Aus der traditionsreichen Geschichte der Borussia / Endrunde um die deutsche Meisterschaft 1963 – Teil 3: Borussias Kampf mit den Münchner Löwen
Unser Bild: Gruppendynamische Interaktion im Stadion an der Grünwälder Straße, bei der die Borussen Hennes Schreier, Achim Melcher und Horst Kirsch versuchen, einen Einschlag im eigenen Tor zu verhindern. (Foto: 90 Minuten – mit Ferdi Hartung in die Bundesliga)
Paul Pidancets Erinnerungen sind weitgehend verblasst. Aber eines ist dem heute 82jährigen Trierer, der von 1961 bis 1966 im Trikot der Borussia die erfolgreichsten Jahre seiner Spielerkarriere erlebte, dann doch noch im Gedächtnis haften geblieben: „Als wir ins Stadion einliefen, haben uns mehr als 35.000 Menschen empfangen und mit einer solchen Inbrunst das Vereinslied gesungen, dass einem fast das Herz in die Hose rutschte. Eine solche Kulisse, das muss man sagen, waren wir ja aus der Oberliga Südwest bis auf wenige Ausnahmen, wenn es zum Beispiel gegen Saarbrücken oder Kaiserslautern ging, überhaupt nicht gewohnt, zumal auswärts“, erzählt Paul Pidancet.
„57, 58, 59 – sechzig, sechzig!“ Der sogenannte „Sechz´ger Marsch“ den die Fans auf Giesings Höhen in der proppenvollen Stehhalle des Stadions an der Grünwalder Straße intoniert hatten, muss wirklich beeindruckend, sogar regelrecht einschüchternd gewesen sein. Denn obwohl die Borussen immerhin mit der Empfehlung zweier ungeschlagener Spiele in der bisherigen Endrunde und als Tabellenführer der Gruppe 2 nach München gekommen waren, schien den Jungs von Trainer Hans Pilz jegliches Selbstvertrauen die Isar hinabgeschwemmt worden zu sein. Verzagt und ängstlich, wie das viel zitierte Kaninchen vor der Schlange, trat der Südwest-Vizemeister in der Höhle der Löwen auf. Angeführt vom Mittelfeldstrategen und Taktgeber Hansi Küppers, der im Trikot von Schwarz-Weiß Essen den Borussen schon vier Jahre zuvor im Pokalfinale 1959 einiges Kopfzerbrechen bereitet hatte, ließen es die Münchener schon nach vier Minuten zum ersten Mal im Kasten von Horst Kirsch klingeln: Borussias Torwart konnte genau wie sein Abwehrspieler Achim Melcher dem Leder, das von Nationalspieler Rudi Brunnenmeier abgefeuert worden war, nur noch konsterniert hinterher schauen, als es im Netz einschlug – schlechter konnte der Auftakt nicht sein! Die Löwen blieben am Drücker, doch im Fortlauf des Spiels steigerten sich die Borussen und ließen bis zum Pausenpfiff von Schiedsrichter Joachim Weyland aus Oberhausen keinen Treffer mehr zu.
Zwar versuchte Trainer Hans Pilz, seine Mannen in der Kabine noch einmal aufzurichten und neu einzustellen, doch das Déjavù-Erlebnis nach Wiederanpfiff ließ nicht lange auf sich warten. Wieder waren kaum fünf Minuten gespielt, da musste Horst Kirsch den Ball nach dem Einschuss von Wilfried Kohlars erneut aus dem Netz holen. Jetzt waren die Löwen so richtig losgelassen! Spätestens mit dem 3:0 durch Brunnenmeier nach knapp einer Stunde war die Partie gelaufen. Zwar wehrten sich die Borussen tapfer, doch mehr als Schadensbegrenzung konnte an diesem Nachmittag nicht mehr drin sein. Das gelang halbwegs, denn kurz vor Schluss stellte erneut Brunnenmeier, der von der Abwehr der Borussia nicht in den Griff zu kriegen war, das Resultat auf 4:0. „58, 58, 59 – sechzig“ – die Sechz´ger hatten den Borussen ordentlich den Marsch geblasen! Die Tabellenführung und damit die gute Ausgangsposition war futsch – weil im Parallelspiel die Dortmunder den HSV mit 3:2 bezwangen, rutschte Borussia auf Platz 3 ab, jetzt thronten die Münchener auf dem Spitzenplatz, ehe sie zum Rückspiel in den Saarbrücker Ludwigspark kamen.
Dort waren die Borussen eine Woche später zum Siegen verdammt, wollte man im Kampf um die Finalteilnahme weiter ein Wörtchen mitreden. Wieder fieberten fast 40.000 Fans mit der Borussia, die sich bis nach der Pause gedulden musste, ehe Elmar May das erlösende Führungstor glückte (49.). Trainer Max Merkel, der mit seiner Mannschaft im Hotel Waldhaus in Schüren bei St. Ingbert Quartier bezogen hatte und 1860 drei Jahre später zum Titelgewinn in der neuen Bundesliga führen sollte, trieb seine Schützlinge jetzt nach vorne, doch die Borussia hielt dem Druck stand und ordentlich mit. Erwin Gold vollendete einen Konter zum 2:0 (81.), das Gegentor von Alfred Stemmer zwei Minuten später bescherte den Zuschauern eine hochdramatische Schlussphase, in der Borussias Abwehr um Horst Kirsch nichts mehr anbrennen ließ. Neunkirchen war wieder zurück im Rennen, lag nach Dortmunds 1:0 beim Hamburger SV punktgleich mit dem Namensvetter aus dem Ruhrgebiet an der Tabellenspitze der Gruppe 2 – die Voraussetzungen für das ultimative Spitzenspiel zwischen den beiden Borussia-Teams wiederum eine Woche später im Ludwigspark konnten nicht besser sein! (-jf-)
Im vierten Teil unserer kleinen Serie (am Montag, 8. Juni): „Wir waren ein verschworener Haufen!“ – Interview mit den Teilnehmern der Endrunde 1963, Günter Kuntz und Günter Schröder
Die Tabelle nach dem 4. Spieltag:
1.Borussia Dortmund 6:5 Tore / 5:3 Punkte
2.Borussia Neunkirchen 5:5 Tore / 5:3 Punkte
3.1860 München 8:7 Tore / 4:4 Punkte
4.Hamburger SV 5:7 Tore / 2:6 Punkte
Statistik
1860 München – Borussia Neunkirchen 4:0 (1:0)
1860: Herrnleben – Steiner, Stemmer, Wagner, Zeiser, Kohlars, Küppers, Rahm, Auernhammer, Heiß, Brunnenmeier. – Trainer: Max Merkel.
Borussia: Kirsch – Leist, Schock, Schreier, Schröder, Glod, Melcher, Ringel, Kuntz, May, Pidancet. – Trainer: Hans Pilz.
Tore: 1:0 (4.) Brunnenmeier, 2:0 (50.) Kohlars, 3:0 und 4:0 (59. / 87.) Brunnenmeier. – Schiedsrichter: Hans-Joachim Weyland (Oberhausen). – Zuschauer: 35.000.
Borussia Neunkirchen – 1860 München 2:1 (0:0)
Borussia: Kirsch – Leist, Schock, Schreier, Schröder, Glod, Melcher, Ringel, Berg, Kuntz, May. – Trainer: Hans Pilz.
1860: Herrnleben – Reich, Steiner, Stemmer, Wagner, Zeiser, Kohlars, Küppers, Auernhammer, Heiß, Brunnenmeier. – Trainer: Max Merkel.
Tore: 1:0 (49.) May, 2:0 (81.) Glod, 2:1 (83.) Alfons Stemmer. – Schiedsrichter: Günther Baumgärtel (Hagen). – Zuschauer: 39.000 in Saarbrücken.
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