Bei der Mitgliederversammlung der Borussia am Donnerstagabend waren im proppenvollen VIP-Raum des Ellenfeld-Stadions viele Emotionen zu spüren
Volles Haus im Ellenfeld. Mehr Besucher als bei manchen Heimspielen im Stadion, wie Tim Schacht, Reporter des Saarländischen Rundfunks (SR) in seinem Bericht im „Aktuellen Bericht“ konstatierte, waren es zwar nicht, die sich im VIP-Raum eingefunden hatten. Dennoch hat es lange Zeit keine Mitgliederversammlung mit einem solchen Andrang gegeben. Das konnte auch Uli Glup (Foto oben/-jf-) feststellen, der die Borussen in seiner Funktion als Vorsitzender des Ältestenrates in Vertretung des erkrankten ersten Vorsitzenden Jörg Eisenhuth begrüßte. Dabei blickte der Versammlungsleiter in viele bedrückte und von Sorgenfalten durchfurchte Gesichter. Die Borussia steht mit dem Rücken zur Wand – so lautete das Fazit des Abends, an dessen Ende weiter viele Fragen offen bleiben. Wir blicken in Wort und Bild zurück und fassen das Wichtigste zusammen.

Ehrenpräsident Dr. Hans Bauer (Foto oben/-jf-) informierte – nach dem obligatorischen Gedenken an die im letzten Jahr verstorbenen Mitglieder – die Borussen über den aktuellen Stand der Dinge, die er juristisch analysiert und aufgearbeitet hatte. Der fast 87jährige wirkte sichtlich betroffen und kündigte eine „trostlose Rede“ an, „möglicherweise die letzte nach 60 Jahren.“ Zwei Ereignisse binnen elf Tagen hätten, so Dr. Bauer, „zu der aktuellen Situation geführt. Am 24. Oktober verlor der Verein einen Rechtsstreit um Rückstellungen für die Berufsgenossenschaft und Knappschaft. Dadurch wurde eine bis dahin gestundete Zahlung fällig. Doch das alleine sei nicht so gravierend gewesen, „das hätten wir mit einer Vereinbarung über Ratenzahlung hinbekommen“, so der Jurist, der anschließend vom 3. November als einem „Katastrophentag“ sprach: Staatsanwaltschaft und Polizei durchsuchten mit einem entsprechenden Beschluss des Amtsgerichtes Saarbrücken die Geschäftsräume im Ellenfeld. Hintergrund: Die Verwicklung eines ehemaligen Borussen-Mitarbeiters in Unregelmäßigkeiten bei der Auftragsvergabe an Subunternehmen der Deutschen Glasfaser, wo Borussias erster Vorsitzender Jörg Eisenhuth technischer Bauleiter ist. Dr. Bauer erläuterte das für die Borussia letztlich fatale Vorgehen im Detail: Der Beschuldigte (nicht Jörg Eisenhuth – Dr. Bauer nannte ihn Abteilungsleiter bei der Glasfaser für das Saarland) habe beim Aufbau einer neuen zweiten Mannschaft erfolgreich mitgearbeitet und auch viele Werbepartner ins Ellenfeld gebracht, dabei aber Praktiken angewendet, die, wenn sie ihm nachgewiesen würden, strafbar seien: Wenn er einen Subunternehmer beispielsweise mit einem Auftrag über 120.000 Euro bedacht habe, habe er ihn veranlasst, das Angebot auf 125.000 Euro zu erhöhen. „Der Differenzbetrag von 5.000 Euro ist dann an die Borussia gegangen, ohne dass jemand von uns das wusste“, so Dr. Bauer. Die Folgen: Borussia steht derzeit ohne Sponsoren von Glasfaser dar. Als größerer Unterstützer stehe nur die Ferraro Group (mit einer Summe von 30.000 Euro per anno) zur Verfügung, die Sponsorensuche in Neunkirchen sei äußerst schwierig, weil bereits die Mutterhäuser der in der Stadt ansässigen Firmen-Niederlassungen in Schwierigkeiten steckten. Zur aktuellen Problematik hinzu kämen Altlasten. So sei ein Insolvenzantrag unabdingbar gewesen, um sich nicht dem Vorwurf der Insolvenzverschleppung auszusetzen.

Vorstandsmitglied Christian Müller (Foto oben/-jf-) blickte in seinem Bericht auf ein turbulentes Jahr zurück, in dessen Verlauf durch die ins Leben gerufene Spendenaktion eine Nachforderung des Finanzamts beglichen werden konnte. Auch das Benefizspiel gegen Borussia Mönchengladbach habe der Borussia sehr geholfen, um Einnahmen zu generieren und die neue Saison zu planen. Allerdings hätten die erzielten Gelder aufgrund von Pfändungen aus alten Forderungen nicht alle zur Verfügung gestanden. Dennoch sei mit den vorhandenen Werbepartnern die Saison gesichert gewesen. s gelungen, die Mannschaft zur neuen Runde zu verstärken, in der dann allerdings recht schnell das Verletzungspech zugeschlagen habe. Mit dem Tag der Hausdurchsuchung und dem Wegbrechen wichtiger Sponsoren sei dann auf einen Schlag alles zunichte gemacht worden. Die Emotionalität war Christian Müller, der zusammen mit Alena Nürnberger gerade mal ein Jahr im Amt ist, bei seinem Statement deutlich anzumerken. „Wenn man bedenkt, was auf Euch alles in dieser Zeit eingeströmt ist, könnte man glatt eine Netflix-Serie draus machen“, merkte Versammlungsleiter Uli Glup an.

Alena Nürnberger (Foto oben/-jf-) legte dann im Anschluss als Finanzchefin konkrete Zahlen vor. Auf der Einnahmeseite: 103.000 Euro aus Sponsoring und Werbeeinnahmen, 72.000 Euro aus dem Spiel gegen Borussia Mönchengladbach, rund 56.000 Euro aus der Spendenaktion. Auf der Ausgabenseite 56.000 Euro Energiekosten, die sich aber noch erhöhen werden, da die Zählerstände für die Jugend noch nicht abgelesen sind, 118.000 Euro aufgrund von Pfändungen durch Finanzamt und Knappschaft. Dazu kommen auf der Schuldenseite 82.000 Euro für die Berufsgenossenschaft sowie Darlehensrückzahlungen an die Dr. Theis Naturwaren (11.000 Euro) und die Erbengemeinschaft Fontanin (204.000 Euro). Rechnungen in Höhe von rund 35.000 Euro seien noch offen aus dem laufenden Spielbetrieb, dazu zählen auch noch ausstehende zwei Monatsgehälter für die erste Mannschaft. Den derzeitigen Gesamtschuldenstand bezifferte Alena Nürnberger auf 331.000 Euro. Die Personalkosten betrügen rund 15.000 Euro pro Monat, wie viel an Masse für das Insolvenzverfahren benötigt würden, sei mangels Rückmeldung des Insolvenzgerichtes noch nicht zu sagen, Schätzungen gingen von 50.000 bis 60.000 Euro aus. Ein kleiner Geldbetrag sei da, ein Sponsor habe für dieses Jahr noch nicht gezahlt, auch von einem anderen stünde Geld aus, ergänzte Christian Müller.

Erfreulicheres hatte der seit Juni kommissarisch im Amt befindliche Jugendvorstand Marco Reiser (Foto oben/-jf-) zu berichten. „Wir haben 204 Kinder und Jugendliche in zehn Mannschaften am Start. Jeder Jahrgang ist doppelt besetzt, der Zulauf dauert an. Wir haben einige Turniere, das Pfingst-Turnier, den Chris-Bläs-Cup, das Kurt-Gluding-Gedenkturnier sowie zuletzt die Nikolaus-Wettkämpfe mit 28 Teams gestemmt und dabei viel Zuspruch von außen bekommen. Die Turniere waren alle ausgebucht, die Gastmannschaften kommen sehr gerne zu uns.“ Marco Reiser konnte auch auf sportliche Erfolge verweisen: „A- und B-Junioren haben den Sprung in die Landesliga geschafft, die C-Jugendlichen haben die Bezirksliga gepackt, so dass wir mit den drei älteren Jahrgängen erstmals seit langer Zeit wieder höherklassig vertreten sind – und das trotz kleiner Trainerteams und geringer finanzieller Mittel“, sagte der Jugendleiter und erntete damit großen und verdienten Beifall der Versammlung. Seinen Bericht schloss Marco Reiser ab mit einem „herzlichen Dank an mein ganzes wunderbares Jugendteam inklusive Verkaufsteam aus dem Jugendraum, die mich bei meiner Arbeit großartig unterstützt haben.“

Wie geht es jetzt weiter? Diese Frage bewegte alle, die dabei waren. Der frühere Finanzvorstand Rainer Lauffer (Foto oben/-jf-), der betonte, als Vereinsmitglied und nicht als Vertreter des Saarländischen Fußballverbands gekommen zu sein, teilte mit, dass eine geordnete Insolvenz laut § 54 der Spielordnung nicht automatisch den Abstieg bedeuten würde: „Die Spieler haben Verträge, die Spieler haben die Spielberechtigung für die Saarlandliga. Die Borussia kann also einfach weiterspielen. Die Jungs bekommen im Falle einer Insolvenz sogenanntes Insolvenzgeld, das sind rund 70 Prozent des jetzigen Salärs. Dann kann sich jeder selbst ausrechnen, ob sich ein Wechsel zu einem anderen Verein lohnt. Es sind sicher einige Spieler dabei, in deren Adern schwarz-weißes Blut fließt und mit denen man rechnen kann“, so Rainer Lauffer, der im Rahmen seiner Ausführungen auch auf einen Luxus verweist, den die Borussia sich leiste, indem sie jeden ihrer Spieler mit einem Amateurvertrag ausstatte: Das bedeute einen Kostenfaktor von rund 470 Euro pro Monat, „und zwar über das ganze Jahr, egal ob im Juli oder Dezember überhaupt gespielt wird oder nicht.“ Darüber hinaus regte Rainer Lauffer an, auch über den 30. Juni hinaus zu denken: „Selbst wenn wir jetzt noch die Kurve kriegen sollte, was passiert dann mit Blick auf die nächste Saison?“ Zuvor hatte Dr. Hans Bauer auf ein „Horror-Szenario“ aufmerksam gemacht: Der noch nicht bestellte Insolvenzverwalter stellt fest, dass nicht genügend Geld für eine Insolvenzmasse zur Verfügung steht. Die Insolvenz ist nicht möglich, der 1905 gegründete und gerade 120 Jahre alt gewordene Club wird aufgelöst, eine Neugründung kann erfolgen, aber unter anderem Namen und in der untersten Liga (Kreisliga A), wie es schon Röchling Völklingen und Saar 05 durchgeführt haben. Vorstandsmitglied Christian Müller machte seine Position klar und fordert einen klaren Schnitt: „Ein Weiter so kann es und wird es mit mir nicht geben. Da bin ich raus!“

Für die Mannschaft bemängelten Kapitän Marco Dahler (Foto oben/-jf-) und Borussen-Urgestein Tim Cullmann die mangelhafte Kommunikation: „Wir hängen komplett in der Luft, haben noch keine Infos vom Vorstand bekommen“, so Tim Cullmann, dem Marco Dahler beipflichtete und sich gleichzeitig klar zur Borussia bekannte: „Man hat uns gesagt, der heutige Abend solle noch abgewartet werden. Montag oder Dienstag würden wir dann gesagt bekommen, wie und ob es weitergeht. Die Jungs wollen und müssen das wissen. Ich persönlich würde gerne hier weiterspielen und weiß auch, dass ein Großteil der Jungs das relativ ähnlich sieht. Aber die Zeit spielt gegen uns!“ Denn bis zum 31. Dezember muss die Sache geregelt sein, das heißt: Die Spieler müssen beim Verband abgemeldet werden, um im Winter wechseln zu können.

Im Zentrum sehr emotionaler Diskussionen stand neben den Fragen um die Energiekosten vor allem das Ellenfeld-Stadion. Zwischen „Aus dem Stadion rausgehen“ und „Ohne Ellenfeld keine Borussia, ohne Borussia kein Ellenfeld“ schwankten dabei die Standpunkte je nach wirtschaftlicher oder eher traditionsbewusster Sichtweise. Ellenfeld-Experte Dr. Jens Kelm mahnte eine differenzierte Perspektive an: Man dürfe das Stadion nicht nur an den Kosten messen, sondern auch als Möglichkeit zur Generierung von Einnahmen sehen: „Das Pokalspiel gegen Saarbrücken oder das Benefiz-Spiel gegen Mönchengladbach hätten weder auf dem Nebenplatz noch im Wagwiesental solche Zuschauerzahlen ermöglicht!“ Sein Kollege Wolfgang Rausch (Foto oben li., mit Ex-Borusse „Jupp“ Henkes/-jf-) bemängelte, dass anlässlich der Rasenerneuerung keine Zisterne bzw. Regenwassernutzungsanlage zur Reduzierung der Wasserkosten gebaut worden sei, wo doch ansonsten jeder Haushalt angehalten werde, sich nachhaltig zu verhalten. Wolfgang Rausch präsentierte einen von ihm gestellten Antrag auf eine solche Anlage aus dem Jahre 1997: „Passiert ist bis heute nix!“
Ein kleines Hoffnungslichtlein zündete Dr. Hans Bauer an, der in seinen Ausführungen auf den Gestattungsvertrag zwischen Stadt und Verein verwies: Darin befinde sich ein Passus, nach dem der Borussia ein Nutzungsrecht an Dritte auch ohne Zustimmung der Stadt befinde – vorausgesetzt, es handle sich eine sportliche Nutzung. Ein möglicher Untermieter SV Elversberg könne mit Mietzahlungen, die in die Insolvenzmasse fließen, der Borussia enorm helfen. Der Zweitligist sucht bekanntlich dringend eine Heimat für die U21, die Frauenmannschaft und das Nachwuchsleistungszentrum. Christian Müller informierte die Versammlung, dass es bereits ein Gespräch mit SVE-Chef Dominik Holzer und dem zweiten Vorsitzenden Swen Hoffmann bezügliche eines grundsätzlichen Interesses gegeben habe. Eine solche Lösung erscheint Versammlungsleiter Uli Glup deshalb als eine „win-win“Situation für alle beteiligten Parteien: „Ein 6.Ligist Borussia kann sich ein solches Stadion mit den zu bewältigenden Gestattungskosten nicht leisten. Sicher wäre es auch für die Stadt als Eigentümer eine Katastrophe, wenn die Borussia aus dem Ellenfeld rausgeht. Der Ball läge dann bei der Stadt, die ein denkmalgeschütztes Stadion hat und dann überlegen müsste, wie sie damit umgeht. Deshalb die Idee bzw. die Frage, ob eine Koexistenz bzw. Kooperation mit der SV Elversberg möglich ist.“

Einer war von all den vorgebrachten Zahlen, Fakten und Diskussionen sichtlich am meisten mitgenommen: Dieter Woll (Foto oben/-jf-), dessen Familienmitglieder seit fünf Generationen nicht nur Fans, sondern maßgeblicher Unterstützer der Borussia waren und sind. Seit 1954 Vereinsmitglied, zweiter Vorsitzender, Verwaltungsrats- und Aufsichtsratsmitglied schämte sich Dieter Woll nicht seiner Tränen, als er in einem flammenden Appell an Versammlung und Vorstand appellierte, nicht eine Stunde lang über Energiekosten zu debattieren, sondern alles zu tun, um die Borussia zu retten. Trotz der emotionalen Betroffenheit und bebender Stimme brachte Dieter Woll nach rund zwei Stunden die Disziplin auf, die Mitglieder mit dem Vereinslied zu entlassen und noch einmal ins Bewusstsein zu rufen: „Hoch lebe Eisen, hoch lebe Stahl, hoch lebe Borussia, wir singen noch einmal: Hurra, hurra, hurra, die Freunde der Borussia sind da!“ Wobei Dieter Woll die zweite Strophe ausdrücklich der Mannschaft gewidmet wissen wollte und den Text kurzerhand abwandelte: „Die Spieler der Borussia sind da.“ Spätestens jetzt hatten zahlreiche Borussen Tränen in den Augen. (-jf-)
Unsere Bilder haben ein paar Emotionen und Impressionen anlässlich der Mitgliederversammlung im VIP-Raum des Ellenfeld-Stadions eingefangen. (Fotos: -jf-)








































