Eine italienische Reise

Aus der traditionsreichen Geschichte der Borussia: Borussia zeigt Weihnachten 1922 in Italien großen Fußball / Vier Siege in Genua, Turin und Alessandria / Große Komplimente in der deutschen und internationalen Presse

Unser Bild: Schwarze Teufel auf Italientour mit (v.l.) Trainer Wilson, Schmelzer, Regitz, Torhüter Volz, Voß, Breyer, Lutz, Dr. H. Neu, Feller, Kaufmann, Hofmann, Dr. W, Neu, Wallrath. (Foto: Archiv Borussia, 100 Jahre Ellenfeld-Stadion)

Die Italien-Sehnsucht der Deutschen ist spätestens seit Goethes Italienischer Reise 1786 zu einem Topos, ja zum Inbegriff für Bildung schlechthin geworden. Viele Dichter, Maler, Bildhauer, Archäologen und Architekten suchten das Land als bevorzugten Studienort für Kunst, Literatur und Architektur auf, um die Spuren der bewunderten antiken Kultur zu sehen. „In diesen Gegenden muss man zum Künstler werden“, so Johann Wolfgang Goethe. Dies galt zwei Jahrhunderte später auch für die Fußballer. Borussias erster Bundesliga-Trainer Horst Buhtz war auf der Bank des AC Turin von 1952 bis 1957 in 127 Spielen verantwortlich für die sportlichen Erfolge, Horst Szymaniak (Catania Calcio, Mailand, Varese Calcio), Helmut Haller (FC Bologna, Juventus Turin), Albert Brülls (Modena FC, Brescia Calcio) waren die bekanntesten Spieler, die in den 60ern gen Süden aufbrachen. Karl Heinz Schnellinger, Hansi Müller, Karl Heinz Rummenigge, Hans-Peter Briegel, Rudi Völler, Lothar Matthäus, Andy Brehme, Karl Heinz Riedle, Jürgen Klinsmann und Miroslav Klose – um nur die wichtigsten zu nennen – traten nicht minder erfolgreich in ihre Fußstapfen und bestätigten den guten Ruf des deutschen Fußballs auch jenseits der Alpen.

Dass auch die Borussia als Mannschaft anno dazumal die Werbetrommel rührte und mit einer vielbeachteten Italienreise vor nahezu hundert Jahren für Aufsehen in „bella Italia“ sorgte, wissen heutzutage nur noch die wenigsten Fußballfreunde. Viele deutsche und ausländische Zeitungen berichteten in längeren Beiträgen von der Fahrt um Weihnachten 1922, die, so Deutschlands größtes Fußballfachblatt jener Zeit, der Münchener „Fußball“, nahezu „triumphale Ausmaße“ annahm: „Alle Spiele bedeuten eine mächtige Propaganda für den deutschen Sport“, ist dort in der Sprache der damaligen Zeit zu lesen. 

Die Anreise erfolgte mit dem Zug durch die Schweizer Alpen bis nach Genua, wo die Borussen in Sampierdarena, einer Vorstadt von Genua für acht Tage Quartier bezogen. Ungemütlich kalt war es, was die Borussen allerdings nicht davon abhielt, sich mit einem Ausflug ans Meer und einem Bummel durch das vorweihnachtliche Genua mit seinen weihnachtlichen Jahrmarktbuden auf die neue Umgebung einzustimmen. Die genuesischen Fußballer waren keine Unbekannten, hatte doch Sampierdarena Genua ein paar Monate zuvor auf einer Deutschlandreise an Pfingsten 1922 auch im Ellenfeld gespielt und gegen die Borussia knapp mit 0:1 den Kürzeren gezogen. Gleich im ersten Spiel dominieren die Borussen gegen eine gemischte Sampierdarena-Elf erneut und siegen auf durch tagelangen Regen aufgeweichten Boden mit 4:2. Regitz (2), Lutz und Hoffmann heißen die Torschützen für die „Schwarzen Teufel“, die dem Höllenspektakel, das die leidenschaftlichen italiensichen Fans veranstalten, trotzen und auch das zweite Spiel mit 2:0 (Torschützen: Magnus, Voß) für sich entscheiden. Die italienischen Zeitungen überbieten sich in Superlativen: „Das brillante Debüt der Deutschen in Genua – die Deutschen vollständig überlegen“, titelt „La Gazetta dello Sport“ und bilanziert weiter: „Die ganze Mannschaft spielt wie aus einem Guß, mit guter Technik, Eifer, Schnelligkeit und mit großer Zuversicht. Der Sturm: Ein zusammenhängendes Ganzes, unterstützt von den Läufern. Der Angriff stützt sich hauptsächlich auf die schnellen kurzen Pässe mit der ausgezeichneten Kunst des virtuosen Dribblings.“

Auf das dritte Spiel der Borussen gegen Unione Sportiva Torinese in Turin schaut „Il Paese Sportivo“ geradezu schwärmerisch voraus: „Die deutsche Mannschaft Borussia, die dieser Tage die wunderbaren Spielerfolg gegen die Unseren erzielt hat, wird am Samstag Gast der US Turinese sein. Turin wird die deutschen Spieler bewundern können.“ Borussia wurde den Vorschusslorbeeren in allen Belangen gerecht, siegte durch Treffer von Regitz und Lutz (2) auf leicht schneebedecktem Boden glatt mit 3:0. „Die Spieler von der Saar waren nicht müde, gestern im Turiner Stadion die Weiß-Blauen mit 3:0 zu überfahren. Während der zwei Halbzeiten beherrschten sie ohne große Mühen das Spiel, und das Resultat ist als ganz respektabel zu betrachten“, so das Fazit von „Il Paese Sportivo“.

Schwarze Teufel in Turin: Ein Stürmer der Italiener (weißes Trikot) dringt in den Strafraum ein, Borussen-Torhüter Volz (li.) lauert auf der Linie, in der Mitte schauen Schneider und Dr. H. Neu zu. (Foto: Srchiv Borussia / 100 Jahre Ellenfeld)

Zum Abschluss der italienischen Reise treffen die Borussen auf die Sportfreunde aus Alessandria und müssen sich dabei mit äußerst widrigen Platzverhältnissen auseinandersetzen. „Das Feld zur Hälfte für Wasserballspiele, zur anderen Hälfte für Moorbäder glänzend geeignet, aber nicht zum Fußballspielen“, notiert der Chronist im Rückblick in Borussias Festschrift zum 50jährigen Bestehen. Dennoch wird auch dieses Spiel erfolgreich gestaltet: Regitz (2) und Hoffmann sorgen nach 90 Minuten für einen 3:2-Sieg, Torhüter Volz pariert gar einen Elfmeter.

Somit kehrte Borussia mit vier Siegen in die saarländische Heimat zurück – eine wahrlich beeindruckende Bilanz, die in ihrem Wert noch dadurch untermauert wird, dass eine Woche später die deutsche Nationalmannschaft, bestehend aus der damals hochgerühmten Nürnberger-Fürther Spielerkombination, gegen die italienische Landesvertretung in Mailand 1:3 geschlagen wurde. Bei den Italienern wirkten dabei mehrere Spieler aus den zuvor von den Borussen besiegten Vereinen mit! Was in der internationalen Sportpresse mit der Frage vermerkt wurde, warum eigentlich keine der großen Neunkirchener Fußballstars in der deutschen Elf mitgewirkt hätten …

Schwarze Teufel in Genua: Die Borussen (li.) mit ihrem Gegner, dem kommenden italienischen Landesmeister FC Genua. (Foto: Archiv Borussia / 100 Jahre Ellenfeld)

Was aber zu Beginn der20er Jahre fast noch wichtiger war als der sportliche Erfolg: „Die Mannschaft hat nicht nur auf dem Spielfeld den deutschen Fußball würdig vertreten, sondern hat es auch durch ihr Auftreten außerhalb des grünen Rasens verstanden, Achtung und Ansehen zu gewinnen und in Italien in jeder Beziehung würdiges Andenken zu hinterlassen“, heißt es wiederum in Borussias Festschrift 1955. Das geht auch daraus hervor, dass der Mannschaft am Tage des vorletzten Spieles angeboten wurde, unter sehr günstigen Bedingungen noch drei Spiele in Italiens Hauptstadt Rom auszutragen – ein Vergnügen, auf das die Borussen aufgrund des abgelaufenen Weihnachtsurlaubs einiger Spieler leider verzichten musste.

Fest steht: Mit den Erfolgen dieser Reise erlangten die „Schwarzen Teufel“ eine ungeahnte Popularität. Für die Fachpresse zählte Borussia neben den Serienmeistern der 20er Jahre, Spvgg. Fürth (1926, 1929), 1. FC Nürnberg (1920, 1921, 1924, 1925, 1927) und Hamburger SV (1922, 1923, 1928) zu den Top-Mannschaften Deutschlands, ja sogar darüber hinaus in Europa! „In diesen Gegenden muss man zum Künstler werden“, heißt es in Goethes „Italienischer Reise“. Die Borussen haben sich jedenfalls im Land der Sehnsucht als wahre Fußballkünstler erwiesen! (-jf-)

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