Déjà-vu der besonders bitteren Art

Aus Borussias traditionsreicher Historie / Vor 58 Jahren: In fünf Tagen zwei bittere 2:3-Niederlagen gegen die Altmeister Schalke und Nürnberg

Unser Bild: Das Schalker-Abseitstor zum 1:2-Anschluss – Waldemar Gerhardt (Mitte) hat keine Mühe, alleine vor Torhüter Horst Kirsch (re.) einzuschießen. Borusse Günter Schröder (li.) scheint mit dem Abseitspfiff gerechnet zu haben. Im Hintergrund der legendäre Musikpavillon des Dortmunder Stadions „Rote Erde“. (Foto: 90 Minuten. Mit Ferdi Hartung in die Bundesliga)

Déjà-vu ist ein Wort aus der französischen Sprache. „Schon mal gesehen“, könnte man es übersetzen. Der Begriff bezeichnet ein psychologisches Phänomen, bei der die betroffene Person das sichere Gefühl hat, eine neue Situation in der Vergangenheit in gleicher Weise schon einmal durchlebt zu haben. Auch der Fußball kennt solche Situationen. Der Borussia ist so etwas vor heute genau 58 Jahren passiert – allerdings nicht als sicheres Gefühl, sondern als reales Erlebnis!

Als Südwestmeister hatten sich Elmar May, Karl Ringel, Rudi Dörrenbecher und Co. für die Endrunde um die deutsche Meisterschaft qualifiziert. Die Teilnehmer des Endspiels wurden unter den 8 Meistern der Oberligen (damals die erste Liga) in zwei Gruppen ausgespielt. Borussia erhielt zog ein alles andere als leichtes Los: West-Vizemeister und Altmeister Schalke 04, der damalige Rekordmeister und Titelverteidiger 1. FC Nürnberg und der Berliner Titelträger Tasmania 1900 hießen die Gegner. Ausgetragen wurden die Spiele in einfacher Runde auf neutralem Platz. Die Borussen waren krasse Außenseiter, ließen aber schon beim ersten Spiel gegen die Blauen aus Gelsenkirchen aufhorchen.

Dabei hatten die Ellenfelder im Vorfeld viel Pech. Günter Kuntz, schon vorher angeschlagen, fiel nach einer Verletzung aus dem Schalke-Spiel gegen Nürnberg aus, Elmar May litt unter den Folgen eines Zehenbruchs und erreichte zu keiner Zeit die Form der Punktspiele. Die Flügel lahmten also, was sich vor allem für Torjäger Rudi Dörrenbecher fatal auswirkte. Denn der damals 29jährige Polizeibeamte hatte in der Oberliga-Saison mit 37 Toren (in 30 Spielen) die beste Bilanz aller Oberligen aufzuweisen, beispielsweise neun Tore mehr als Uwe Seeler vom Hamburger SV! Wie hätte Borussia mit intakten Flügelspielern abgeschnitten? Diese Frage stellte man sich nicht nur im Ellenfeld. Hinzu kam der tragische Verlauf der beiden Partien gegen Schalke und den Club. Beide Male führten die Borussen mit 2:0, zweimal kam – in ein und derselben Minute! – die große Wende. Einmal durch den Schiedsrichter, einmal durch ein Eigentor. Beide Male ließ sich Borussia dadurch aus dem Konzept bringen und musste dem Gegner mit 2:3 einen glücklichen Sieg überlassen. Ein echtes Déjà-vu! Doch der Reihe nach.

Schiedsrichter Sparing aus Kassel war der Pechvogel, der den Schalkern nach gut einer Stunde Spielzeit in einer Phase, in der eher das dritte Borussen-Tor in der Luft lag, ein Abseitstor zum 1:2-Anschlusstreffer „schenkte“. Stürmer Waldemar Gerhardt hatte bei einem Karnhof-Flugball über die Borussen-Abwehr hinweg Stellung bezogen – mehr als zwei Meter hinter der Neunkircher Abwehrreihe, die auf den Pfiff wartete. Doch die Pfeife des Unparteiischen blieb stumm. Die „Neunkircher Zeitung“ sprach von einem „glasklaren Abseitstor“, und die „Allgemeine Zeitung“ berichtete: „Der für die Schalker so wichtige Anschlusstreffer resultierte aus einer ganz klaren und nicht anzuzweifelnden Fehlentscheidung des Schiedsrichters. 40.000 Zuschauer sahen Gerhadts Abseitsstellung, Herr Sparing sah sie nicht.“ Was für Borussia blieb, war ein enormer Imagegewinn. Karl Ringel (25.) und Paul Pidancet (56.) hatten im Dortmunder Stadion „Rote Erde“ die beiden Treffer zur 2:0-Führung erzielt.

Unglücksrabe Günter Schröder: Über 70 Minuten lang hatte Borussias Abwehrspieler (Nr. 2), hier bei einer spektakulären Rettungsaktion per Flugkopfball, FCN-Mittelstürmer Albrecht (li., Nr. 9) voll im Griff, wurde aber durch ein unglückliches Eigentor verunsichert und erlaubte der Nürnberger Sturmspitze noch zwei Tore. (Foto: 90 Minuten – mit Ferdi Hartung in die Bundesliga)

Nur fünf Tage später wartete mit dem Titelverteidiger und Europacup-Teilnehmer 1. FC Nürnberg der nächste Altmeister. Die Vorschusslorbeeren des „Glubbs“ waren allerdings zunächst schnell verwelkt, als die Borussen im proppenvollen Ludwigshafener Südweststadion die Herzen der 65.000 Zuschauer im Sturm eroberten. Erich Leist verwandelte nach 13 Minuten einen an Torjäger Dörrenbecher verwirkten Foulelfmeter zum 1:0, Paul Pidancet legte nach 28 Minuten nach. Doch dann brach wiederum in Minute 61 das Unheil über die Borussen herein: Günter Schröder bugsierte das Leder nach einer Flanke von Gustav Flachenecker unglücklich ins eigene Tor bugsierte. Angetrieben von Weltmeister Max Morlock bekamen die „Glubberer“ jetzt Oberwasser und drehten mit zwei Toren von Mittelstürmer Richard Albrecht in 5 Minuten (73. / 78.) die Partie. Trotz der Enttäuschung durften die Borussen die Bühne erhobenen Hauptes verlassen, hatten sie doch „eine Leistung gezeigt, die in der ganzen Republik Beachtung fanden“, heißt es in Stefan Tönnies´ Buch „Kampf um die Salatschüssel“.

Foul mit Folgen: Der dynamische Rudi Dörrenbecher wird von zwei Nürnbergern „in die Zange genommen“ und zu Fall gebracht (oben), Erich Leist verwandelt den fälligen Elfmeter sicher (unten). (Fotos: Hoch lebe Eisen! Festschrift zum 75jährigen Bestehen der Borussia)

Max Morlock war nach den 90 Minuten vor allem von der Defensive der Borussia angetan: „Es wollte bei uns im Sturm nicht klappen, die Neunkircher Abwehr ist ausgezeichnet!“ Club-Trainer Herbert Widmayer sah die Wende im Spiel darin begründet, „dass die Borussia zu früh auf Defensive umgeschaltet hat.“ Borussias Spielführer Karl Ringel wollte Eigentor-Schütze Günter Schröder keinen Vorwurf machen: „Das Eigentor hat uns das Genick gebrochen. Der Unglücksrabe Schröder ist noch zu jung, um so etwas überwinden zu können. Er wurde unsicher und ließ dem Nürnberger Linksaußen Albrecht, den er zuvor beherrscht hatte, zu viel freien Lauf.“ Schröder selbst war untröstlich und „wäre nach dem Selbsttor am liebsten im Boden versunken. Mein Eigentor passierte ausgerechnet in der Minute, in der wir gegen Schalke das Abseitstor hinnehmen mussten.“ Ein Déjà-vu eben!

Auch wenn es zum Abschluss der Runde vor 8.000 im Ludwigspark in Saarbrücken mit 0:1 gegen Tasmania eine weitere Niederlage gab, war das Fazit äußerst positiv: „Der Südwesten hatte in Borussia einen wirklich guten Vertreter, dem es nur noch an Erfahrung und Kaltschnäuzigkeit in bedeutungsvollen Spielen vor einer großen Zuschauerkulisse fehlt, der aber bewiesen hat, dass er im Reigen der deutschen Spitzenmannschaften mitmischen kann“, schreibt der Chronist in „Hoch lebe Eisen!“, der Festschrift der Borussia zum 75. Vereinsjubiläum.

Trainer Adi Preißler schickte gegen Schalke und Nürnberg folgende Borussen ins Spiel: Horst Kirsch – Günter Schröder, Hennes Schreier, Achim Melcher, Erich Leist, Erwin Glod, Elmar May, Karl Ringel, Paul Pidancet, Rudi Dörrenbecher, Günter Kuntz (gegen Nürnberg: Dieter Schock). (-jf-)

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