Hassia Bingen: Mit einem Nationaltrainer ins Ellenfeld!

Wir stellen vor: Borussia Relegationsgegner Binger Fußballvereinigung (BFV) Hassia / Sturm-Trio sorgt für Furore / Spektakuläre Neuverpflichtung brachte Bingen 2012 in die Schlagzeilen

Unser Bild: Lang, lang ist´s her – Borussia jubelt über ein Tor gegen Hassia Bingen. So darf es am Samstag (16.00 Uhr) aus Borussen-Sicht gerne wieder sein! (Archivfoto: Thomas Burgardt)

Von Jo Frisch

Als sich an einem Sonntag Anfang August auf einem Restaurant-Balkon am Binger Speisemarkt Fenster und Türen öffneten, hatten sich zu Samba-Klängen mehrere hundert Menschen versammelt. Der Grund: Ailton! Verbandsligist Hassia präsentierte dank der Unterstützung finanzkräftiger Sponsoren den einstigen „Kugelblitz“ seinen Fans und sorgte damit für gehörige Furore unter den Fußballinterssierten im Lande. Denn die Binger Fußballvereinigung Hassia, wie der 1925 durch Fusion des Binger FV und des Vorortvereins Hassia Kempten gegründete Club aus der Stadt der heiligen Hildegard seit 1949 heißt, war zuvor eher nur ausgewiesenen Experten in Verbindung mit Profifußball bekannt: In Bingen begann Jan Schlaudraff seine Karriere, bevor er 2002 nach Mönchengladbach, später Hannover und Bayern München wechselte. Auch wenn der damals 39jährige Neuzugang Ailton, der bei Bundesligist Werder Bremen seine beste Profi-Zeit hatte (169 Spiele / 88 Tore), zum Jahresende 2013 nach 13 Toren im Hassia-Trikot seine Karriere beendete, hatte die Binger Fußballwelt für eine Zeit lang ihre Sensation. Zu Saisonbeginn war allenthalben für volle Stadien gesorgt. Zum Liga-Start waren knapp 2000 Fans gekommen, danach noch einmal 1000. Doch genutzt hat das alles nichts: Am Ende der Saison 2012/13 musste die traditionsreiche Hassia den bitteren Gang in die Landesliga antreten.

Doch zwei Jahre (2015) später gelang, ohne Ailton, die Rückkehr in die Verbandsliga, aus der sich der Club jetzt drei Jahre später nur allzu gerne wieder in die Oberliga verabschieden würde, wo die Hassia in den 90er und 2000er Jahren immer wieder mal ein Gastspiel gaben. Trainer Nelson Rodrigues hatte vor Saisonbeginn allerdings den Ziel-Spielraum ganz weit geöffnet und einen Platz zwischen eins und acht ausgerufen. Aber eine Serie von elf ungeschlagenen Spielen, in denen die Mannschaft 31 Punkte in Folge holte, ließ von mehr träumen. Und als nach dem 5:1 im letzten Saisonspiel gegen den bereits als Absteiger feststehenden Ludwigshafener SC der Vizemeistertitel und die Teilnahme an den Relegationsspielen gesichert war, kündigte Coach Rodrigues eine große Party an: „Ich will, dass die Spieler die Nacht zum Tag machen. Das haben sie sich verdient, genauso wie wir uns die Vizemeisterschaft verdient haben.“ Der Trainer selbst allerdings hatte nicht lange Zeit zum Feiern. Denn Nelson Rodrigues ist auch als Nationaltrainer tätig – der 40jährige coacht die portugiesische Nationalauswahl – der Winzer! Seit Montag weilt der Hassia-Coach bei der Fußball-Europameisterschaft der Winzer in Slowenien. Dort will der Portugiese sein Heimatland möglichst weit bringen. Ein mögliches Spiel um Platz 3 oder gar das Finale würde er allerdings nicht mehr vor Ort erleben: Zum Relegationsspiel der Hassia am 2. Juni im Ellenfeld will Rodrigues natürlich wieder zurück nach Deutschland, um die erfolgreiche Saison mit der Hassia zu krönen. Seit 2012 arbeitet Rodrigues in Bingen, kann in 142 Spielen mit seinen Teams auf einen Punkteschnitt von 1,88 verweisen, eine Top-Bilanz! Dass dem Übungsleiter der Hassia mit Uwe Lautermann und Ruth Anna Weißmann zwei zusätzliche Trainer eigens für Kondition und Fitness zur Seite stehen, zeigen die Ambitionen des Traditionsvereins deutlich auf.

Vor allem zuhause im Stadion „Hessenhaus“, einem 1974 erbauten reinen Fußballstadion mit dichter Atmosphäre, das 5000 Fans Platz bietet, zeigten die Schwarz-Roten dabei in der abgelaufenen Saison überzeugende Leistungen und holten 38 Punkte, konnten aber auch auf fremden Plätzen die Hälfte aller 16 Auswärtsspiele siegreich gestalten. Ein Angriffstrio brachte dabei ein besonderes Kunststück fertig: Fabian Liesenfeld (24 Tore), Serdar Mükerrem (20) und Enes Savtic (13) erzielten fast exakt drei Viertel aller 77 Treffer – ein gewaltiger Offensiv-Orkan Marke Ailton, der in der Borussen-Abwehr für stürmische Zeiten sorgen könnte! Überhaupt Fabian Liesenfeld: Der 32jährige ist sicher der erfahrenste in der ohnehin routinierten Hassia-Truppe (Durchschnittsalter: 26,15 Jahre), spielte der 1,84 Meter große beidfüßige Stürmer doch schon beim FSV Mainz 05 in der zweiten Liga und bei Wormatia Worms, VfR Aalen und den Sportfreunden Lotte in der Regionalliga. Seit der gebürtige Guldentaler (bei Bad Kreuznach) verletzungsbedingt seine Profikarriere beenden musste und in die rheinhessische Heimat zurückgekehrt ist, um beruflich bei der Lufthansa Fuß zu fassen, absolvierte er 97 Spiele im Hassia-Triot mit der beachtlichen Ausbeute von 65 Toren. Liesenfeld macht aus seinen Ambitionen kein Hehl: „Etwas Schöneres als einen Aufstieg gibt es für Fußballer nicht. Ganz ehrlich: Ich würde sehr gerne aufsteigen!“ Die Zuschauer im „Hessenhaus“ haben jedoch bislang die erfolgreiche Saison, die mit dem Vizemeistertitel endete, nicht so richtig honoriert. Lediglich 216 Besucher im Schnitt zahlten ihren Obolus in die Vereinskasse. Nur 70 waren es gegen den ASV Fußgönheim, immerhin 650 im Derby gegen Waldalgesheim oder 550 gegen Aufsteiger RWO Alzey.

Aus den Reihen der Hassia, die immer schon für ihre nachhaltige Jugendarbeit bekannt war, kamen im Übrigen häufiger herausragende Fußballer, die sich hinter einem Ailton nicht unbedingt verstecken müssen. Jüngstes Beispiel: Suat Serdar, der bei Mainz 05 einschlug wie eine Granate und dem FC Schalke 04 als Neuzugang für die kommende Saison 10,5 Millionen Euro wert ist, ist am „Hessenhaus“ groß geworden. In früheren Jahren bediente sich der 1. FC Kaiserslautern des Öfteren aus der Hassia-Talentschmiede: Die Brüder Fritz und Werner Fuchs, Jörn Kaminke, Uwe Frowein oder Gerd Bold – sie alle trugen vor dem Trikot der roten Teufel den Dress der Hassia. Auch Torhüter Peter Eich (Waldhof Mannheim, FC Homburg, 1. FC Saarbrücken) lernte seine Fangkünste in Bingen. Man kann also völlig zurecht von einem Traditionsverein sprechen, der am Samstag im Ellenfeld (Anstoß: 16.00 Uhr) seine Visitenkarte abgibt. Ein Traditionsverein, gegen den Borussia bislang insgesamt eine positive Bilanz aufzuweisen hat. Seit dem ersten Aufeinandertreffen beider Clubs nach dem Krieg 1953 gab es in 42 Spielen 19 Borussen-Siege und 15 Unentschieden. Achtmal konnte die Hassia die Partie erfolgreich gestalten, darunter allerdings die letzte Begegnung zwischen Borussia und Hassia, die die Binger am 21. November 2009 im Ellenfeld mit 1:0 gewannen.

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