„De Hidd“ und das Ellenfeld – hoch lebe Eisen!

Gedenkminute und posthume Ehrung für Torwart-Legende Willi Ertz / Eine etwas andere, ziemlich emotionale Nachlese zum Spiel der Borussia gegen den SV Mettlach

Unser Bild: Gedenkminute für Willi Ertz – die Borussen-Familie trauert im traditionellen Schwarz und Weiß um einen großartigen Sportler und Menschen. (Foto: -jf-)

Von Jo Frisch

Hoch lebe Eisen! Manfred Fremgen wischt sich die dicken Schweißperlen von der Stirn. Der langjährige Ordner, der auf Höhe der Mittellinie auf einem weißen Gartenstuhl immer seinen Stammplatz einnimmt, hat sich diesmal hinter die Werbebande zurückgezogen, um dort wenigstens ein ganz klein wenig Schatten zu erhaschen. Denn es ist verdammt heiß im altehrwürdigen Ellenfeld. In Manfred Fremgen kommen Erinnerungen hoch: An sein Berufsleben. Denn gemäß der alten Losung „Geh uff de Hidd, da bischde gutt unner“ hat er lange Jahre im Neunkircher Eisenwerk geschuftet. „Ich kenn´ die Temperaturen“, sagt Manfred Fremgen. Hoch lebe Eisen! Und so können Zuschauer und Spieler am Samstag bei der Partie der Borussia gegen den SV Mettlach im Hochofen Ellenfeld-Stadion ansatzweise eine Ahnung entwickeln, was die Knochenarbeit „uff der Hidd“ unter Gichtglocke und Möller, zwischen Tümpel, Fuchs und funkenspeiendem Eisen bedeutet hat. Und das nicht nur 90 Minuten, sondern zehn und mehr Stunden. In verschiedenen Schichten, am Tag und in der Nacht. Hoch lebe Eisen!

Doch die Borussen dort unten auf dem grünen Rasen, erstmals in ihrem neuen, schlichten, und gerade deshalb richtig schmucken traditionsreichem schwarz-weißen Dress angetreten, meistern ihre Aufgabe bravourös, heizen dem mit Mann und Maus verteidigenden Gegner bis zum finalen „Abstich“ durch den fulminanten Freistoß von Kevin Saks ordentlich ein und lassen ihren Anhang – nicht nur wegen der Hitze – regelrecht mitfiebern. Und werden für den Einsatz all ihrer Energie am Ende belohnt: Borussia kann sich nach 90 und mehr Minuten über das Roheisen, sprich: drei Punkte freuen, während enttäuschten Mettlacher Gästen nur die Schlacke bleibt. Hoch lebe Eisen!

Einer hätte ganz bestimmt nach dem Schlusspfiff in den kollektiven Jubel mit eingestimmt. Wenn er denn noch unter den Borussen wäre – Willi Ertz! Das Lebenslicht der Torwart-Legende vom Ellenfeld ist nur wenige Wochen nach seinem 75. Geburtstag plötzlich und unerwartet am 5. Juli erloschen. Die außerordentliche Mitgliederversammlung hat dem „Held von München“, dessen Name in Borussias Historie auf immer und ewig mit dem sagenumwobenen 2:0-Erfolg in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga beim FC Bayern München verbunden sein wird, posthum zum Ehrenspielführer der Borussia berufen. Um dem auch sichtbaren Ausdruck zu verleihen, wurde jetzt vor der Partie gegen den SV Mettlach am Stammplatz von Willi Ertz hoch oben unter dem Dach der Tribüne, wo er bis zuletzt gemeinsam mit Gattin Gisela die Spiele der Borussia verfolgte und die Daumen drückte, vom Borussen-Präsidenten Alex Kunz und Dr. Jens Kelm „in memoriam Willi Ertz“ eine Plakette enthüllt. Sie soll, befestigt an der Rückenlehne des roten Schalensitzes, an die Tugenden erinnern, die der Torhüter wie kaum ein anderer Borussia bis zum Schluss verkörperte: Bodenständigkeit, Ehrlichkeit, Bescheidenheit und Treue. Darüber hinaus gedachten Spieler und Zuschauer vor dem Anpfiff in einer stillen Minute des Mannes, den man – ohne zu übertreiben – als Vereinsikone bezeichnen darf. Seit seinem elften Lebensjahr gehörte er der Borussia an, sagenhafte 750 Spiele bestritt Willi Ertz für den Club, engagierte sich nach der aktiven Laufbahn als Co- und Torwarttrainer. Borussia war sein Leben. Und deshalb wird Willi Ertz von höherer Warte womöglich mit freudiger Rührung auf das Geschehen in seinem Stadion an diesem heißen Samstagnachmittag hinunter geblickt haben. In diesem Kontext gewinnen auch die traditionsreichen Farben der Borussia an Symbolkraft: Das tiefe Schwarz für die Trauer um einen großartigen Menschen und Sportler, das strahlende Weiß für den berechtigten Stolz auf die Jungs, die am Samstag im Hochofen „Ellenfeld-Stadion“ mit totaler Hingabe bis zur letzten Sekunde „im Schweiße ihres Angesichts“ um den Sieg gerungen haben. Blood, sweat and tears für Borussia. Hoch lebe Eisen!

Für die Neunkircher Hütte, im 19. Jahrhundert unter den Gebrüdern Stumm zu ungeahnter Blüte gebracht, kam am 29. Juli 1982 nach 400jährigem Betrieb das Aus. Das vom Journalisten Joseph Roth als „gelber Flaschenglas-Himmel“ beschriebene Firmament über Neunkirchen klarte auf. Doch Borussia brennt weiter, oft bezeichnet als „Schalke des Südwestens“ – will heißen:  Ein echtes Team mit Malocher-Mentalität, sich auch für Drecksarbeit nicht zu schade, frei nach dem Motto „Einer für alle, alle für einen“ bereit, alles zu investieren, dass der Schornstein – sportlich gesehen – nicht aufhört zu rauchen. Hoch lebe Eisen!

Unsere Bilder zeigen die Präsentation des Willi-Ertz-Platzes auf der Tribüne des Ellenfeldes. (Fotos: -jf-)

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