„Erbarme, die Hesse kommen!“ (1)

Aus Borussias Bundesliga-Historie: Zwei November-Begegnungen mit Eintracht Frankfurt / Heute vor 60 Jahren: Bitteres Debakel für die Borussen – Rückblick auf den 20. November 1965

Unser Bild: Bedröppelte Gesichter bei Günter Schröder (li.) und Torhüter Willi Ertz – sechs Gegentore mussten die Borussen gegen eine überlegene Frankfurter Eintracht einstecken. (Foto: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)

Es waren wie derzeit trübe Novembertage, als die Borussia vor rund 60 Jahren in der Bundesliga, wie es der Spielplan wollte, gleich zweimal auf die Frankfurter Eintracht traf. Am 21. November 1964 unterlag der Aufsteiger aus dem Ellenfeld im Waldstadion denkbar knapp mit 0:1. Ein Jahr später und einen Tag früher, am 20. November 1965, gab es im Ellenfeld getreu dem Motto „Erbarme, die Hesse komme!“ – eine bittere 1:6-Heimniederlage. Wir blicken in diesen Tagen, an denen sich diese beiden Partien zum 60. bzw. 61. Mal jähren, in zwei Beiträgen mit Wort und Bild zurück.

20. November 1965: 1:6 – ein halbes Dutzend für Borussia

„Vom Pantoffelhelden zum Haustyrannen.“ Mit dieser Schlagzeile überschreibt die BILD-Zeitung die Situation bei der Frankfurter Eintracht, die – im Vorjahr noch mit Abstand schlechteste Heimmannschaft – in der Saison 1965/66 vor dem Auswärtsspiel im Neunkircher Ellenfeld allerdings als eine der besten Heimteams erwiesen haben, dafür aber auf fremden Plätzen schwächeln: Vor dem Gastspiel bei der Borussia konnten die Hessen nur ein einziges Pünktchen (0:0 beim VfB Stuttgart) aus der Fremde mitbringen. Die Erinnerungen der Frankfurter an Neunkirchen sind dabei nicht die besten, gab es doch noch im April beim Aufsteiger eine deftige 0:4-Klatsche! Doch auch die Vorzeichen bei den Borussen sind nicht die besten: Nach 6 Niederlagen in Folge ist die Borussia, vor allem dank der zweitschlechtesten Defensive (schon 33 Gegentore!) vor dem 13. Spieltag auf den vorletzten Tabellenplatz abgestürzt, schlechter steht nur noch Tasmania Berlin da.

Trainer Horst Buhtz versucht vor dem Spiel, den Rhythmus umzustellen, und verkürzt das traditionelle Trainingslager im Schulungsheim der Arbeitskammer in Kirkel: „Die Spieler öden sich sonst zu sehr an“, begründet der Coach die Maßnahme. Sein Mannschaftsführer Hennes Schreier bleibt optimistisch und „verkündet optimistisch in Anspielung auf den Schlager, der Marlene Dietrich im Film `Der blaue Engel´ berühmt gemacht hat: Wir sind von Kopf bis Fuß auf Sieg eingestellt“, weiß das Online-Archiv der Frankfurter Eintracht zu berichten. Eintracht-Coach Elek Schwartz hat den Tabellenvorletzten beobachtet und ist vorsichtig: „Die Saarländer sind gar nicht so schlecht!“

Seltenes Bild im Ellenfeld gegen Frankfurt: Günter Kuntz (re.) und Heinz Simmet, der über Torwart Loy hinwegspringt, bringen Gefahr vor das Eintracht-Tor. (Foto: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen)

Ein Paukenschlag eröffnet das Spiel im Ellenfeld vor 15.000 Zuschauern, deren wichtigstes Utensil der Regenschirm war. Noch keine Spielminute ist vergangen, da hat es schon hinter Frankfurts Torhüter Egon Loy, der den verletzten Dr. Peter Kunter vertritt, eingeschlagen: Elmar Mays Kopfball scheint die frühe Führung für die Borussen zu bedeuten. Schiedsrichter Gerd Siepe ist sich nicht sicher: War da die Hand im Spiel? Der Unparteiische fragt beim Torschützen nach. Der kennt die Bedeutung von Fair-Play und gibt ehrlich zu: „Ja, ich habe den Ball mit der Hand berührt!“ „Ein echter Sportsmann“, lobt Gerd Siepe den „blonden Engel“ vom Ellenfeld. Auf der anderen Seite gelingt den Gästen aus der Mainmetropole nach 13 Minuten der erste Treffer: Nach einem Eckball von Lotz steht Stürmer Bechthold plötzlich völlig blank und hat keine Mühe, den unsicher wirkenden Keeper Willi Ertz zu überwinden. Die Borussen aber sind keineswegs geschockt, halten dagegen, doch sowohl Elmar May als auch Günter Kuntz und Peter scheitern an Egon Loy, der sich in dieser Phase als sicherer Rückhalt der Eintracht erweist. Als nach 36 Minuten der Ex-Augsburger Georg Lechner mit einem Solo die weit aufgerückte Borussen-Defensive düpiert und für den Österreicher Wilhelm Huberts auflegt, steht es 0:2. Jetzt ist der Widerstand der Borussia zunächst geschwächt.

Und unmittelbar nach dem Seitenwechsel ganz gebrochen, nachdem Jung-Star Jürgen Grabowski im Alleingang auch noch Willi Ertz umspielt und das Resultat auf 0:3 stellt (48.). Auch der schnelle Anschlusstreffer durch Elmar Mays Kopfball (nach Kuntz-Flanke) kann nicht über die klaren Verhältnisse auf dem Platz hinwegtäuschen und die Gäste nicht mehr bremsen. Denn das Frankfurter 4-2-4-System läuft wie ein Uhrwerk. So ist der vierte Treffer für die Gäste nur eine Frage der Zeit, die Bechthold nach 64 Minuten auf seine Weise beantwortet, indem er eine Hereingabe von Peter Blusch per Hinterkopf im Netz versenkt. „20 Minuten beschränkt sich die Eintracht jetzt aufs Zaubern, bevor sie wieder ernst macht“, beschreibt der Autor des Beitrags im Archiv des Frankfurter Traditionsverein das Szenario. Das „holde“ Sturmduo Trimhold und erneut Bechthold mit seinem dritten Treffer machen in der Schlussphase das halbe Dutzend für Frankfurt voll.

Eines von sechs Frankfurter Toren (oben), bei denen die Gäste über den ersten Auswärtssieg der Saison jubeln durften (unten). (Fotos: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen)

„Endlich haben meine Jungs die Marschroute eingehalten“, freute sich Gäste-Coach Elek Schwartz über den ersten Auswärtssieg der Saison, der gleich so happig ausgefallen war, als wollten die Frankfurter in einem Spiel all das nachholen, was sie zuvor versäumt hatten. „Die Eintracht war einfach prächtig, eine Klasse besser als letzte Saison. Sie haben uns alt aussehen lassen“, erkennt Horst Buhtz die Dominanz des an diesem Tag übermächtigen Gegners neidlos an, verspricht aber auch: „Wir haben es offensiv versucht und werden das weiter tun!“ Die Vorstandshaft um Präsident Norbert Engel und den Spielausschussvorsitzenden Kurt Gluding fragt sich indes, wie das funktionieren soll: „Wer soll bei uns die Tore schießen? Wer?“ Eine Frage, die angesichts der mageren Bilanz von 10 eigenen Treffern und jetzt 39 Gegentoren berechtigt ist. Mit 4:22 Punkten verbleibt Borussia auf Rang 17, hat aber immerhin die nicht wesentlich besseren Karlsruher SC (6:20) und Schalke 04 (7:19) immer noch in Reichweite. Hoffnung keimt in den nächsten Wochen auf: Denn die Borussen verlieren in den restlichen Vorrundenspielen nicht mehr: 2:1 bei Eintracht Braunschweig, 1:0 gegen Schalke 04, 3:1 gegen Tasmania und 1:1 in Karlsruhe – erstmals seit langem verlässt Borussia die Abstiegsränge und geht auf Platz 16 liegend mit jetzt 11:23 Zählern in die Rückrunde. Das Rückspiel in Frankfurt sollten die Borussen übrigens im April 1966 (nach Tore von Werner Görts und Günter Kuntz bei einem Gegentor von Wolfgang Solz) sensationell mit 21 gewinnen. Doch dem Abstieg konnten sie leider nicht mehr entrinnen. (Teil 2 folgt/ -jf-)

Statistik: Borussia – Eintracht Frankfurt 1:6 (0:2)

Borussia: Wili Ertz – Günter Heiden, Erich Leist, Hennes Schreier, Günter Schröder, Gottfried Peter, Paul Pidancet, Dieter Schock, Heinz Simmet, Günter Kuntz, Elmar May. – Trainer: Horst Buhtz.

Eintracht: Egon Loy – Peter Blusch, Dieter Lindner, Friedel Lutz, Wilhelm Huberts, Georg Lechner, Walter Bechthold, Jürgen Grabowski, Oskar Lotz, Horst Trimhold. – Trainer: Elek Schwarz.

Tore: 0:1 (13.) Bechthold, 0:2 (36.) Huberts, 0:3 (48.) Grabowski, 1:3 (52.) Elmar May, 1:4 (64.) Bechthold. 1:5 (83.) Trimhold, 1:6 (86.) Walter Bechthold. – Schiedsrichter: Gerd Siepe (Attendorn). – Zuschauer: 15.000.

Untenstehend weitere Bildimpressionen vom Spiel der Borussia gegen Eintracht Frankfurt. (Fotos: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen)