Heute vor 50 Jahren: Ganz besondere Gefühle an einem ganz besonderen Mai-Feiertag – ein halbes Jahrhundert ist es her, dass im Ellenfeld am 1. Mai die Emotionen besonders hoch ausschlugen!
Unser Bild: Ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern sich im Frühling 1974 die Borussia und der 1. FC Saarbrücken im Titelkampf der Regionalliga Südwest. Die Borussen hatten das Hinspiel im Ellenfeld vor einer Mega-Kulisse mit 3:1 für sich entschieden. (Foto: Ellenfeld-Verein / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Die Zeiten ändern sich, doch der Mai kommt immer wieder! Während vor 50 Jahren zwischen der Borussia und dem 1. FC Saarbrücken noch eine große Rivalität herrschte, ist die Situation heute sehr entspannt, ja es bestehen in der Fanszene sogar Freundschaften, die dazu führen, dass der Borussen-Anhang in zahlreichen Spielen von Fans aus dem Ludwigspark unterstützt wird und umgekehrt. Symbol dieser neuen „Beziehung“: Die große Schwenkfahne, die die Farben und die Logos beider Clubs in sich vereinigt und sowohl im Ellenfeld als auch im Ludwigspark zum Einsatz kommt. Das war am 1. Mai 1974 noch ganz anders, wie unser Rückblick zeigt – ein Tag, der vielen älteren Borussen noch in Erinnerung ist und vielleicht auch noch beim heutigen Frühschoppen am Ellenfeld ein Gesprächsthema war!
Für die Regionalligisten im deutschen Fußball standen die Spielzeit 1973/74 ganz im Zeichen der Spielklassen-Reform. Die neue zweite Liga, in die Gruppen Süd und Nord aufgeteilt, warf ihre Schatten voraus. Auch der Weg der Teams aus dem Südwesten sollte sich trennen: Sieben kommen in die 2. Liga Süd, neun müssen runter ins Amateurlager! Für die Borussen und ihren Trainer Erwin Türk gab es aber noch eine weitere Option: Die Rückkehr in die Bundesliga, die zuvor in zwei Aufstiegsrunden leider verpasst worden war! Hauptkonkurrent: Der Lokalrivale aus dem Ludwigspark, der 1. FC Saarbrücken.
Den Konkurrenten im Titelkampf, den 1. FC Saarbrücken, hatten die Borussen vor 30.000 Fans zuhause im Ellenfeld mit 3:1 schlagen können, das Rückspiel mit dem gleichen Ergebnis im Ludwigspark verloren. Vor dem Saisonfinale am 1. Mai 1974 kann dann die Ausgangsposition spannender nicht sein: Beide Clubs liegen punktgleich an der Tabellenspitze, der FCS ist um zwei Tore besser. Und doch scheinen die Malstätter im Vorteil, steht ihnen doch im Ludwigspark mit dem VfB Theley, 13. der Tabelle, die wesentlich leichtere Aufgabe bevor. Die Borussia erwartet zeitgleich den ASV Landau, der die Spielzeit auf einem guten Platz im Mittelfeld (9) beenden wird. Doch der FCS sollte die Rechnung ohne die selbstbewussten Gäste gemacht haben. Die Elf vom Schaumberg hatte im Vorfeld angekündigt, „es dem großen FCS nicht leicht zu machen“. Diese Worte sollten sich sich während der 90 Minuten keineswegs als „Schaumschlägerei“ erweisen!
Zum spannendsten Finale, das die Regionalliga Südwest während ihres zehnjährigen Bestehens erlebte, sind 7.000 Fans mit gedämpften Hoffnungen ins Ellenfeld gekommen. Handys sind noch in weiter Ferne, und so muss das alte Transistorradio herhalten, um mit sperrangelweit offenen Ohren zum Ludwigspark hinüber zu lauschen. Wilfried Burr, Sportchef der „Saarbrücker Zeitung“ hat ganz offensichtlich ein gutes Näschen bewiesen und ist ins richtige Stadion gefahren. Per Telefon hält er in der Sprecherkabine den Kontakt in die Hauptstadt des Saarlandes. Lange Zeit passiert in beiden Stadien nichts. Nach 43 Minuten zeigt Burrs Daumen nach oben: Theley führt im Ludwigspark! Und als die Borussen kurz nach der Pause ihre Pflicht erfüllen und Eichhorn und Bischoff binnen zwei Minuten das Resultat gegen defensivstarke Landauer auf 2:0 stellen, steigert sich die Stimmung von Minute zu Minute – erst recht, nachdem Henkes und „Freiherr von der Drenks“ mit zwei weiteren Treffern alles klar machen. Derweil steht es in Saarbrücken immer noch 0:1. Die letzten Minuten sind nervenaufreibend, manche Borussen-Fans schauen sich ungläubig an – sollte der Fußballkrimi doch noch ein Happy-End bereithalten?
Weitere Szenen vom 3:1-Sieg im Ellenfeld gegen den großen Rivalen aus der Landeshauptstadt (oben und unten / Fotos: Ellenfeld-Verein e.V., Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Kaum ist der Schlusspfiff ertönt, weicht das Bangen der Gewissheit: Borussia hat es geschafft, ist zum fünften Mal Meister der Regionalliga Südwest, so oft wie kein anderer Club! Borussen-Leo stürmt auf den Platz, die Spieler liegen sich in den Armen. In der Stadt werden die schwarz-weißen Fahnen gehisst. Im Geschäftszimmer, wo vor dem Spiel noch gedrückte Skepsis herrschte, dreht der Cognac seine Runden, in den Gaststätten rund um das Ellenfeld und in der City herrscht Hochbetrieb. Die Mannschaft des VfB Theley, vor dem Saisonfinale vom 1. FC Saarbrücken noch zum Essen ein- und nach der Partie postwendend wieder ausgeladen, macht sich mit Blumen (!) spontan auf den Weg nach Neunkirchen, wo sie enthusiastisch gefeiert wird und auch was gegen den Hunger bekommt, weil – wie die „SZ“ berichtet – die Borussen auf einen Teil ihres Meistermahls verzichten. Für die Borussia hat sich der Kreis geschlossen: 1964 nach der Ausbootung bei der Vergabe der Bundesliga-Startplätze Premierenmeister der neuen Regionalliga Südwest, jetzt auch der letzte Titelträger!
31 Jahre später (2005) sind anlässlich des 100jährigen Bestehens der Borussia die Leser in der „Saarbrücker Zeitung“ (SZ) aufgerufen, von außergewöhnlichen Erlebnissen im Ellenfeld zu berichten. Kein Wunder, dass der 1. Mai 1974 dazu gehörte. Uli Glup, heute Vorsitzender des Ältestenrats der Borussia, ist noch heute von diesem Tag geflasht. Seine ganz persönlichen Erinnerungen sollen hier noch einmal aufgefrischt werden:
„Es war ein milder Frühling im Jahr 1974, als die Borussia zu ihrer vielleicht überraschendsten Meisterschaft (…) kommen sollte. Mit Miko, Rudi und Klaus – wir waren knapp 10 Jahre alt – spielte ich sieben Tage die Woche Fußball. Dienstags und donnerstags stolperten wir mehr schlecht als recht, aber mit Begeisterung, in der E-Jugend der Borussia, an den übrigen Tagen malträtierten wir unseren geliebten holprigen und von Maulwurfshügeln übersäten Bolzplatz auf der Spieser Höhe. Es gab weder Playstation noch X-Box und schon gar kein Kabelfernsehen oder Internet. Fußball bestimmte unser Leben.
Wir waren am Ende unserer Grundschulzeit angelangt und wussten, dass sich unsere Wege trennen würden. Das tagtägliche `Fullen´ sollte nur noch eingeschränkt möglich sein. Unser Lehrer Kurt Humbs aus Wiebelskirchen beobachtete unsere Hingabe für den Fußball mit einer Mischung aus Verwunderung und Ärger. In jedem Schulheft, auf jeder Schulbank und jedem Lederranzen fand sich das goldene `B´ des Vereinsemblems – ob gezeichnet, eingeritzt oder aufgenäht. Keine Pause verging ohne Gebolze auf dem Schulhof. Montag bis Mittwoch wurde zum Diskutieren des vergangenen Fußballwochenendes, Donnerstag und Freitag zum Einstimmen auf die kommenden Spiele genutzt.“
Schlusspfiff im Ludwigspark, Jubel auf der Bank des VfB Theley (li.), der die Borussia zum Südwestmeister macht – Uli Glup erinnert sich gerne an seinen „schönsten Borussen-Tag“. (Fotos: Ellenfeld-Verein e.V., Archiv Borussia Neunkirchen Hartung / -jf-)
Vor dem letzten und entscheidenden Spieltag der Regionalliga-Saison waren die Borussia und das Ellenfeld dann auch in der Schule das Thema schlechthin, ein wagemutiger Vorschlag ihres Lehrers kam dabei den fuballbegeisterten Jungs gerade recht, wie Uli Glup, dessen Erzählungen heute wie aus der Zeit gefallen scheinen, weiter zu berichten weiß: „Wer von den Schülern das richtige Ergebnis des Borussen-Spiels vorhersage, sei von den Hausaufgaben befreit! Sollte der Lehrer selbst richtig liegen, hatten wir die Aufgabe in zweifacher Ausfertigung vorzulegen. Kopiergeräte waren uns damals noch nicht bekannt. Ohne Bedenkzeit prophezeiten wir ein 4:0 unserer Ellenfelder, während Kurt Humbs sich zu einem 1:0 durchringen konnte.
Für die Meisterfeier im Ludwigspark war an diesem 1. Mai alles gerichtet, ein Sieg gegen Theley schien für den FCS nur eine Formsache. Ein Raunen ging durchs Ellenfeld, als die Zuschauer von der Theleyer Führung erfuhren. Torschütze Kayser genießt in Neunkirchen heute noch Kultstatus. Beflügelt durch diesen Zwischenstand spielte die Borussen-Elf dann groß auf, und Eichhorn, Bischoff, Henkes und Drenks ließen Borussia Meister und unseren Tipp torgenau in Erfüllung gehen. Eine Kopie der Sportseite der `SZ´ hängt noch heute an meiner Wand. `Borussia ist Meister´ titelte Wilfried Burr, während Erich Philippi aus dem Ludwigspark über einen `Untergang mit Pauken und Trompete´ berichtete. Den 1. Mai feiern wir noch heute in Erinnerung an unseren schönsten Borussen-Tag. Die Hausaufgaben haben wir übrigens doch gemacht.“
Die nun anstehend Aufstiegsrunde zieht Uli Glup und seine Kameraden natürlich ebenso in ihren Bann. Die Marschroute von Trainer Erwin Türk ist klar: Getragen von der Euphorie will Borussia nun aufs Ganze gehen und unter Mobilisierung der letzten Reserven in die Bundesliga aufsteigen! Der Start gelingt: 0:0 bei Tennis Borussia Berlin, 1:1 im Ellenfeld gegen den FC Augsburg mit Alt-Star Helmut Haller, 2:1 bei RW Oberhausen. Doch nach dem 2:5 zuhause gegen St. Pauli sind die Borussen mit ihrer Kraft am Ende. Es reicht nur zum dritten Gruppenplatz, vor allem weil im heimischen Ellenfeld – in der Liga noch geradezu eine Festung! – kein einziger Sieg gelingt. Der Bundesligatraum ist ausgeträumt. Das ahnt auch Erwin Türk. Denn in der zweiten Liga kommen ungleich schwerere Brocken auf die Borussen zu. Doch das ist eine andere Geschichte. (-jf-)