Knopf am Fernseher reindrücken müssen, du konntest auch keinen Fehler machen, es gab ja nur noch ein anderes Programm!“
… über seine Triebfeder:
„Dieses Geliebtwerden, diese Anerkennung als Fußballer ist extremst verführerisch. (…) Diese Droge der Anerkennung, das Bejubeltwerden, vor der Kurve stehen nach einem Tor, das, was sich kein Mensch der Welt für Geld kaufen kann, das hat mich so stark angetrieben und motiviert. Da habe ich auch manchmal Grenzen überschritten. Ich glaube, dass viele meiner Mit- und Gegenspieler sagen, dass ich ein Kotzbrocken war, weil ich richtig viel gemacht habe, um erfolgreich zu sein.“
… über seine Lebenskrise und den Umgang damit:
„Zunächst war ja da die Erkenntnis, dass ich als Trainer keinen Erfolg hatte. Anfangs beim KSC war es noch super, wir sind aufgestiegen in die 2. Liga, aber dann die Stationen Waldhof Mannheim und LR Ahlen waren mit Entlassung bzw. Nichtvertragsverlängerung verbunden. Dann saß ich da zuhause, zum ersten Mal gescheitert. Diese Droge ist ja auch als Trainer noch ein bisschen da, Anerkennung zu bekommen, wenn man gewinnt, oder in der Arbeit mit den Spielern, wenn einer kommt und sagt: Mensch, Coach, das war klasse! Alles war jetzt weg, die Triebfeder meines Lebens war komplett weg. Dann gehst du natürlich zuhause deiner Familie auf die Nerven, und das endete dann in einem Ratschlag meiner Frau: `Du musst einen Ersatz für geschossene Tore finden!´ Aber für mich stand fest: Das gibt es nicht! (…) Ich war auf dem Arbeitsamt, habe eine Marke gezogen und mich dahin gesetzt Das Gespräch mit der Dame war sehr nett, aber zum Schluss hat sie zusammengefasst: `Sie sind schwer vermittelbar!´ Was ja auch stimmte! Dann fängst du an zu überlegen: Warum bist du da, wo du jetzt bist? Da habe ich mir professionelle Hilfe, Fachleute geholt zum Austausch. Teilweise etwas mehr spirituell, dann wieder mehr auf der Coaching-Ebene, dann wieder etwas mehr in die psychologische Richtung – alles nur, um mich noch mehr kennenzulernen, um die wunden Punkte abzustellen und die depressiven Existenzängste wegzubekommen. Ich konnte mich dann aufraffen, ein Fernstudium im modernen Fußballmanagement anzufangen. Da habe ich dann in mir etwas aufkeimen gespürt, was mich von innen her interessiert. (…) Selbsterkenntnis und Selbstbewusstsein wäre ohne diese Krise so nicht möglich gewesen.
… die Rolle seiner Frau und der Familie:
„Für sie war das natürlich schwierig, denn sie hatte ja auf einmal einen komplett anderen Mann vor sich. Auch meine Kinder. Du warst ja erfolgsverwöhnt, stark, selbstbewusst, positiv, hast keine Zweifel aufkommen lassen. Auf einmal war da ein anderer Papa da, ein anderer Ehemann. Für Freunde ist das eine ganz komische Situation. Du bist immer der starke gewesen, jetzt brauchst du auf einmal Hilfe. (…) Ohne diese Mischung aus Familie, Freunden und Eigenantrieb ist das verdammt eng, da rauszukommen.“
… über seine Werte:
„Das hat viel mit Anstand und Respekt zu tun. Ich hatte ja das Vergnügen, mit Otmar und Fritz Walter und Werner Liebrich drei unserer 54er Weltmeister in Kaisrslautern kennenzulernen. Die haben dieses positiv demütige Verhalten. Das Wort Demut ist ja an sich eher negativ behaftet. Es ist toll, wenn man stolz sein kann, dass man etwas kann, was ein anderer nicht so gut kann, nämlich Fußball spielen. Aber das war´s dann auch! Damit wird man nicht zu einem besseren Menschen, deshalb ist man nicht mehr wert als ein anderer. (…) Dazu ganz normale Sachen wie Pünktlichkeit und Disziplin, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Loyalität, aber auch seine eigenen Ansichten mal zu überdenken.“
… über Solidarität:
„Ihren Wert zu vermitteln ist ganz wichtig. Wir haben bei der U21 seit längerem die Herz-zeigen-Aktion, da treten wir mittlerweile in Mannschaftsstärke auf. Mancher Spieler zeigt da eine ganz andere Seite von sich. Da bekommen auf einmal selbst die ganz Coolen Tränen in die Augen, wenn krebskranke Kinder erzählen, wie es ihnen geht. Wichtig ist, dass man die Jungs an solche Situationen heranführt, weil sie sie in der Regel so nicht erleben würden. Dann sieht man aber auch, welche Werteskala in den Jungen drin ist, was manchmal in der Öffentlichkeit viel zu wenig rüberkommt.“
… über die Bedeutung von Mannschaft und Verein:
„Ich empfehle jedem eine Mannschaftssportart, weil innerhalb einer Mannschaft so viel passiert. Du fängst auf dem Bolzplatz an, darfst vielleicht am Anfang nicht mitspielen, weil du zu klein oder zu jung bist. Ich hatte damals durch den Vater den besten Ball, also durfte ich mitspielen, aber dann hinten im Tor. Jahr für Jahr bist du ein Stück nach vorne gekommen, hast diese Bolzplatzregeln miterlebt. Ich habe nach meiner Profi-Karriere noch zweimal im Amateurfußball gespielt (in der Verbandsliga und Landesliga beim SV Furpach und Palatia Limbach, Anm. der Red.), um diese Ursprünglichkeit, dazu gehört auch die Kiste Bier hinterher und das Kaputtlachen, weil ich nur ein Radler schaffe, nochmal mitzubekommen. Das ist etwas, das dir nur der pure Amateurfußball gibt. Das kann sehr wohl begleitend sein für die jungen Menschen. Ich würde jede Kampagne unterschreiben, dass die Leute wieder Mitglied im Verein werden!“
Aufzeichnet von -jf- / Das komplette Interview gibt es unter:
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