Fundstücke (8): Ein Kleiderhaken für das Trikot eines Weltmeisters

Unsere Bilder: Hier hing Fritz Walters Spielkleidungdie Kleiderhaken „in situ“, das heißt im Original an der Wand der Gästekabine im Bauch der 1964 errichteten Haupttribüne (oben), ein restauriertes Exemplar ist heute im VIP-Raum zu besichtigen (unten). (Fotos: -jf-)

Mächtig thront sie über dem Ellenfeld-Stadion. Ihre exakt 2309 roten Schalensitze sind von den Sonnenstrahlen, die ab dem frühen Nachmittag vom Altseiterstal her die Steinstufen mit ihrem wärmenden Licht überfluten, schon reichlich verblasst. Hätte sie eine Stimme, viel erzählen könnte sie, die Haupttribüne der altehrwürdigen Spielstätte. Auch aus der Zeit, als sie sich im Spätsommer 1964 mit Hilfe zahlreicher Baukräne Rang für Rang, Meter für Meter steil in den Himmel schob und als Stein gewordenes Symbol den Aufstieg der Borussia und der kleinsten Bundesliga-Stadt in die bel-etage des deutschen Fußballs verkörperte. Heute ist das Ellenfeld das einzige Stadion, das – bis auf wenige Veränderungen – Urzustand, Flair und Atmosphäre der Bundesligagründerzeit vermittelt. Wer wissen will, wie sich die oberste deutsche Spielklasse in ihren Anfangsjahren „angefühlt“ hat, ist im Ellenfeld genau richtig.

Das gilt nicht nur für das Äußere des Stadions. Auch der Bauch der Haupttribüne hat für Fußballnostalgiker einige Überraschungen parat. Und die sind dem Umstand geschuldet, dass die Haupttribüne quasi über den Vorgängerbau übergestülpt und um ihn herum gebaut wurde. Der war 1930 (nach dem Brand der alten Holztribüne auf der heutigen Gegengerade) dank der Tribünengesellschaft als Massivbau aus Ziegelsteinen mit hölzerner Dachkonstruktion und einem Fassungsvermögen von 700 Sitzplätzen errichtet worden und ist mit seinen Räumlichkeiten im Kern der neuen Tribüne bis heute im Wesentlichen erhalten.

Stapft man die im Laufe der Jahre durch die unermüdliche „Arbeit“ des Bodens (das Ellenfeld ist ein sogenanntes „Erdstadion“) verschobenen Betonquader der seit 2007 gesperrten Vortribüne hinauf, steht man ein paar Meter weit weg von der Tribünenmitte vor einer Tür. Ursprünglich aus Holz bildete sie den Zugang zu Umkleiden und Vereinsräumen. Heute aus Metall quietscht sie ein wenig beim Öffnen – die Spannung steigt. Was mag einen dahinter erwarten? Ein paar Schritte ins Halbdunkel, dann öffnet sich links ein Raum: Die ehemalige Geschäftsstelle. Mit ein bisschen Phantasie kann man vor dem geistigen Auge Borussias Geschäftsführer Willi Buschbaum, in Hemdsärmeln und Kinckerbockern, unter der abgetreppten Stahlbetondecke der Sitzreihen im fahlen Licht seiner Tischlampe an der Schreibmaschine die alltäglichen Aufgaben erledigen sehen. Der elektrische Verteilerkasten gleich nebenan kann sein Alter nicht verleugnen: Hier fließt schon lange kein Saft mehr!

Die Ellenfeld-Tribüne von 1930 (Bild oben), die beiden Türen in Tribünenmitte führten in die Funktionsräume. Sie sind „im Bauch“ des Neubaus, der über der alten Tribüne errichtet wurde (Bild unten) noch weitgehend vorhanden. (Fotos: 100 Jahre Ellenfeld)

Gegenüber der Eingang zur Kabine der Gastmannschaft. Zwei kleine Waschbecken und zwei Duschen, verstaubt und verrostet, zeugen noch heute von den bescheidenen Ansprüchen und Dimensionen, in denen sich der Fußball anno dazumal abspielte. Beengt waren die Verhältnisse – kein Wunder, waren doch damals noch keine Auswechselspieler erlaubt. Kaum mehr als die elf Spieler, dazu maximal ein Ersatztorwart, dazu noch Trainer und Zeugwart bildeten den Mannschaftskader. In der Ecke auf dem Boden erkennbar ein quadratisches Fundament für den Holzofen, der zur Heizung der Kabine und zum Aufheizen des Duschwassers befeuert wurde, daneben ein Loch in der Wand für das Ofenrohr. Sogar die Kleiderhaken sind noch vorhanden. Einer davon wurde auf Initiative von Professor Dr. Jens Kelm und seinem Vater Jürgen restauriert und ist heute oben im VIP-Raum neben der Sporthalle zu besichtigen – Relikt einer so fern scheinenden Zeit, die dem Betrachter des Objekts aber doch wieder so nahe rückt. „Hier hat also der große Fritz Walter sein weinrotes Trikot mit der legendären Nummer 8 aufgehängt, wenn er mit seinem 1. FC Kaiserslautern im Ellenfeld zu Gast war, hier hat er sich mit seinen Roten Teufeln und Mitweltmeistern Ottmar Walter, Werner Liebrich, Horst Eckel und Werner Kohlmeyer umgezogen“, schießt es dem an der Fußballhistorie Interessierten unwillkürlich in den Kopf. Fritz Walter, der „Erfinder von Kaiserslautern“, wie es aus Kindermund einmal verlautete.

1946 musste es mit dem Umziehen ganz schnell gehen.  Denn anlässlich des Oberligaspiels des VfB Neunkirchen (der Name Borussia, lateinisch für Preußen, war noch Jahre nach dem Krieg bei den Besatzern verpönt und verboten!) warteten tausende von Zuschauern mit in den Kriegsjahren eingeübter unendlicher Geduld auf die Pfälzer Gäste. Wo blieben sie nur? Schon seit 30 Minuten sollte die Partie laufen. Der jüngst verstorbene Leichtathlet der Borussia, Gerd Lemmes, erinnert sich in einem Beitrag im Jubiläumsbuch „100 Jahre Ellenfeld-Stadion“ noch ganz genau: „Langsam begannen die Leute abzuwandern. Ich selbst ging über den Heusnersweiher, heute Mantes-La-Ville-Platz, der nass und schmutzig war. An Hallenbad oder GSG-Häuser war noch laneg nicht zu denken. Da stiegen aus der Straßenbahn mehrere Leute mit Koffern in der Hand aus. Ich fragte: `Seid ihr die Lauterer?´ `Ei jo´, antwortete Fritz Walter. Ich rannte zurück und rief: ´Sie kommen!´ Abwandernde Zuschauer eilten zurück ins Stadion. Mit einer Stunde Verspätung wurde das Spiel angepfiffen.“ Zweimal gingen die Borussen durch Heinrich Brenner und Wilhelm Schmelzer in Führung, zweimal konnten die Pfälzer ausgleichen. Schiedlich-friedlich 2:2 lautete das Endresultat. Borussia sicherte sich einen Zähler gegen den favorisierten Gast – nicht zuletzt deshalb, weil Torwart Jakob Forster mit seinen Fangkünsten und Paraden die Lauterer fast zur Verzweiflung brachte. „Das ist eben unsere Borussia“, soll der damalige erste Vorsitzende Ernst Weber gesagt haben. Und dabei schwang wohl ganz sicher eine gehörige Portion Stolz in seiner Stimme mit! (-jf-)

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