Rückblick auf die Karriere des „Geburtstagskinds“ Stefan Kuntz / Mit 17 erster Einsatz im Borussen-Trikot / Vom kleinen Furpach aus in die große weite Fußball-Welt
Politisch waren die Zeiten schwierig, damals vor 60 Jahren. Die Kuba-Krise hält die Welt in Atem. Am 30. Oktober 1962, einem Dienstag, unterbrechen die USA die Blockade gegen Kuba zunächst für 48 Stunden. Das geschieht auf Wunsch des UN Generalsekretärs Sithu U Thant, der in Kuba zu Gesprächen weilt. Am selben Tag lehnt die Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) den sowjetischen Antrag ab, in dem die Aufnahme der Volksrepublik China statt Nationalchinas (Formosa) in die UN gefordert wird. Das Wetter zeigt sich eher von seiner trüben Seite, Niederschläge drücken auf´s Gemüt, die Sonne versteckt sich weitgehend hinter Wolken. Im Radio läuft auf irgendeinem Sender mit Sicherheit „Speedy Gonzales“, die damalige Nummer 1 der deutschen Single-Charts von Pat Boone. Im Neunkircher Ortsteil Furpach erblickt an diesem Tage ein Junge das Licht der Welt – für die Welt ist er (noch) einer von vielen, für seine Eltern ist er die Welt. Sie geben ihm den Namen Stefan. Was damals noch niemand weiß: Der Neunkircher Bub wird die Fußballwelt aufmischen und Karriere machen. Deutscher Meister, DFB-Pokalsieger, Torschützenkönig, Fußballer des Jahres, Nationalspieler, Europameister und WM-Teilnehmer, Nationaltrainer: Stefan Kuntz, einer der erfolgreichsten Sportler, die das Saarland hervorgebracht hat, der größte Sohn der traditionsreichen Borussia, wird am heutigen Sonntag 60 Jahre alt!
So fing alles an – Stefan Kuntz (oben 3. von rechts) in der D-Jugend von Borussia Neunkirchen. (Foto: Ellenfeld-Verein / Archiv Borussia Neunkirchen)
Stefan Kuntz´ Stern geht in der Spielzeit 1982/83 auf wie ein Komet. Die Offensiv-Gene des Vaters schlagen voll durch. Günter Kuntz hat für die Borussen Geschichte geschrieben, ist in Stefans Geburtsjahr mit der Borussia Südwestmeister geworden und zwei Jahre später in die Bundesliga aufgestiegen. Die Karriere des Sohnes begleitet und fördert er wohlwollend und kritisch-konstruktiv. Und hat seinem Stefan manches mit in die Wiege gelegt: Den Ehrgeiz, den unbeugsamen Willen zum Sieg, den nimmermüden Kampf und Einsatz. Nachdem das Eigengewächs der Borussia zuvor bereits als 17jähriger mit Einwilligung des Vaters beim Spiel der 2. Bundesliga Süd gegen Eintracht Trier im März 1980 (4:3) in die erste Mannschaft aufgerückt ist, wird er zwei Jahre später mit 36 Toren in 38 Spielen Torschützenkönig der damals drittklassige Oberliga Südwest. Die Elite-Liga hat jetzt ein Auge auf den jungen Stürmer geworfen.
„Mit der Borussia stand in der Oberliga das Derby gegen den FK Pirmasens an. Rolf Schafstall, der Cheftrainer des VfL Bochum, hat in diesem Spiel den Verteidiger des FKP beobachten lassen. Gegen den habe ich dann als direkter Gegenspieler drei Tore gemacht“, erzählt Stefan Kuntz von dem Tag, an dem sich für ihn der Traum von der Bundesliga erfüllte. Der VfL Bochum ermöglicht ihm sogar, seine Ausbildung zum Polizeibeamten fortzusetzen. Am 13. August 1983 schlägt der VfL die Kickers aus Offenbach mit 1:0. Stefan Kuntz schießt in der 73. Minute das Siegtor. Das erste von 41 in 100 Einsätzen und drei Jahren. Damit gewinnt der angehende Torjäger eine Wette gegen seinen Vater: Der hatte es in drei Jahren Bundesliga auf 22 Treffer gebracht. „Das schaffst du nicht“, hatte er seinem Sohnemann die Wette angeboten – augenzwinkernd, denn tief im Herzen war Günter Kuntz von den Qualitäten des Filius überzeugt. Zurecht! Denn in 449 Liga-Spielen stehen am Ende 179 Treffer zu Buche! „Es sollte ja nur ein Ansporn sein“, lächelt er noch heute über die Wettniederlage. Nicht um den schnöden Mammon wurde gewetteifert, der Preis: Ein Essen für die ganze Familie.
Mit rekordverdächtiger Quote machte Stefan Kuntz in der Oberliga-Saison 1982/83 auf sich aufmerksam. Torjubel gab es auch in der Bundesliga wie am Fließband. (Foto: Ellenfeld-Verein / Archiv Borussia Neunkirchen)
Überhaupt: Die Familie mit Ehefrau Sabine, Tochter Laura-Isabelle und Sohn Marc-Maurice ist in all den erfolgreichen Jahren – wie seine Heimat in Haus Furpach – der feste Bezugspunkt und Mittelpunkt geblieben, auch wenn er als Spieler und Trainer in viele Städte und Länder sieht. Die Heimat behält ihren besonderen Stellenwert, der sich im regelmäßigen Training mittwochs mit den früheren Kameraden in der AH des SV Furpach dokumentiert. Von beeindruckender Bodenständigkeit, Menschlichkeit und Empathie spricht denn auch Neunkirchens Ex-OB Jürgen Fried im Juli 2017, als sich Stefan Kuntz – als Lohn für seine besondere Lebensleistung – in das goldene Buch der Stadt eintragen darf. Er habe eine tolle Kindheit verbracht, berichtet der Geehrte, durfte sich früh mit den Größeren auf dem Bolzplatz messen, „weil ich von meinem Vater den besten Ball geschenkt bekommen habe.“ Auch in Wien, wo Günter Kuntz 1968 für zwei Jahre seine aktive Laufbahn ausklingen lässt. Der kleine Stefan wird dort eingeschult, will am liebsten ein paar Mal in der Woche das Auto waschen, denn im Kofferraum liegt der begehrte Lederball. Kein Wunder, dass das Auto immer schnell „gewienert“ ist! „Und wenn wir in Österreichs Fußballtempel Praterstadion Training hatten, war der Stefan mit seiner `Quetsch´ dabei und tobte sich auf einem Nebenplatz aus“, weiß Günter Kuntz zu berichten. Dabei habe der Bub mit seiner Fußballbegeisterung einen enorm großen Verschleiß an Bällen gehabt.
Doch das ist der Karriere sehr zuträglich. Die führt den jungen Stefan von der Castroper Straße weiter nach Uerdingen. 1989 heuert der Stürmer bei den Roten Teufeln an. Kaiserslautern – die Heimatstadt seines Vaters, bevor er Anfang der 60er-Jahre vom VfR auf dem Erbsenberg zur Borussia in die Hüttenstadt übersiedelte, und deshalb auch für Stefan Kuntz eine Art zweite Heimat: „Hier habe ich als kleiner Junge bei den Großeltern meine Ferien verbracht und mit meinem Cousin auf den Bolzplätzen und Schulhöfen Fußball gespielt.“ Auf dem Betzenberg erklimmt er im Trikot mit der Nummer 11 den Gipfel seiner Karriere: Säge, Schnurrbart, Titel, Tore – das alles prägt seine Zeit beim FCK, mit dem er 1990 DFB-Pokalsieger und ein Jahr später Deutscher Meister und Fußballer des Jahres wird. „Ich lebe und sterbe für diesen Verein“, diktiert den Reportern der FAZ in die Notizblöcke. Nicht nur das macht ihm zum absoluten Publikumsliebling in der Pfalz. Auch international hat er Erfolg, macht 25 Länderspiele (6 Tore) ohne eine einzige Niederlage – Rekord! Die Highlights: Die WM-Teilnahme 1994 in den USA und der Gewinn der Europameisterschaft 1996 mit zwei Kuntz-Toren im Halbfinale gegen Gastgeber England.
Mit Weltmeister Andreas Brehme (oben li.) auf dem Betzenberg – der Höhepunkt seiner Karriere. Kuntz-Tore für den FCK – auf der Anzeigen-Tafel am Betzenberg keine Seltenheit. (Fotos: Jo Frisch)
Der mit dem Wechsel zu Besiktas Istanbul verbundene Abschied von der Bundesliga und vom Betzenberg tut allen Beteiligten weh. Stefan Kuntz schämt sich seiner Tränen nicht. „Immer, wenn ich mich schlecht fühle, bin ich nahe am Wasser gebaut“, erzählt er einmal. Bevor er 2008 an die Stelle der größten Triumphe zurückkehrt, versucht sich der Stürmer (nach weiteren Spielerstationen in Bielefeld und zum Abschluss nochmal beim VfL Bochum) als Trainer, führt dabei als Nachfolger von Heinz Halter seinen Heimatverein Borussia im Ellenfeld zu Meisterehren: „Der Kuntz-Express, der im Zeitraum zwischen dem 4. Dezember 1999 und dem 12. Mai 2000 in 14 Oberliga-Spielen unbesiegt blieb, steuerte mit Volldampf Richtung Titelgewinn und ließ die Borussia in neuem Glanz erstrahlen“, heißt es in „Mythos Ellenfeld“, der Festausgabe zum 100jährigen Bestehen. Leider zerplatzt der Traum vom Aufstieg in den Relegationsspielen. „Eine sehr schöne und vor allen Dingen sehr emotionale Zeit“, resümiert Stefan Kuntz und wechselt nach Karlsruhe, anschließend zum Waldhof in Mannheim, später zu LR Ahlen – entscheidet sich aber letztlich gegen den Trainerberuf und für ein Studium und die Laufbahn im Fußballmanagement. Mit Erfolg: Hier bringt er zuerst die TuS Koblenz auf Vordermann, dann den FCK, wo er 8 lange Jahre als Vorstandsvorsitzender Verantwortung übernimmt, den Verein gemeinsam mit Coach Milan Sasic 2008 nicht nur vor dem Abstieg in die 3. Liga rettet, sondern zwei Jahre später in die Bundesliga zurückführt.
„Wo geht die Reise hin?“ Nach dem Titelgewinn in der Oberliga verlässt der Meistertrainer das Ellenfeld. (Foto: Mythos Ellenfeld – 100 Jahre Borussia Neunkirchen)
Dort nimmt Stefan Kuntz 2016 seinen Hut. „Gut war, dass ich authentisch geblieben bin und wir den FCK wirtschaftlich gut aufstellen konnten. Nicht gut war, dass ich in Konflikten andere oft nicht ihr Gesicht wahren lassen konnte, wenn ich Recht hatte. Und ich hätte früher merken müssen, dass ich mich in zu vielen Verantwortlichkeiten verloren und dadurch meiner Stärken beraubt habe“, zieht er in gewohnt selbstkritischer Haltung in einem Interview des Magazins 11FREUNDE Bilanz. Doch einer wie er bleibt nicht lange ohne Beschäftigung. Der DFB beruft ihn als Nachfolger von Horst Hrubesch zum U21-Nationaltrainer. Mit seiner empathischen, respektvollen, ja geradezu väterlichen Art der Menschenführung entfacht der ausgesprochene Teamplayer, der großen Wert auf Zusammenhalt legt, bei seinen Schützlingen große Begeisterung. „Im Umgang mit den Spielern spielt bei mir die Intuition eine große Rolle, da helfen einem keine Regelbücher. Ich erzähle den Jungs oft Geschichten aus meiner Karriere – und nicht nur die schönen! Denn wenn sie wissen, dass auch ich schon in Krisen gesteckt, mich hilflos und einsam gefühlt habe oder Angst vor dem Spiel hatte, dann geht oft eine Tür auf, wenn sie sich in einer ähnlichen Situation befinden“, verrät Stefan Kuntz eines der Geheimnisse, die seine Kommunikations- und Motivationskompetenz ausmachen – vom „Menschenfänger“ und „Spielerflüsterer“ ist zuweilen die Rede. Kein Wunder, dass die jungen Nationalspieler für ihren Coach durchs Feuer gehen und gleich zweimal Europameister (2017 und 2021) werden. 2019 erreicht das Team das Finale und nimmt an den Olympischen Spielen in Tokio teil – unvergessliche Erlebnisse auch für den vielseitigen Stefan Kuntz. Doch nicht nur als Trainer verdient er sich Meriten, er profiliert sich zugleich im Fernsehen als TV-Experte, der die Sprache des Publikums spricht. Nun versucht er, die türkischen Nationalspieler mit seinen Worten zu erreichen – ganz sicher auch eine herausfordernde Aufgabe!
Wenn Stefan Kuntz am heutigen Sonntag im Kreis seiner Familie und Freunde seinen 60. Geburtstag feiert, weiß er ganz viel zu erzählen. Geschichten von seinen Anfängen bei der Borussia im Ellenfeld, Geschichten von seine Hoch-Zeiten am Lauterer Betzenberg, Geschichten aus „Tausend und einer Nacht“ von den Zeiten in Istanbul. Denn wenn sein Leben, seine Laufbahn eines nicht war, dann: Langweilig!
Seine Heimatstadt Neunkirchen und sein Heimatverein Borussia gratulieren Stefan Kuntz zum Ehrentag herzlich und wünschen ihm für die Zukunft alles Liebe und Gute, Gesundheit, Glück und Erfolg. Ad multos annos, Stefan Kuntz! (-jf-)
Tolle Bericht
Herzlichen Glückwunsch zum 60. Geburtstag unserem Ehrenmitglied Stefan Kuntz, herzlichen Dank unserem Pressebeauftragten Jo Frisch für diesen grandiosen Beitrag.
Prof. Dr. Jens Kelm
Mitglied im ÄR der Borussia
Stadiongesellschaft Ellenfeld