Was auch auf dem Spiel steht

Von einer möglichen Insolvenz betroffen: Borussias Junioren und die U23 – beide Abteilungen waren, vor allem wegen des großen Engagements vieler Ehrenamtlicher, zuletzt stark im Aufwind und machen sich große Sorgen um den Weiterbestand

Unser Bild: Fast 200 Jugendliche jagen derzeit mit großer Begeisterung im Borussen-Trikot dem runden Leder hinterher – Tendenz steigend und ein wichtiger Beitrag auch zur sozialen Arbeit in der Stadt! (Foto: -jf-)

Die Not ist groß im Ellenfeld. Das Damokles-Schwert der Insolvenz hängt über der Borussia. Das dritte Mal in der 120jährigen Vereinsgeschichte. 2003 und 2015 konnte man den Kopf aus der Schlinge ziehen. Und diesmal? „Wir hängen derzeit alle in der Luft“, sagt Jörg Backes, Trainer der Saarlandliga-Mannschaft. Doch es geht nicht nur um die erste Mannschaft. Es hängt wesentlich mehr dran! Facebook-User Christian Schüllix bringt es in seinem Internet-Kommentar auf den Punkt: „Was wirklich schmerzt: Sie haben endlich mal wieder eine gut funktionierende Jugendabteilung und viele, die der Borussia mit Leib und Seele helfen. Gerade für diese Leute tut es mir sehr leid.“ In der Tat: Da ist in den letzten Jahren etwas herangewachsen, worauf man beim Borussen-Nachwuchs stolz sein darf. Und das ist nicht nur aus sportlicher Sicht von enormer Bedeutung, denn die im Ellenfeld geleistete Jugendarbeit ist (unbezahlte und unbezahlbare) Sozialarbeit pur – gerade in Neunkirchen, das einen hohen Migrationsanteil hat. Ein Fortbestand des Vereins wäre also eine Win-win-Situation: Für Borussia und die Stadt!

„Die in den letzten Jahren mit viel Arbeit gelegte Struktur des sportlichen Unterbaus mit Jugend und U23 ist gut und auch nachhaltig“, stellt der kommissarische Jugendleiter Marco Reiser fest und hofft inständig, „dass eine Lösung gefunden wird, die es uns erlaubt, die Arbeit bei der Borussia fortzuführen.“ Auch für Marco Reiser ist der soziale Stellenwert der Jugendarbeit mehr als nur eine Randnotiz: „Die Kinder und Jugendlichen lernen hier dank des großen Engagements unserer Trainer Teamfähigkeit, respektvollen Umgang miteinander und vieles andere, das weit über den Fußball hinaus geht und in die Gesellschaft hineinwirkt.“ Dass da im Ellenfeld gute Arbeit geleistet wird, zeigen nicht nur die zahlreichen Anmeldungen bei den Jugendturnieren (Chris Bläs-Turnier, Nikolaus-Turnier), sondern auch die stetig gestiegene Zahl der jungen Fußballer, die das Borussia-Trikot schon tragen und tragen wollen.

Oliver Kremp (oben re., mit den Minis der Borussia und seinem Trainerkollegen Oliver Koch) ist derzeit dienstältester Jugendtrainer im Ellenfeld. (Foto: Jugend Borussia Neunkirchen)

„Von rund einem Dutzend Spieler 2019 ist unsere Junioren-Abteilung auf mittlerweile fast 200 Jugendliche angewachsen, die in der laufenden Spielzeit sämtliche Altersklassen von G- bis A-Jugend mit mindestens einer Mannschaft abdecken – und das ganz ohne Spielgemeinschaft“, berichtet Oliver Kremp. Der derzeit dienstälteste Jugendtrainer ist seit sechs Jahren dabei, als einer der „Aufbauhelfer“ hat er in dieser Zeit die Jahrgänge 2009, 2010 und 2011 begleitet und sie vom Punktelieferanten zu kampfstarken Mannschaften entwickelt, die sich als erste Jugendteams im Borussen-Trikot seit vielen Jahren für eine höhere Spielklasse qualifizieren konnten. Immer mit dabei: Jörg „Pogie“ Jung, derzeit sportlicher Leiter der Jugend im Ellenfeld, und Oliver Koch, eigentlich Box-Trainer und als solcher zuständig für die grundsätzliche sportliche Leistungsfähigkeit. „Bei Borussia war es immer schwierig, da der Verein finanziell nie auf Rosen gebettet war. Fehlende Duschmöglichkeiten, baulich schlechter Zustand der Infrastruktur und anfangs fehlende oder mangelhafte Ausrüstung waren nur wettzumachen durch Enthusiamus und Engagement“, blickt Jörg Jung zurück und ist froh, dass „das Problem der hohen Fluktuation bei den Jugendleitern und Trainern unter dem derzeitigen kommissarischen Jugendleiter Marco Reiser eingedämmt werden konnte. Mittlerweile stemmt ein eingeschworenes Team aus Trainern, Betreuern und Jugendverkaufsraum-Mannschaft Turniere, Spieltage und größtenteils auch die Kosten von 14 Jugendmannschaften. Dabei arbeiten fast alle ehrenamtlich und ohne Vergütung – nur ganz wenige erhalten einen Kostenzuschuss.“

Bringt seine ganze Erfahrung in den Jugendfußball bei Borussia ein und hat einen guten Draht zu den Junioren: Jörg „Pogie“ Jung (oben). Ebenfalls Teil der eingeschworenen Jugendgemeinschaft im Ellenfeld: Das Woche für Woche egagierte Verkaufsteam im Jugendraum (unten). (Foto: -jf-/Jugend Borussia Neunkirchen)

Doch Oliver Kremp weist über das Sportliche hinaus auf einen eminent bedeutenden Faktor hin, der nicht unterschätzt werden dürfe: „Trainer und Mannschaftsgefüge geben den jungen Sportlern Halt und Struktur. Das ist deshalb so wichtig, weil viele aus problematischen und finanziell schwächeren Familien kommen und bei der Borussia Stabilität und eine sinnvolle Betätigung gefunden haben, die ihnen auch bei der Persönlichkeitsentwicklung hilft.“ Der Gedanke, dass dies alles auf der Kippe steht, bedrückt alle in der Jugendabteilung engagierten Borussen sehr: „Vor allem wegen der uns anvertrauten jungen Menschen“, so Oliver Kremp, der darauf hinweist, „dass viele Spieler gar nicht zu Vereinen außerhalb der Stadt wechseln könnten, da sie nicht mobil sind und es an Unterstützung der Familien fehlt.“ Der Jugendcoach hat für den Fall des Fortbestandes auch einen konstruktiven Vorschlag: „Mit ein wenig mehr Aufmerksamkeit, finanzieller Ausstattung und enger Anbindung an die erste Mannschaft könnten wir die in den letzten Jahren aufgeblühte Jugend ohne Probleme so weit entwickeln, dass sie eine echte Ressource für den Verein ist. Für die Kosten eines Spielers kann man beispielsweise zwei qualifizierte Jugendtrainer fair vergüten und deren Mannschaft gut ausstatten. Andere Vereine, deren erste Mannschaft ebenfalls in der Saarlandliga spielen, machen das sehr erfolgreich vor.“

Den sozialen Aspekt hebt auch Jugendtrainer David Höchst hervor: „Ich würde sehr schade finden, wenn Borussia keine eigene Jugend mehr hätte. Es macht mir sehr viel Freude, Kindern hier einen Platz zu geben und mitzuhelfen, dass sie nicht auf die schiefe Bahn geraten.“ Er habe selbst im Ellenfeld neue Freunde gefunden, Borussia sei für ihn wie eine kleine Familie geworden: „Das aufgeben zu müssen, wäre schlimm für uns – am schwersten aber würde es mir fallen, den Kindern beizubringen, dass sie nicht mehr im Borussia-Trikot antreten können, da der Verein dicht gemacht wird.“ Auch Marco Reiser würde es „das Herz zerreißen, wenn die aufgebauten Strukturen jetzt auf einmal eingerissen würden.“

„Jugend forsch!“ So hieß es zuletzt auch in der Saarlandliga-Mannschaft, wo die verletzungsbedingte Personalnot durch Akteure wie Jean-Charles Mananga Monthe (oben re.), Yamen Al Janadi und Kai Olze (unten) gelindert wurde – sehr zur Freude von A-Jugend-Trainer Kevin Lüder (oben re.). (Fotos: -jf-)

Sorgen macht sich ebenfalls Kevin Lüder, derzeit A-Jugend-Coach im Ellenfeld. „Im Januar wurde ich kontaktiert mit einem Konzept, das sich sehr gut anhörte. Ich soll die Jungs auf ihrem letzten Schritt im Jugendbereich begleiten und sie an den Herrenbereich heranführen, hieß es.“ Gesagt, getan: „In kurzer Zeit habe ich dann fast 30 neue Jugendliche aus dem halben Saarland nach Neunkirchen bekommen, die sich direkt in Verein, Tradition und Stadion verliebt haben“, so Kevin Lüder, der betont, „dass es uns nicht um Geld geht, sondern darum, den Verein wieder mit jungen Talenten aus den eigenen Reihen nach vorne zu bringen.“ Die bisherige Bilanz kann sich sehen lassen: A- und B-Jugend spielen Landesliga, die C-Jugend kickt in der Bezirksliga, die Teams darunter sind doppelt besetzt. Zudem standen mit Torhüter Tobias Leick, Paul Busch, Dennis Pick, Jean-Charles Managa Monthe, Kai Olze, Steven Tober, Ba Viet Vo und Yamen Al Janadi zahlreiche Akteure aus der U23 nicht nur im Kader der Saarlandliga-Mannschaft, sondern durften dort auch Spielpraxis bekommen. Umgekehrt haben Dominik Cullmann, Yannis Flausse und Dilowan Günel die zweite Mannschaft unterstützt.

Bringt als Stadionsprecher (li.) und Betreuer der U23 (re.) ganz viel Herzblut ein: Michael Rosar. (Foto: -jf-)

Stichwort U23:  Dieser Mannschaft hat sich Michael Rosar verschrieben. 1986 hatte er im Ellenfeld gegen den AS Dudweiler sein erstes Spiel erlebt: „Das war damals schon was Besonderes, in diesem Stadion zu stehen und die Atmosphäre hautnah zu spüren.“ Nach dem Abstieg aus der Oberliga entschloss sich Michael Rosar zum Engagement, ist seit 2019 gemeinsam mit Oliver Gerber als Stadionsprecher aktiv. „Spätestens zu dem Zeitpunkt wurde Borussia für mich mehr als nur ein Verein, Borussia wurde zur Familie“, schildert er sein emotionales Verhältnis. Durch seinen Sohn Maurice kam er in Kontakt mit der zweiten Mannschaft, wo er seit 2023 als Betreuer und „Mädchen für alles“ unverzichtbarer Bestandteil des Teams ist, das „als Bindeglied zwischen Jugend und erster Mannschaft konzipiert ist, um Jugendspieler halten zu können und Perspektivspieler beim Aufbau zu unterstützen, was bisher ja auch gut funktioniert hat.“ Am vergangenen Sonntag durfte sich Michael Rosar einerseits über ein klares 6:0 seiner starken Mannschaft über den SV Kohlhof freuen (Torschützen: Amah Dimitri Amadou (3), Paul Busch (2) und Steven Tober), andererseits „ist angesichts des möglicherweise letzten Spiels die eine oder andere Träne geflossen, denn wie und ob es weitergeht, wissen wir derzeit nicht – sehr, sehr schade, denn wir waren und sind mit der 23 auf einem richtig guten Weg“, beschreibt er seine diffuse Gefühlslage. Er selbst wird nicht mehr weitermachen: „Aber nicht im Bösen, sondern situationsbedingt, um zukünftig auch mehr Zeit mit meiner Frau Simone zu verbringen, die in den letzten Jahren gerade an den Wochenenden stark zurückstecken musste. Ich hoffe und wünsche aber sehr, dass es mit unser aller Borussen, auch der U23, irgendwie geordnet weitergeht, denn Neunkirchen ohne die Borussia ist eigentlich nicht vorstellbar!“

Damit spricht Michael Rosar allen Borussen aus dem Herzen. Kevin Lüder kann sich da nur anschließen: „Hoffentlich können wir unsere Arbeit und Leistung für die ganze Borussia und ihre Fans weiter einbringen!“ Der Trainer der A-Junioren ist derweil nicht in Untätigkeit verharrt, sondern hat viel herumtelefoniert. Was ihm dabei Zuversicht verleiht: „Die Jungs haben Lust, egal in welcher Liga. Hauptsache, wir können dem Verein helfen!“ Vielleicht sollten alle Borussen in der jetzt so schwierigen Lage einmal ein Stoßgebet Richtung Himmel schicken: Denn dort befindet sich mit dem Borussen-Leo ein Fürsprecher, der schon immer ein Herz für die Kinder und Jugendliche im Ellenfeld hatte! (-jf-)