Heute vor 54 Jahren: Das „Schalke des Südwestens“ düpiert die Königsblauen

Aus Borussias traditionsreicher Historie: Wichtiger Sieg im Kampf um den Liga-Erhalt / Drei Eckbälle von Elmar Mey führten zu drei Toren der Borussia / 25 000 Fans aus dem Häuschen

Unser Bild: Schalkes Friedel Rausch (dunkles Trikot) blockt Borussias Angreifer Günter Heiden (li.) und Heinz Simmet (Mitte) ab, Torhüter Gyula Toth kann den Ball aufnehmen. (Foto: 90 Minuten – mit Ferdi Hartung in die Bundesliga / Teil 1: Borussia Neunkirchen)

In irgendeinem Fanzine stach es Anfang der 90er Jahre ins Auge: „Borussia Neunkirchen – das Schalke des Südwestens.“ Neunkirchen – das klang, in einer Zeit vor Internet bzw. Wikipedia, mysteriös und geheimnisvoll. Wo mag wohl dieses Neunkirchen liegen? Im Saarland! 1. Bundesliga in den 60er Jahren? 1964/65 ein Zuschauerschnitt von über 21.000 im altehrwürdigen Ellenfeldstadion?! Ein Stadion, das als eines der ältesten Schauplätze des deutschen Fußballs gilt. Inzwischen wird dort seit über 115 Jahren Fußball gespielt. Dazu die Stadt: Neunkirchen, das berühmt wurde für seine Eisenindustrie. Kohle, Stahl und Eisen. Dazu ein Fußballverein, dem es einst gelang, eine hohe Identifikation mit der Mannschaft zu schaffen. Unter dem Motto „Hoch lebe Eisen, hoch lebe Stahl, hoch lebe die Borussia“ hatten fast alle gesellschaftlichen und wirtschaftliche Schichten den Traditionsverein aus der kleinsten Bundesligastadt als Sympathieträger des saarländischen Fußballs unterstützt und waren im Stadion zu einer fördernden Einheit geworden. Keine Frage, in den 60ern entstand dort in Neunkirchen ein Mythos. Kein Wunder, dass Max Klein im Buch „Höllenglut an Himmelfahrt. Die Geschichten der Aufstiegsrunden zur Fußball-Bundesliga 1963- 1974“ vom „Schalke des Südwestens“ sprach. Und ausgerechnet gegen Schalke 04 gab es im Ellenfeld heute vor exakt 54 Jahren eine Begegnung mit hoher Wertigkeit für den Abstiegskampf.

Im Hinspiel hatte Bundesliga-Aufsteiger Borussia in der Glückauf-Kampfbahn ein beachtliches 1:1 geholt. Und jetzt im Rückspiel konnte man die Spannung förmlich knistern hören, als an jenem 27. März 1965 die beiden Tabellennachbarn im harten Abstiegskampf aufeinander trafen. 25 000 Zuschauer bildeten eine imposante Kulisse einer Partie, in deren Anfangsphase die Vorteile bei den angriffsfreudigen Gelsenkirchenern lagen, die den berühmten Kreisel rotieren ließen und die Borussen von einer Verlegenheit in die andere stürzten. Nach nur vier Minuten jagte S04-Regisseur Manfred Kreuz das Leder ins Borussen-Tor, das von dem noch nicht wieder ganz hergestellten Horst Kirsch gehütet wurde – der Keeper laborierte an den Folgen einer Schulterverletzung, musste aber, der Not gehorchend, für den kurzfristig ausgefallenen Willi Ertz einspringen. Die Abwehr der Borussia wankte in dieser Phase bedenklich, doch der unerwartet schnelle Ausgleich durch Erwin Glod, der einen Eckball von Elmar May per Kopf in die Schalker Maschen wuchtete, brachte die Borussen zurück ins Spiel. Allmählich organisierte sich das Team von Trainer Horst Buhtz über seine bekannte Kampfkraft und gestaltete, gepuscht durch die Unterstützung des Publikums, das Spiel zunehmend ausgeglichener. Als sich Schalkes Nationalspieler Günter Herrmann mit einer Zerrung mehr oder weniger als Statist (damals waren Auswechslungen noch nicht erlaubt) auf den rechten Flügel zurückzog, lahmte das Spiel der Gäste, während die Borussia ihre Spielanteile steigern konnte.

Vor und nach der Pause schnürten die Schwarz-Weißen die Gäste mehr und mehr ein, doch Keeper Gyula Toth wuchs dabei über sich hinaus und brachte die Borussen-Offensive nahezu zur Verzweiflung. Auch Stopper Willi Schulz bewahrte mit routiniertem Stellungsspiel die Ruhrpöttler zunächst vor einem Rückstand. Die Entlastungsangriffe der Blauen nahmen stetig ab, und als Günter Kuntz, erneut nach Ecke von Elmar May, Neunkirchen in Führung brachte (70.), schien der Bann gebrochen. Doch Schalke gab sich noch nicht geschlagen, schlug im Gegenteil wie aus dem Nichts zurück, als der ansonsten enttäuschende Linksaußen Waldemar Gerhardt Horst Kirsch geschickt überlupfte und auf 2:2 stellte. Aber die Borussen waren an diesem Tag nicht aufzuhalten. Der bullige Stoßstürmer Günter Heiden fixierte in der fesselnden und dramatischen Schlussphase zunächst die Latte an, ehe er zwei Minuten vor Schluss – wieder nach Ecke von Elmar May – mit dem Siegtor das Ellenfeld-Stadion in ein Tollhaus verwandelte.

Borussia verschaffte sich mit dem Sieg Luft im Abstiegskampf, rückte mit nun 21:29-Zählern auf Platz 12 vor, während in der Kabine der Königsblauen nach dem Abpfiff von Schiedsrichter Kurt Tschenscher aus Mannheim manche Träne vergossen wurde – denn trotz eines guten Auftritts im Ellenfeld rückte der Abstieg für den achtmaligen deutschen Meister bedrohlich nahe! Dass Schalke am Ende der Saison trotz des letzten Tabellenplatzes in der Bundesliga bleiben durfte, war dem Lizenzentzug für die Berliner Hertha (wegen Zahlung verbotener Handgelder) und der Aufstockung der Liga auf 18 Vereine zu verdanken. Borussia musste sich auf Platz zehn der Abschlusstabelle keine Sorgen mehr machen. Im Gegenteil: Die Buhtz-Männer hatten als Neuling die Liga aufgemischt und sich als belebendes Element erwiesen. Der verdiente Lohn: Platz 10, vor renommierten Clubs wie dem VfB Stuttgart, Hamburger SV, Hertha BSC und dem pfälzischen Nachbarn aus Kaiserslautern!

Borussias Coach Horst Buhtz hatte folgende Mannschaft gegen Schalke 04 ins Rennen geschickt: Horst Kirsch – Erich Leist, Dieter Schock, Hans Schreier, Günter Schröder, Erwin Glod, Achim Melcher, Günter Heiden, Günter Kuntz, Elmar May, Heinz Simmet. Sein Gegenüber Fritz Langner hatte nominiert: Gyula Toth – Günter Karnhof, Uwe Kleina, Hans Nowak, Friedel Rausch, Willi Schulz, Heinz Crawatzo, Günter Herrmann, Manfred Kreuz, Karl Heinz Bechmann, Waldemar Gerhardt. (-jf-)

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