Wenn einer eine Reise tut …

Auch im hohen Norden sind die Borussia aus Neunkirchen und ihr Ellenfeld (immer) noch ein Thema

Ostsee. Weit weg von Neunkirchen. Ein bisschen Abstand tut manchmal gut. Auch wenn die Gedanken, gerade am Wochenende, natürlich bei der Borussia sind: Wie schlagen sich die Jungs in den schweren Auswärtsspielen in Brebach und Schwalbach? Ohne Fußball geht es aber auch im Urlaub selten. Zumindest dann, wenn sich die Gelegenheit bietet. Und ein Blick über den regionalen Tellerrand hinaus kann nie schaden. Ein Blick auf den Terminkalender Regionalliga Nord weckt Interesse: Phönix Lübeck empfängt den Spitzenreiter VfB Oldenburg. Nur ein paar Kilometer vom Ferienhaus auf dem Priwall in Travemünde entfernt. Das sollte man sich nicht entgehen lassen. Zumal die Sonne vom strahlend blauen Ostsee-Himmel hinunterscheint, als gäbe es kein Morgen.

Gesagt, getan. Der 1. FC Phönix, am 13. Januar 1903 (also 16 Jahre vor dem bekannteren VfB!) von Kaufleuten und Baugewerksschülern gegründet und damit Lübecks ältester Fußballverein, ruft! Da die eigentliche Heimstätte, das Stadion am Flugplatz, infrastrukturell nicht regionalligatauglich ist, findet das Spitzenspiel am Buniamshof in Sichtweite der hochragenden Türme des Lübecker Doms statt. „Der `Buni´ erfüllt seit dem Umbau im Jahr 2021 alle Fußball-Regionalliga-Auflagen und bietet uns im Spielbetrieb ein Fassungsvermögen von bis zu 2.500 Zuschauern – davon knapp 1.500 überdachte Sitzplätze. So ist der Buniamshof hinter der Lohmühle das zweitgrößte Stadion der Stadt und infolgedessen eine hervorragende Ausweichspielstätte für unsere Adler“, ist auf der Vereinswebsite phoenixadler.de zu lesen. Dabei waren diese Adler, die mit dem 3. Platz in der norddeutschen Meisterschaft 1920 zu den erfolgreichsten Teams gehörten und auch nach dem 2. Weltkrieg lange der erstklassigen Ober- und der zweitklassigen Regionalliga angehörten, zuletzt nahezu in der Versenkung verschwunden. 1999 erfolgte nach einer Zeit in der Viertklassigkeit ein regelrechter Absturz bis in die Kreisliga, ehe der Verein seit 2012 seinem Namen alle Ehre machte und gleich dem Phönix aus der Asche eine kometenhafte Entwicklung hinlegte. Diese fand 2020 mit dem Aufstieg in die Regionalliga ihren bisherigen Höhepunkt. Dort spielen die Adler unter ihrem jetzigen Cheftrainer Christiano Dinalo Adigo (A-Lizenz) und dem Geschäftsführer und Sportlichen Leiter Frank Salomonnun das fünfte Jahr und belegen aktuell den 5. Tabellenplatz. Dazu ist die U23 in die Oberliga Schleswig-Holstein aufgestiegen.

Am Getränkestand dann die Überraschung. Gesprächsfetzen sind zu hören, bei denen der Name Borussia Neunkirchen fällt. Kann man sich da verhört haben? Jetzt heißt es: Ohren spitzen! Nein, tatsächlich, es geht im hohen Norden, weit über 700 Kilometer vom Mantes-la-Ville-Platz in Neunkirchen entfernt, um die Borussia! Und um ihr legendäres Stadion, das Ellenfeld. Kaum zu glauben. Bei einem Kaltgetränk kommt man schnell miteinander in Kontakt, das Interesse ist groß. Die Anhänger aus Lübeck fragen: In welcher Liga spielen die Borussen jetzt? Waren die nicht auch mal in der Bundesliga? Hatten die nicht auch mal einen Nationalspieler? Wie viele Zuschauer kommen denn heute noch? Wie steht es um das große und eindrucksvolle Stadion? Wieviele Zuschauer dürfen da heute noch rein? Schließlich: Wie stehen die Chancen auf ein höherklassiges Auftreten der Borussia? Natürlich wird man auch auf den Nachbarn aus Elversberg angesprochen, der derzeit erneut die 2. Liga zu rocken scheint und mit Holstein Kiel einen Nachbarn des Phoenix erwartet. „Hoffentlich gewinnt Holstein heute“, sind die Sympathien der Lübecker Fans klar verteilt.  Vergeblich, denn die SVE gewinnt zeitgleich mit der Partie des Phönix gegen Oldenburg gegen Holstein Kiel in letzter Minute mit 1:0. Der Gedanken- und Informationsaustausch endet mit einer herzlichen Einladung zu einer Stadionführung im historischen Ellenfeld.

Im Schatten des scheinbar übermächtigen VfB feuern die treuen Fans auf der Haupttriübe ihren „Phönix“ in den Vereinsfarben Blau-Weiß-Rot an (oben), während 250 Gäste aus Oldenburg mit ihrem VfB fiebern und am Ende feiern dürfen. (Fotos: -jf-)

Die nachfolgenden 90 Minuten im Buniamshof verlaufen recht ausgeglichen. Im Duell zweier ambitionierter Teams gingen die Hausherren aus Lübeck vor 700 Zuschauern in der 30. Minute durch Benjamin Luis in Führung. Doch der Spitzenreiter aus Oldenburg schlug zurück: Willem-Hendrik Hoffrogge glich noch vor der Pause in der 44. Minute aus. In der 60. Minute entschied ausgerechnet der Ex-Lübecker Julian Boccaccio mit einem verwandelten Foulelfmeter die Partie zugunsten der Gäste. Oldenburg bleibt damit Tabellenführer, der 1. FC Phönix bleibt Tabellenfünfter und liegt damit zwei Wochen vor dem mit großer Spannung erwarteten Ortsderby gegen den VfB immer noch einen Zähler vor dem Stadtrivalen! Und mir bleibt das erstaunliche Erlebnis, dass selbst ganz oben im hohen Norden, mehr als 700 Kilometer entfernt vom Ellenfeld, die traditionsreiche Borussia und ihr jetzt denkmalgeschütztes Stadion, auch als Werbeträger der Stadt und des ganzen Saarlandes immer noch ein Thema sind. Alles Mögliche hätte ich an diesem Samstagnachmittag in Lübeck erwartet, nur das nicht (unbedingt). Aber wie heißt es doch schon 1775 in einem Lied des deutschen Dichters und Journalisten Matthias Claudius (1740-1815): „Wenn jemand eine Reise tut, dann kann er was erzählen.“ (-jf-)