Unser Bild: Das Ellenfeld in Neunkirchen – ein (mehrjähriges) Gastspiel des 1. FC Saarbrücken könnte dem altehrwürdigen Stadion aus der Bundesliga-Gründerzeit neue Strahlkraft verleihen. (Foto: Tobias Amelong)
In Neunkirchen würden nicht nur Borussias Fans den 1. FC Saarbrücken mit offenen Armen empfangen
Von Jo Frisch
„He´s a real no-where man, sitting in his no-where-land, making all his no-where-plans for nobody.” Ein bisschen wie der von den Beatles in den 60er Jahren besungene „no-where-man“ muss sich derzeit der 1. FC Saarbrücken vorkommen. Nicht nur, dass die höchst umstrittene Aufstiegsregelung zur dritten Liga konkrete Planungen erschwert, auch die ungeklärte Stadionsituation macht den im Arbeiterstadtteil Malstatt verwurzelten Traditionsclub aus der saarländischen Landeshauptstadt derzeit zu einem heimatlosen Wanderer zwischen den Welten. Zwar genießt der FCS seit 2015 Asyl im sportlichen Exil im Hermann-Neuberger-Stadion in Völklingen, doch so richtig angenommen haben die Fans der Blau-Schwarzen die vorübergehende Spielstätte nicht. Denn dort bleiben trotz sehr guter Leistungen und unangefochtener Tabellenführung die Zuschauer aus – statt 5000 bis 6000 Fans kommt gerade einmal die Hälfte.
Da sich die anvisierte Interimslösung, mit Beginn der kommenden Saison während der Umbauphase im Ludwigspark zu spielen, aus logistischen Gründen nicht verwirklichen lässt, ist die Vereinsführung des FCS auf der Suche nach einem Ausweichquartier. Dabei tickt die Uhr unaufhaltsam. Der Spitzenreiter der Regionalliga Südwest muss bis Ende März die Unterlagen zum Lizenzierungsverfahren zur 3. Liga beim DFB einreichen. Darin muss neben den finanziellen Rahmenbedingungen nicht nur eine taugliche Spielstätte, sondern auch ein entsprechendes Ausweichstadion angegeben werden. „Wir werden erklären müssen, wo wir spielen, und wenn das bislang nicht drittligatauglich ist, wie es dazu gemacht wird“, umschreibt FCS-Sportdirektor Markus Mann die Aufgabe, um die sich Vorstandsmitglied Christian Seiffert kümmert. Der hat sich mittlerweile alle im Saarland möglichen Optionen angeschaut und für eine Sitzung der Vereinsgremien eine entsprechende Aufstellung erarbeitet. Die gute Nachricht: „Alle geprüften Standorte sind mit unterschiedlichem Aufwand machbar“, erklärt Präsident Hartmut Ostermann.
Zu diesen Standorten gehört neben Völklingen, Elversberg und Homburg auch das Ellenfeld-Stadion. Für die Anhänger des FCS, die keine Lust mehr haben, sich noch länger als „Volk ohne Heimat“ verspotten zu lassen, ist die altehrwürdige Arena in Neunkirchen die erste Wahl. Schon vor zwei Jahren haben sie die Internet-Petition „Pro Ellenfeld“ ins Leben gerufen. In noch nicht einmal 24 Stunden registrierten sich 1500 Unterstützer – „eine Größenordnung, die bei den Überlegungen zum Spielort bei den Verantwortlichen nicht außer Acht gelassen werden darf. Diesem Echo kann sich in der Landeshauptstadt keiner entziehen“, heißt es in einem Kommentar. Auch eine von der SR-Sportarena initiierte Abstimmung vor wenigen Tagen offenbarte ein eindeutiges Votum für das Ellenfeld. Maßgebend dabei ist nicht nur das freundschaftliche Klima zwischen den Fans beider Clubs, sondern auch der Charme der Arena, die als reines Fußballstadion mit den steilen Rängen eine unvergleichlich dichte und stimmungsvolle Atmosphäre erzeugt.
Bei der Borussia stoßen diese Stimmen auf offene Ohren. Der Vorstand hat eine Präsentation erarbeitet, die unter dem Motto „Pro´s for 4“ Vorteile für alle Beteiligten (Städte Saarbrücken und Neunkirchen, Vereine FCS und Borussia) zusammenstellt und eine klare „win-win-win-win-Situatiion“ herausarbeitet. Dabei stehen der Erhalt der baulichen Substanz des Stadions mit vergleichswiese geringem Aufwand und in relativ kurzer Zeit, die erleichterte Umsetzung eines Multifunktions-Konzeptes, die durch das erhöhte Zuschaueraufkommen steigenden Umsätze in Einzelhandel und Gastronomie und die gute Verkehrsanbindung über das Autobahnnetz im Mittelpunkt. Zudem ermöglicht die gegenüber den anderen Spielstätten deutlich höhere Zuschauerkapazität (2.300 Sitzplätze, ca. 14.000 Stehplätze) dem 1. FC Saarbrücken erhebliche Mehreinnahmen. „Außerdem ist die Spielstätte Ellenfeld der Ausweg aus der öffentlichen Diskussion rund um den Ludwigspark und die Entscheidungsträger der Stadt. Das neue Ludwigspark-Stadion kann ohne Zeitnot und Druck geplant und gebaut werden“, sagt Borussia-Präsident Martin Bach. Eine Bachelorarbeit der Universität Luxembourg hatte dem Stadion im letzten Jahr zwar einen Investitionsbedarf, aber gleichzeitig auch eine insgesamt sinnvolle und kostengünstige Sanierungsmöglichkeit attestiert. Dabei lag der Fokus vor allem auf der Spieser-Kurve, die für den 1. FC Saarbrücken als Standort seiner Fans eine besondere Rolle spielt. Das Ergebnis der Untersuchungen: „Die Spieser Kurve ist mit einem relativ geringen Aufwand wieder in einen benutzungsfähigen Zustand zu versetzen. Eine Betonschadstellensanierung des Kurvenunterganges ist nötig, zusätzlich muss natürlich das Gestrüpp, mit dem sich die Natur in den vergangenen Jahren das Gelände zurückerobert hat, entfernt werden, um Raum zu schaffen für die vorgeschriebenen Flucht- und Zufahrtswege“, berichtet Martin Bach. Auch eine Flutlichtfirma hat das Ellenfeld bereits inspiziert. Borussias Offerte an den 1. FC Saarbrücken ist also bestens vorbereitet – eine Offerte, mit der man zudem Saarbrücken und dem FCS nach langen, langen Jahren auch etwas zurückgeben könnte: Denn in den 60er Jahren fand die Borussia anlässlich Ihrer Teilnahme an der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft Aufnahme in der Landeshauptstadt, und auch der Triumph des ersten Bundesligaaufstiegs 1964 beim 1:0 gegen Tasmania Berlin wurde in der Gluthitze des Ludwigsparks gefeiert, weil die Kapazität des Ellenfelds damals zu gering war.
Jörg Eisenhuth blickt derweil über den Tellerrand hinaus: „Vielleicht sollte man mal sämtliche Vereinsbrillen im Schrank lassen“, empfiehlt das kooptierte Aufsichtsratsmitglied der Borussia, „denn es geht um viel mehr als nur um einen Spielort für den 1. FC Saarbrücken. Es geht hier um die Entwicklung nicht irgendeines Stadions, es geht um das Ellenfeld – ein deutschlandweit einzigartiges beliebtes Ziel von Fußballfreunden und Groundhoppern aus aller Herren Länder, das erste für die Bundesliga gebaute Stadion überhaupt. In Zeiten moderner gleichförmiger Baukasten-Arenen sollte man die wenigen Stadien der Vergangenheit erhalten. Jeder Stadionromantiker und Nostalgiker über die Grenzen des Saarlandes hinaus müsste sich für eine solche Sportstätte einsetzen.“ In der Tat: Für das Magazin 11FREUNDE gehört es zu den 99 Orten, die Fußballfans in Deutschland gesehen haben müssen. Anlässlich der in der ARD 1972 erstmals ausgestrahlten Kultserie „Fußballtrainer Wulf“ wurden dort Szenen gedreht. In den 90er Jahren begeisterte Rock-Legende Alice Cooper im weiten Rund seine Fans. Im Dezember 2014 setzten sich über hundert Menschen mit einer Mahnwache zur Erhaltung ein. Und im Internetportal youtube vermittelt ein Rundflug einzigartige Ansichten aus der Vogelperspektive: Das 105 Jahre alte Ellenfeld ist und bleibt nicht nur die sportliche Heimat der Borussia, sondern – so der Titel eines zum hundertjährigen Bestehens herausgegebenen Buches – auch Erinnerungsort für viele Menschen mit einem festen Platz im kollektiven Gedächtnis des Saarlandes. Eines, wenn nicht das schönste und einzige im historischen Zustand der Bundesliga-Gründerjahre erhaltene Stadion des Südwestens, ja ganz Deutschlands. Nicht wenige Fußballinteressierte pilgern hierher, wenn sie einmal den Charme der Anfangsjahre der bel-etage des deutschen Fußballs erspüren wollen.
Eine Renovierung des Ellenfelds könnte deshalb für neue Geschichten sorgen, wieder Begeisterung wecken und Strahlkraft auf die Fußballfreunde des Saarlandes ausüben. „Wer von ganz oben auf der Steiltribüne im Ellenfeldstadion nach unten blickt, weiß, dass Steine leben. Nicht biologisch, aber in der Erinnerung. Es ist ein magischer Ort. Jede Ritze, jede Fuge verströmt den Geist der Zeit. Wie eine Trutzburg des alten Fußballs liegt das Ellenfeld mitten in Neunkirchen. Keine sterile Multifunktionsarena aus Stahl und Glas. Hier wirkte als Trainer die Dortmunder Legende Alfred Preißler, der einst den inzwischen legendären Satz prägte: `Grau ist alle Theorie – entscheidend ist auf’m Platz!´ Hier trotzte die Borussia in den 1960er Jahren den Großen der Zunft, widerstand als kleinste deutsche Bundesligastadt den Angriffen der Kicker aus München, Köln und Hamburg. Wer die Augen schließt und die Steine des Ellenfelds auf sich wirken lässt, kann sie heute noch sehen, die wirbelnden Borussen in ihren schwarz-weißen Hemden“, ist in einem Beitrag von Eric Thielen auf der Internetseite „16vor.de“. Wenn es demnächst auch mal die blau-schwarzen Hemden des FCS wären – den Borussen-Fans wäre es nur recht. Anlässlich des ersten Fan-Stammtisches am vergangenen Sonntag setzten sie ein klares Signal: Willkommen, FCS! Und der „no-where-man“ hätte, als gern gesehener Gast, wieder eine sportliche Heimat gefunden. Zumindest vorübergehend. (-jf-)
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