Borussias Not stößt auf viele Emotionen

Ein Einblick in die Stimmungslage in ungewisser Situation

Hohe Wellen geschlagen hat im Laufe der bisherigen Woche die Nachricht vom Insolvenzantrag der Borussia. Nicht nur im Kreis des Borussen-Anhangs selbst, sondern auch überregional befassen sich zahlreiche Fußballfreunde mit der prekären Situation des Traditionsvereins aus dem Ellenfeld. Dabei bedient die umfangreiche Resonanz die gesamte Gefühlspalette: Von (teils vernichtender) Kritik über Mitleid, Trauer bis hin zu aufmunternden Worten. Das zeigt: Es hängen viele Emotionen an der Borussia. Wir lassen, stellvertretend für viele, ein paar Stimmen zu Wort kommen – zu verstehen als ein Ansatz lebendiger Diskussion.

Christian Müller hat in einem Beitrag des „Saarländischen Rundfunks“ (SR) ein Problem angesprochen, das die Borussia von vielen anderen Vereinen unterscheidet, das sie aber mit anderen Traditionsvereinen gemeinsam hat: Die Last der erfolgreichen, aber lange zurückliegenden Vergangenheit, Fluch und Segen der traditionsreichen Historie. „Die Bundesliga schwirrt immer noch bei den Leuten im Kopf herum, die Erwartungshaltung ist sehr hoch. Da wurden sicher in den letzten Jahren und Jahrzehnten Fehler gemacht bei der Abschätzung dessen, was möglich ist und wo man gerne hinmöchte. Aus dieser Zeit bestehen immer noch Altlasten, mit denen wir heute zu kämpfen haben“, so Borussias Vorstandsmitglied, der „aber jetzt niemandem die Schuld in die Schuhe schieben will.“ Dieses Thema greifen auch zahlreiche Kommentare im Internet auf. „Tradition hin oder her – irgendwann muss man realistisch sein“, schreibt Rainer Hermsdörfer, und Mike Diehl meint: „Bei der Borussia war man damit beschäftigt, die gute alte Tradition zu lobpreisen – manchmal ein wenig zu liebevoll, so dass man das Tagesgeschäft vergessen hat. Und jetzt liegt die Quittung auf dem Tisch.“ Ins gleiche Horn bläst Marvin Paffrath: „Die allermeisten Traditionsvereine und deren Anhänger verstehen einfach nicht, dass das Attribut `Tradition´ im heutigen Fußball keine Bedeutung hat. Du kannst dir davon weder Erfolg noch Überleben sichern. Tradition gehört ins Museum!“

Mit den vergangenen Zeiten fühlen sich dennoch zahlreiche Fans bis heute verbunden, dort liegen für den einen oder anderen die Ursprünge der engen Verbindung zur Borussia. So erinnert sich Björn Son in einem Kommentar: „Im Ellenfeld hatte ich mein erstes Stadionerlebnis, als Knirps vom Papa mitgenommen. Hier hatte wiederum auch mein Sohn sein erstes Stadionerlebnis. Von 3. bis 6. Liga alle Höhen und Tiefen der letzten 30 Jahre mitgemacht! Die Glanzzeiten wurden zwar nicht miterlebt, aber wie gerne hat man den anderen zugehört, wenn sie von der Bundesliga sprachen“, und schließt mit einem klaren Bekenntnis: „Wilde Auswärtsfahrten, emotionale Heimspiele, Skandale – ja, Borussia ist ein etwas anderer Verein. Genau das war für mich immer die besondere Anziehungskraft. Und egal, wie und wo es weitergeht: Die Farben der alten Dame Borussia tragen alle Borussen für immer in ihrem Herzen. Schwarz und Weiß die Farben, und ein goldenes B – das ist die Borussia, unser VfB!“ Dem kann Sascha Ferrang nur zustimmen: „Bei mir sind es 45 Jahre, ansonsten kann ich das eins zu eins übernehmen! Ich sitze 115 Kilometer von Neunkirchen entfernt und lese starr die News und Kommentare. Wir gießen unser Eisen, wir walzen unseren Stahl. Wir feiern die Borussia und singen noch einmal.“ Pascal Fontaine hat immer noch im Gedächtnis, dass „wir in den 70er-Jahren nach der Schule mit Schultasche vom Krebsberg ins Ellenfeld gepilgert sind und 2. Liga Süd geschaut haben. Ich war Fan von Ferdi Keller, den man damals vom HSV verpflichtet hat.“

Ebenfalls groß geworden mit Borussia ist Marc Schilke: „Als kleiner Junge bin ich mit dem Opa samstags immer ins Ellenfeld! Die glorreichen Zeiten des Vereins waren mir wie so vielen in meiner Generation leider nicht vergönnt, leider hat man in den letzten 25 Jahren das langsame Sterben mitgemacht.“ Zusammen mit Mirco Reitz zeichnet Marc Schilke für das große Graffiti an der Wand zu Block 5 (Foto unten) verantwortlich, die beiden Freunde engagieren sich auch sonst immer wieder für die Borussia, so zum Beispiel am „Tag des offenen Denkmals“ im Ellenfeld. Deshalb ist es für Marc Schilke auch keine Frage, „dass wir das Bestmögliche tun wollen, um die Tradition zu bewahren, und helfen, dass Borussia in eine bessere Zukunft blickt. Das ist der Ansporn: Borussia ist und bleibt Neunkirchen und wird für immer mit dieser Stadt in Verbindung gebracht. Heimat ist dort, wo man geboren wird.“ 

Gabi Karioth und die „Tribünentruppe“ (li.): Engagierte Helfer im Ellenfeld! Zu ihnen gehört auch Gerry Klaper (re.): Nicht nur seine kleine Fanfare ist bei jedem Spiel zu hören, sondern er ist nahezu auch jeden Tag im Ellenfeld am „werkeln“! (Fotos: privat)

Man spürt: Die momentan ungewisse Lage hat alle mitgenommen, denen die Borussia sehr viel bedeutet und die sich ehrenamtlich im Ellenfeld engagieren. Zu ihnen gehört auch Gabi Karioth: „Es macht mir großen Spaß, in meiner Freizeit mich hier einzubringen – sei es im Verkauf von Fanartikeln oder nach den Spielen beim Getränke-Ausschank im VIP-Raum. Man trifft viele gleichgesinnte Leute, die ebenfalls große Leidenschaft für die Borussia haben. Allen voran die Tribünentruppe, mit der wir in der kurzen Zeit des Bestehens schon vieles leisten konnten und dabei viel Spaß hatten.“ Diese Tribünentruppe, auch „Ultras der Ordnung“ genannt, hat es sich seit mehreren Monaten zum Ziel gesetzt, überall, wo Not am Mann ist, anzupacken: Mäharbeiten, Aufräumen und Säubern der Verkaufsbuden, Reinigung der Schalensitze, Arbeiten am Nebenplatz in der Ferraro-Sportarena – frei nach dem Motto: „Gutes tun, der Borussia guttun und es sich danach gut gehen lassen, jeder nach seinen Fähigkeiten. Manch einer der Tribünentruppe, so zum Beispiel Gerry Klaper, ist nahezu an jedem Tag im Ellenfeld, seinem „zweiten Wohnzimmer“, anzutreffen. Warum tut man sich das an, wird manch einer fragen. Frank Nätzer hat darauf die Antwort: „Weil einfach das Herz daran hängt!“ Und Thomas Posse ergänzt: „Das ist einfach eine Lebenseinstellung.“ Auch Beate Noll (Foto unten) blutet derzeit das Herz: „Borussia ist mein Leben“, bekennt die Rentnerin, die in Sichtweite von Block 5 am Ellenfeld wohnt und nicht nur Stammgast bei den Spielen „ihrer Jungs“, sondern auch bei vielen Trainingseinheiten ist. „Wenn ich Geld hätte, würde ich es der Borussia geben“, schreibt Beate Noll und kündigt an, anlässlich der Mitgliederversammlung am 18. Dezember im VIP-Raum eine Spendenbox aufzustellen.

Wie es weitergeht? Zurzeit völlig unklar. Heinz Müller empfiehlt den radikalen „Kahlschlag. In der Kreisliga neu anfangen mit jungen hungrigen Spielern, Herzblut und Leidenschaft.“ Ein Weg, den der SV Saar 05 vor Jahren gegangen ist. Lonesome Dove sieht auch die Stadt in der Verantwortung: „Es muss eine städtische Werbekampagne für die Borussia geben! Nur gemeinsam sind wir stark!“ Aufgeworfen wird dabei auch die Frage nach dem Ellenfeld, das laut SR-Bericht einen „finanziellen Klotz am Bein des Vereins“ darstellt. Von 70.000 Euro Unterhaltungskosten pro Jahr ist die Rede – für einen 6. Ligisten nicht zu stemmen. Marc Zwing glaubt deshalb, man müsse in Neunkirchen realisieren, dass Spiele im Ellenfeld unter diesen Bedingungen der Vergangenheit angehören. Vorstand Christian Müller will zwar mit der Borussia im Ellenfeld spielen, aber will natürlich auch, dass Borussia überhaupt noch weiter spielen kann: „Dann weiß ich allerdings nicht, ob das in der aktuellen Phase noch zusammenpasst!“ Für Thomas Posse allerdings gibt es „ohne Borussia kein Ellenfeld und ohne Ellenfeld keine Borussia!“ Eine Lösung dieses gordischen Knotens hat er allerdings nicht parat. Könnte da vielleicht Hilfe aus nächster Nähe kommen? „Wir haben kein Interesse daran, der Borussia die Heimspielstätte zu nehmen“, erklärt Swen Hoffmann, Vizepräsident der SV Elversberg, trotzdem könne man darüber reden, wenn es in der Situation hilfreich sei. „Auch die SV Elversberg könnte von der Mitnutzung profitieren. Das Neunkircher Stadion – inklusive Funktionsgebäude und Kunstrasenplatz – könnte beispielsweise ein idealer Standort für die U21- oder die Frauenmannschaft sowie für das Nachwuchsleistungszentrum des Vereins sein“, ist auf der Website des „Saarländischen Rundfunks“ (SR) zu lesen. Ein erstes Gespräch sei bereits terminiert und finde bald statt, so Hoffmann.

Anteil am Schicksal der Borussia nimmt man auch in Trier. Detlef Walter appelliert in einem facebook-Kommentar an den Zusammenhalt: „Leute, egal, was wie wo wer für eine Scheiße gebaut hat, ist nun sekundär. Hier geht es um einen Traditionsverein, hier ist nicht nur Neunkirchen, hier ist das ganze Saarland, Wirtschaft, Politik und jeder Fußballfan gefordert. Das sagt ein Fußballanhänger aus Trier, der oft in der Vergangenheit zu Spielen gegen die Borussia vor Ort war. Trotz aller Rivalitäten: Neunkirchen ohne Borussia, das geht nicht!“ Aufmunterung gibt es von Michael Beck: „Hoffe, dass es weitergeht. Mein Herz hängt an der Borussia.“ Das wünscht sich auch Michael Fath: „Unnerstützt euer Verein, wo es nur geht! Käh Verein darf sterbe! Gruß aus Lautre“, notiert er in pfälzischem Dialekt.

Schlagersängerin Katja Eppstein hat 1970 mit dem Lied „Wunder gibt es immer wieder“ beim Eurovision Song Contest den 3. Platz belegt, der Trierer Guildo Horn hat den Song mit seiner Band, den „Orthopädischen Strümpfen“, neu aufgelegt. In diesem Sinne bittet Erika Collofong in ihrem Kommentar die Borussen, den Mut nicht sinken zu lassen: „Lasst uns alle daran glauben, dass es noch Wunder gibt, und hoffen, dass noch ein Wunder geschieht!“ Ihr Wort, wie man so schön sagt, in Gottes Ohr! (-jf-)