Interview mit Saarlandliga-Schiedsrichter Frank Distler
Die Zahlen lassen aufhorchen. Eine aktuelle Statistik des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) belegen zudem: Die Gewaltbereitschaft gegenüber Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern hat im saarländischen Amateurfußball zugenommen. Eine Gewalthandlung liegt nach Definition des DFB bei einem körperlichen Angriff vor, etwa durch Schlagen, Bewerfen, Bespucken oder Treten. Auch eine Bedrohung wird als solche gewertet. Im Herren-Amateurbereich hat es demnach in der Saison 2022/23 bei knapp 9000 Spielen 17 gewalttätige Angriffe gegen Unparteiische gegeben, 2021/21 waren es sogar 21. Demgegenüber stehen sechs Angriffe in der Saison 2018/19 bei über 10.000 ausgetragenen Spielen und fünf in der Saison 2017/18, ebenso bei über 10.000 Spielen. „In Relation zu den ausgetragenen Spielen handelt es sich immer noch um eine eher niedrige Zahl“, bilanziert Michael Scholl, Sprecher des Saarländischen Fußballverbandes (SFV). Dass sie sich gerade im Herrenamateurbereich über die vergangenen Jahre fast verdoppelt habe, begründet er mit einer erhöhten Meldebereitschaft. Im Herbst 2019 waren die saarländischen Schiedsrichter in den Streik getreten, nachdem ein Unparteiischer nach einem C-Jugend-Spiel von einem Zuschauer krankenhausreif attackiert worden war. Das Thema ist nicht neu: Schon sechs Jahre zuvor hatte der SFV die Kampagne „Gewalt hat keine Klasse“ ins Leben gerufen. Gewalt gegen Schiris – „zwar noch die seltene Ausnahme, aber dennoch nicht tolerierbar“, schrieb der damalige SFV-Präsident Franz-Josef Schumann im „Saarfußball“, dem amtlichen Mitteilungsblatt des Verbandes im Oktober 2013. Zur Problematik, darüber hinaus aber auch zu den vielen positiven Aspekten des Schiedsrichter-Daseins äußert sich Frank Distler (FD) aus Kastel, einer der erfahrensten Referees der Saarlandliga, im Gespräch.
Frank, warst Du selbst auch schon mal von tätlichen Angriffen betroffen?
FD: Nein, persönlich noch nicht, weder körperlich noch verbal wurde ich bisher aggressiv angegangen. Aber ich war schon einmal Zeuge eines solchen nicht hinnehmbaren Geschehens.
Worin liegen Deiner Meinung nach die Ursachen für die zunehmenden Übergriffigkeiten?
FD: Es handelt sich meiner Meinung nach um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Der Fußball ist das Spiegelbild einer Gesellschaft, die grundsätzlich im Umgang miteinander roher und respektloser geworden ist. Die Fähigkeit, selbstreflektiert zu handeln und dabei auch Entscheidungen, die gegen einen getroffen werden, zu akzeptieren, ist bei vielen abhandengekommen, die Frustrationstoleranz ist erheblich gesunken.
„Zeichen des Respekts gegenüber den Mannschaften“: Für Frank Distler (re., mit seinen Assistenten David Noah und Markus Marx) ist ein ordentliches Aufwärmprogramm elementarer Bestandteil der Spielvorbereitung. (Foto: -jf-)
Ohne Schiedsrichter geht es im Fußball nicht. Was kann denn ein Unparteiischer auf dem Platz selbst tun, um Aggressionen zu vermeiden?
FD: Ich kann hier nur für mich sprechen. Ein authentisches Auftreten und das Festhalten an Etiketten sind mir wichtig. Das fängt schon bei der Spielkleidung an. Dazu gehört auch eine ordentliche Spielvorbereitung: Sich in den sozialen Medien vor dem Spiel zu informieren, sich Tabelle und Kader der Mannschaften anzuschauen, damit man Spieler eventuell auch persönlich mit dem Namen ansprechen kann, die Brisanz eines Spiels und Auffälligkeiten im Saisonverlauf auszuloten – das trägt ebenfalls zur Souveränität bei. Nicht zu vergessen ein ordentliches Warmmachen vor dem Spiel auf dem Platz – das drückt die Beziehung zum Spiel aus und ist gegenüber den Mannschaften ein Zeichen des Respekts. Nebenbei kann man sich dabei die Teams anschauen und die Stimmung auf dem Platz wahrnehmen. Während der 90 Minuten muss man natürlich Entscheidungen treffen, wobei es darauf ankommt, auf respektvoller und sachlicher Ebene zu kommunizieren. Denn wie heißt es so schön: `Wie man in den Wald hineinschreit, so schallt es heraus.´ Nach dem Spiel sollte man Rede und Antwort stehen, falls Bedarf da ist und solange es in vernünftigen Bahnen abläuft. Eine solche Gesprächsbereitschaft, für die ich immer offen bin, führt zu einer guten und entspannten Atmosphäre, zumal man sich in der Saarlandliga ja immer wieder mal begegnet.
Man dabei hört heraus, welche Eigenschaften für einen guten Unparteiischen offenbar unverzichtbar sind …
FD: Eine gute Kommunikationsfähigkeit, ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein und die Fähigkeit zur Eigenreflexion gehören in jedem Fall dazu. Ein guter Schiedsrichter sollte auch offen und empfänglich sein für berechtigte und konstruktive Kritik und aus ihr seine Schlüsse ziehen. Die Bereitschaft, Fehler einzugestehen kann dabei sicher nicht schaden.
Auch das gehört zu Frank Distlers Aufgaben: Die Sorge um die Gesundheit der Akteure (li.: mit Ballweilers Elias Hoffmann, re. mit Borussias Tim Cullmann), denn die steht über allem! (Fotos: -jf-)
Diese Dinge zu lernen, Erfahrungen zu sammeln und an ihnen zu wachsen – das ist wohl auch ein Nachwuchs steht ja nicht gerade Schlange.
FD: Auf jeden Fall! Die Schiedsrichterei ist für mich ein wertvolles Hobby, das ich nicht missen möchte, und eine Bereicherung meines Lebens. Sie fordert einen physisch und psychisch. Man lernt viele tolle Menschen kennen, macht Erfahrungen, wie man mit den unterschiedlichsten Typen umzugehen hat. Die Schiedsrichterei fördert die Charakterbildung. Man trainiert, Entscheidungen zu treffen. Aber das gilt nicht nur für junge Leute. Im Hinblick auf die Nachwuchsprobleme sollte man auch solche Menschen im Blick haben, die vielleicht schon 40 sind und selbst Fußball gespielt haben, und sie für das Amt de Unparteiischen motivieren: Einfach mal ausprobieren, ob das etwas für mich ist! Geld sollte keine Motivation sein. Es gibt zwar Aufwandsentschädigungen pro Spiel, aber reich wird man dadurch nicht. Aber es macht großen Spaß!
Du sprichst einen nicht unwichtigen Aspekt an: Selbst Fußball gespielt zu haben! Das trifft ja auch auf auf Dich zu. Ist das ein Vorteil?
FD: Ja, ich war selbst lange Jahre als Torwart aktiv – angefangen in den Jugendjahren beim SV Ottweiler, dann vom FC Niederkirchen über Rot-Weiß Hasborn, Schwemmlingen, den VfL Primstal bis hin nach Wadrill und der SG Peterberg. Die Erfahrungen aus dem aktiven Fußball helfen mir ungemein. Man kennt halt die zwei Seiten der Medaille Fußball. Andererseits haben ambitionierte junge Leute, die als Schiedsrichter höher hinauswollen, heutzutage kaum noch die Gelegenheit, länger aktive Fußball zu spielen. Denn man muss sich schon recht bald entscheiden: Fußballer- oder Schiedsrichterkarriere? Ich selbst bin erst relativ spät, als meine Torwart-Laufbahn nach einer Verletzung zu Ende war, Schiedsrichter geworden – im Rückblick eine absolut richtige Entscheidung! Mir genügt es dabei, Saarlandliga zu pfeifen, höher hinaus will ich gar nicht, da ich so Beruf (Anm. der Red.: Frank Distler ist Polizist) und Familie mit zwei Kindern, die auch Fußball spielen und zu Spiel und Training gefahren werden wollen, gut unter einen Hut bringen kann.
Auf geht´s! Frank Distler führt mit seinen Assistenten David Noah und Markus Marx die Mannschaften (der Borussia und der Spvgg Quierschied) auf´s Feld und führt anschließend gemeinsam mit den Kapitänen Dominik Engel (li.) und Marco Dahler die Platzwahl durch. (Fotos: -jf-)
Stichwort Saarlandliga: Wann erfährst Du, wo Du eingesetzt bist, und wie sieht denn ein Spieltag bei Dir aus?
FD: Im DFB-Netz gibt es einen Schiedsrichter-Zugang, wo man Termine blocken kann, an denen man aus verschiedenen Gründen (Urlaub, Beruf oder Verletzung) nicht einsatzfähig ist. Zwei Wochen im Voraus erfahre ich meinen Einsatzort und meine Assistenten – das Wort gefällt mir übrigens viel besser als Linienrichter, denn sie haben ja viel weitreichenderer Aufgaben! Mit ihnen spreche ich mich im Vorfeld ab: Welche Trikots nehmen wir mit? Wo treffen wir uns? Am Spieltag selbst geht es, nach einem Frühstück mit der Familie rund zwei Stunden vor dem Spiel los, in der Regel fahre ich mit den Assistenten gemeinsam zum Spielort. Unterwegs gibt es weiteren gemeinsamen Austausch. Vor Ort dann die üblichen Überprüfungen (Trikots der Mannschaften, Tornetze, Linien, Coachingzone), anschließend Vorbereitung der Notizkärtchen. Wichtig auch das Ausprobieren der technischen Systeme: Headset oder Fahnen mit Funkempfängern. Das ist arbeitserleichternd, der Umgang damit muss aber geübt werden, damit er zur Routine wird. Nach den 90 Minuten heißt es den Spielbericht per Handy zu erstellen. Wir besprechen, was gut oder was weniger gut war. Falls ein Schiedsrichterbeobachter da war, gibt es in unserer Kabine ein Feedback. Damit ist die Partie formal abgehakt. Vielleicht sitzen wir noch bei einem Kaltgetränk zusammen. Zwischen 18.30 und 19.00 Uhr bin ich dann meist wieder zuhause in Kastel – nach einem erfüllten Tag!
Hast Du ein festes Team mit Assistenten?
FD: Lediglich bei einem brisanten Spiel lege ich Wert darauf, den gewohnten Stamm bei mir zu haben, mit dem ich eingespielt bin. Ansonsten spielt das für mich keine Rolle. Wir haben ja auch die Aufgabe, junge Leute an ihre Tätigkeit heranzuführen. Und das funktioniert nur nach der Methode. Learning by doing! Das Erkennen von Abseits beispielsweise kann man nur in der Praxis, das heißt im Echtbetrieb, üben.
Jetzt haben wir viele Aspekte auf der Seite der Schiedsrichter beleuchtet. Was wünschst Du Dir denn abschließend von der anderen, das heißt von der Spieler- oder Trainerseite?
FD: Mehr Regelsicherheit würde ich mir manchmal wünschen. Ein konkretes Beispiel: In der sogenannten Rückpass-Regel heißt es, dass der Rückpass mit dem Fuß erfolgen muss. Geschieht das auf dem Platz mit dem Knie, ist dann das Geschrei von außen groß und es wird Freistoß gefordert! Eine entsprechende Regelkenntnis von Trainern und Spielern, und dazu genügt heutzutage auch ein Blick ins Internet, wo alles drinsteht, würde uns manche Streitfälle und jede Menge Diskussionen ersparen.
Frank, herzlichen Dank für das sehr informative Gespräch, das hoffentlich vielleicht auch ein wenig dazu beitragen kann, die Atmosphäre auf den Plätzen im Saarland zu verbessern. Denn ohne Schiedsrichter geht es nun mal nicht! (-jf-)
Sehr interessant geführtes interview. Respekt für einen echten sportsmann.