Borussias Aufholjagd nicht belohnt

Aus Borussias traditionsreicher Historie / Vor 63 Jahren im Mai: Qualifikation um die Endrunde zur Deutschen Meisterschaft gegen Werder Bremen

„Der Favoritenschreck aus dem Saarland“ – so leuchtete es in schwarzer Schrift auf rotem Grund dem Käufer der „deutschen Fußball-Illustrierten kicker“, wie das Fachmagazin damals noch hieß, entgegen. Themenschwerpunkt der Ausgabe Nr. 17 vom 17. April 1959, die noch für 50 Pfennig (!) zu haben war, war das bevorstehende Qualifikationsspiel um die Endrunde zur Deutschen Meisterschaft, bei dem sich auf neutralem Boden im Düsseldorfer Rheinstadion die Borussia und Werder Bremen gegenüber standen. Beide Mannschaften hatten sich für diese Partie durch die Vizemeisterschaft in ihren Oberligen ihre Teilnahme erstritten.

Die Borussen mussten sich in der Spielzeit 1958/59 im Südwesten dem Titelträger FK Pirmasens beugen – für diesen Saisonausgang entscheidend waren die beiden Spiele gegen die Männer vom Horeb, die die Borussen beide – sowohl im Ellenfeld (1:2) als auch beim FKP (2:4) verloren. Keine Schande, denn Pirmasens war in diesen Jahren das Maß aller Dinge, wurde (von 1958 bis 1960) gleich dreimal hintereinander Südwestmeister. Für die Borussen war dagegen mit dem Erreichen des 2. Tabellenplatzes nach vielen Jahren des „Herumdümpelns“ wieder ein Höhepunkt erreicht, der – was in diesem Moment noch niemand ahnte – die erfolgreichsten Jahre der Vereinsgeschichte einläuten sollte. Ganz Neunkirchen war jedenfalls stolz auf seine Borussia, die erstmals Anlauf nahm, an der Endrunde um die „Viktoria“, die Trophäe des deutschen Titelträgers, einzugreifen. Stellevertretend für die Begeisterung um die Borussen: Dieter Woll, der sich lange später (zwischen 1997 und 2003) als Vorsitzender des Aufsichtsrates engagierte. Der junge Mann bekam von seinen Eltern Geld für den Abschlussball in der Tanzschule, das er aber kurz entschlossen für die Reise im Sonderzug nach Düsseldorf verwendete, um seine Borussia dort zu unterstützen!

Für 4,- DM konnte man dabei sein: Sitzplatzkarte vom Spiel der Borussia gegen Werder Bremen Anfang Mai 1959 im Düsseldorfer Rheinstadion.

„Besonders gespannt ist man auf die Elf aus dem Saarland, deren kürzliche Fernseh-Galavorstellung starken Eindruck in ganz Deutschland machte“, heißt es in der Kicker-Vorschau. Fernseh-Galavorstellung? Gemeint ist die bundesweit erste Live-Übertragung eines Oberliga-Spiels, das die Borussen im Saarbrücker Ludwigspark gegen den Tabellenvierten 1. FCS mit sage und schreibe 6:0 (!) für sich entschieden. Als torgefährliche „Trümpfe der Borussia“ werden im Heft Mittelstürmer Rudi Dörrenbächer (23 Tore), Halbstürmer  Karl Ringel (20 Tore) sowie Linksaußen Werner Emser (24 Tore), der die Borussen als Kapitän aufs Feld führte, vorgestellt. Trainiert wurde die Mannschaft von Bernd Oles: Der damals 38jährige ging aus Hamborn 07 hervor und war vor seiner Tätigkeit im Ellenfeld als Spielertrainer in der Schweiz bei den Young Fellows in Zürich aktiv.

Die Top-Statistiker, so verrät der Kicker, tippten allerdings auf Werder. Warum? „Weil Werder von den letzten vier Spielen gegen Neunkirchen keines verlor“, weiß Redakteur Walter Setzepfand, der berichtet, dass Bremen und Neunkirchen 1956 und 1957 in die gleiche (sommerliche) Totorunde gesetzt wurden: „1956 gewann Werder in Bremen 9:2 (!) und holte in Neunkirchen ein 1:1. Im Jahr darauf gewann Werder auf eigenem Platz 2:1 und erreichte im Ellenfeld wieder ein Unentschieden (0:0).“ Aber an der Weser war man, so der Kicker, dennoch vorsichtig: „Nun wissen die Bremer sehr gut, dass sich die Borussen seitdem um eine volle Klasse steigerten. Man schätzt in Bremen den Gegner sehr hoch ein und hat vor allem vor den schnellen und robusten Neunkircher Stürmern Respekt.“ Die Bremer wollten jedenfalls nichts dem Zufall überlassen und spionierten ausgiebig:  Trainer Schorsch Knöpfle fuhr nach dem alarmierenden 6:0 Neunkirchens gegen den 1. FC Saarbrücken zwei Wochen später nach Ludwigshafen, wo er allerdings ein eher maues 0:0 der Borussen erlebte. Dagegen saß beim 4:2 gegen den 1. FC Kaiserslautern Werders Vorsitzende Dr. Burhorn ziemlich beeindruckt auf der Tribüne des Ellenfelds.

Die Borussen verließen schon am Donnerstag das Saarland und fuhren ins bergische Land. „Ein ruhiges, weitab vom Trubel gelegenes Gasthaus wird die Expedition aufnehmen“, so der Kicker. Doch letztlich hat auch das nicht geholfen: Die Norddeutschen siegten vor ausverkauftem Haus (35.000 Zuschauer) in einem denkwürdigen Spiel mit 6:3. Dennoch durfte Borussia erhobenen Hauptes den Platz verlassen. Denn die Schützlinge von Bernd Oles kamen mit einer Energieleistung nach einem zwischenzeitlich deprimierenden 0:4-Rückstand noch einmal auf 3:4 heran. „Da war das wahre Neunkirchen zu sehen. Ein Wirbel ging durch das Rheinstadion, von dem alle angesteckt wurden. Das beflügelte die Saarelf enorm. Wie Peitschenhiebe kamen die Attacken. Als sich dann die Borussen entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen, als das 4:4 nur eine Frage von Sekunden schien, die Wende greifbar vor den Füßen lag, führte der klügste Spieler, Schröder, den Gegenschlag“, berichtet die „Saarbrücker Zeitung“ (SZ). In der Tat: Bremens Stürmer Willi Schröder erwies sich in der Schlussphase als Matchwinner für die Grün-Weißen, der mit zwei Kontertoren die Borussen ihrer letzten Hoffnungen beraubte.

„Dieser Zwischenspurt versöhnte die Neunkircher mit vielem, zeigte dem sachkundigen Publikum, dass der Südwestzweite doch mehr zu bieten hatte als in der ersten Stunde. Das Aufholen von 4:0 auf 4:3 – in einem so wichtigen Treffen ist eine Fußballtat, von der man noch lange sprechen wird“, so das Fazit der „SZ“. Die Borussen sollten nur wenige Monate später erneut die große Bühne des deutschen Fußballs betreten: Im DFB-Pokalfinale zogen die Schwarz-Weißen aus dem Ellenfeld gegen Schwarz-Weiß Essen wieder den Kürzeren. Doch das ist eine andere Geschichte. (-jf-)

Die Borussia spielte in Düsseldorf in folgender Aufstellung: Jirasek – Frisch, Leist, Ding, Lauck, Harig, Follmann, Meurer, Dörrenbächer, Ringel, Emser.

Werders Mannschaft sah wie folgt aus: Brodnic – Hagenacker, Rupozinsky, Brünglinghaus, Heyse, Schymeczek, Wilmovius, Schröder, Schptz, Hänel, Barth.

1 Kommentar

  1. Toller Artikel, kann mich noch gut erinnern. Mein Vater fuhr mit Borussenfahne mit dem Sonderzug mi! Auch an das 6:0 im Ludwigspark kann ich mich erinnern!
    Gruß aus Sevilla
    Auf geht’s Borussia, ihr schafft den Aufstieg!
    Werner Bohr

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