Borussias Karl Ringel, Deutschlands ältester noch lebender Nationalspieler, wird heute 90 Jahre alt
Unser Bild: Kapitän, Leitfigur, Vorbild – Karl Ringel führt die Borussen-Mannschaft im Saarbrücker Ludwigspark aufs Feld zum entscheidenden Aufstiegsspiel 1964 gegen Tasmania Berlin – die Borussen siegen 1:0 und schaffen den Sprung in die Bundesliga! (Foto: Thomas Burgardt)
Eigentlich wollte er nie mehr hierhin. Hierhin – damit ist Neunkirchen gemeint. Die Stadt, wo die Männer „uff de Hidd“ und „in de Grub“ gingen. Stadt der Kohle und des Eisens, geprägt von Hochöfen und Fördertürmen. „Über der Stadt schwimmen Wolken, Nicht echte, himmlische, sondern künstliche Industriewolken, Wenn der Himmel klar und blau ist, so sieht man ihn von hier wie durch gelbes Flaschenglas“, hat der Schriftsteller Joseph Roth in seinen in der „Frankfurter Zeitung veröffentlichten „Briefen aus Deutschland“ einmal gesagt. „Als ich zum ersten Mal in Neunkirchen war“, erinnert sich Karl Ringel an die Osterzeit 1951, „musste ich mir den Ruß von der Hütte aus den Augen reiben. Alles war so trist und dreckig. Hier willst du nie wieder hin, dachte ich mir. Nie mehr!“ Doch es sollte ganz anders kommen.
Mit der A-Jugend seines Heimatclubs Spvgg Fürth war der damals 18jährige zu einem Jugendturnier im Ellenfeld eingeladen. Im Spiel gegen Saarlandmeister Borussia hinterließ Karl Ringel einen bleibenden Eindruck. Beidfüßig, schnell, abschlussstark – Grund genug für die Verantwortlichen der Borussia um Präsident Lachmann, den jungen Mann, der sich in Fürth nicht genug wertgeschätzt gefühlt hatte und mittlerweile zum VfB Friedrichshafen gewechselt war, 1953 ins Saarland zu locken. „Borussia hat mich regelrecht entführt“, erzählte Karl Ringel einmal in Werner Skrentnys Buch „Teufelsangst vorm Erbsenberg“: „Er wurde in ein Auto gelotst, man zeigte ihm die vielversprechenden großen Francs-Scheine“, ist dort weiter zu lesen. Borussen-Boss Lachmann brachte den Maschinenschlosser in seinem Zieh- und Stanzwerk „Menesa“ (Metallindustrie Neunkirchen-Saar) unter, 1955 ging Karl Ringel zu den Stadtwerken, wo er bis zu seiner Pensionierung 1992 Dienst tat.
Im Ellenfeld schlug der Offensivmann ein wie eine Granate. Bis 1963 trug er das Borussen-Trikot, schoss in 244 Oberligaspielen 107 Tore, wurde viermal südwestdeutsche Vizemeister, gewann 1962 mit seiner Borussia den Südwest-Titel und konnte sich mehrfach in der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft mit den Topteams messen. Ein weiteres Highlight: Die Teilnahme am DFB-Pokalfinale 1959 gegen Schwarz-Weiß Essen (2:5) im Kasseler Aue-Stadion. Auch zum Bundesligaaufstieg 1964 trug der Halbstürmer mit Spielmacherqualitäten sein Scherflein bei, schoss in der Aufstiegsrunde das goldene Tor zum 1:0-Sieg auf St. Pauli. Beim legendären 2:0-Sieg in München gegen den FC Bayern brachte er seine Borussen mit seinem verwandelten Handelfmeter auf die Siegerstraße. Dabei ließ sich Karl Ringel auch von seinem fränkischen Landsmann Herbert („Ertl“) Erhardt, der mit ihm in der Fürther Jugend groß geworden war, nicht aus dem Konzept bringen. „Schiaß danaben, ihr hobt´s eh koa Chance“, hatte der ihm unmittelbar vor der Ausführung des Strafstroßes zugeraunt. „I hau ihn rein, vielleicht brauch´ mer ihn noch“, so der coole Konter des Borussen-Kapitäns. Gesagt, getan: Die Bayern mussten eine weitere Warteschleife bis zum Aufstieg in die Bundesliga drehen.
Bei derartigen Leistungen muss es nicht verwundern, dass er auch auf internationalem Parkett Auftritte hatte. Am 1. Mai debütierte Karl Ringel im heimischen Ellenfeld in der saarländischen B-Nationalmannschaft gegen die Niederlande (4:2), kam zu weiteren Einsätzen in der Auswahl des saarländischen Fußballverbandes, der seinerzeit selbstständiges Mitglied der FIFA war. Bei der 2:3-Niederlage in Amsterdam gegen Holland gelang dem Borussen sein einziges Länderspieltor. Das Foto des entscheidenden Kicks gegen Torhüter Frans de Munck hütet er – neben Zeitungsausschnitten und Bildern aus den großen Tagen – bis heute wie ein Augapfel. Doch damit nicht genug: Für den DFB berief Bundestrainer Sepp Herberger Karl Ringel im Dezember 1958 in den Kader der A-Nationalmannschaft, mit der Borussias Stürmer gegen Ägypten mitwirkte, die 1:2-Niederlage aber nicht verhindern konnte. Ein Bild zeigt den Borussen auf einem Kamel sitzend in Kairo-Gizeh, die Pyramiden und die Sphinx im Hintergrund. Unvergessen auch die drei Wochen, die er 1960 mit der Borussia auf Empfehlung des DFB in der damaligen Sowjetunion bei einer Spielreise erlebte. Die Fotos, die er von einem Militärflugplatz aufnahm, fanden reges Interesse beim Bundesnachrichtendienst. „Ein paar Wochen später standen ein paar Leute vom BND bei mir zuhause in Wellesweiler auf der Matte“, berichtete er einmal.
In der Bundesliga musste Karl Ringel schließlich den zahlreicher Knieoperationen Tribut zollen und bekam nur noch einen Einsatz: Bei der Berliner Hertha hatte er sich mit Eisenfuß Otto Rehhagel auseinanderzusetzen. Zum Ausklang der Karriere folgte er dem Ruf seines einstigen Borussen-Trainers Bernd Oles zum 1. FC Saarbrücken, ehe im Sommer 1966 der Abpfiff seiner Laufbahn ertönte. In seinem Auftreten war Karl Ringel sportlich wie menschlich stets Vorbild. „Ein großartiger Kämpfer, der sich in den Dienst der Mannschaft stellte und auch gespielt hat, wenn er nicht völlig fit war. Er hatte fußballerisch viel drauf und war eine Führungspersönlichkeit, ging selbst vornweg und hat uns immer wieder angetrieben.“ Das Urteil seines früheren Mitspielers Erich Leist spricht für sich. Nicht umsonst trug Karl Ringel etliche Jahre die Kapitänsbinde, Ehefrau Hanne betreute die Frauen und Freundinnen der Mannschaftskameraden.
Wie das Leben so spielt: Karl Ringel ist dort, wo er eigentlich nie wieder hinwollte, nicht nur heimisch, sondern auch dreifacher Vater, fünffacher Opa, sogar Urgroßvater und später Ehrenspielführer der Borussia geworden. Er ist gekommen, um zu bleiben! Seinen heutigen Ehrentag feiert der Jubilar, nach dem Tod von Horst Eckel der älteste noch lebende deutsche Nationalspieler, zurückgezogen in einem Neunkircher Seniorenheim. Einen Besuch im geliebten Ellenfeld, seiner sportlichen Heimat, lässt der Gesundheitszustand leider nicht mehr zu.
In einem Beitrag von BILD-Saar anlässlich seines 90. Geburtstages ist vom „vergessenen Nationalspieler“ die Rede. Borussia hat Karl Ringel nicht vergessen, im Gegenteil: Borussia verneigt sich in Dankbarkeit vor der Lebensleistung eines großen Menschen und Sportlers, gratuliert ganz herzlich zum Geburtstag und wünscht Karl Ringel alles erdenklich Gute! (-jf-)
Stationen einer Karriere – Karl Ringel in Bildern
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Wolfgang Rausch vom Ellenfeld-Verein und Thomas Burgardt für die Bildauswahl!
Lieber Karl Ringel,
ich wünsche Ihnen alles Gute zum 90.
Ich denke heute noch an die glanzvolle
Zeit zurück, die ich im „Ellenfeld“ mit-
erlebt habe!
Mit sportlichem Gruß
Werner Bohr, Ffm.
Ein sehr schön geschriebener Bericht, im Namen meines Opas möchte ich mich für die Wertschätzung bedanken. Viele Grüße Enkel Steven Wagner