Vor 90 Jahren: Borussias Benefiz für die Gasometer-Geschädigten

Aus der Borussen-Historie: Zwei Privatspiele gegen Admira Wien in Saarbrücken und Neunkirchen erbrachten namhaften Ertrag / Insgesamt 15.000 Zuschauer sahen Begegnungen auf Augenhöhe

„Freitags gab es bei uns immer Kakao und Käse. So stand auch an diesem Tag gegen 18.00 Uhr meine Mutter am Herd und rührte den Kakao. Mein Bruder, drei Jahre, und ich, sieben Jahre, standen um den Herd herum, schauten zu und freuten uns auf das Abendessen“, heißt es in einem Augenzeugenbericht. Doch an diesem 10. Februar vor mehr als 90 Jahren kam alles anders. „Plötzlich gab es einen entsetzlichen Knall, wir alle wurden durch die Erschütterung und den starken Druck zu Boden gerissen. Von überall her hörte man Schreie, die Sirenen heulten ununterbrochen. In unserem Haus waren 29 Fensterscheiben und einige Türen kaputt.“

Was war passiert? Der damals größte Gasbehälter Deutschlands, der Gasometer des Neunkircher Eisenwerkes, war in die Luft geflogen. Vermutliche Ursache: Schweißarbeiten bei Reparatur- und Überprüfungsarbeiten. Das Donnern der gewaltigen Explosion war bis ins 22 Kilometer entfernte Saarbrücken zu hören. Die traurige Bilanz: 68 Tote, 190 Verletzte, viele Häuser dem Erdboden gleichgemacht, Millionenschäden. Eine Welle der Hilfsbereitschaft schwappte durch das ganze Land, Spenden für die Opfer flossen in beachtlicher Höhe in die Hüttenstadt.

Bewegte vor 90 Jahren die Menschen weit über die Grenzen des Saarlandes hinaus: Die Gasometer-Explosion von Neunkirchen.

Da wollten und konnten auch die Fußballer nicht tatenlos zusehen. Zu gleich zwei Benefizspielen kam die damals weit über die Grenzen Österreichs bekannte und erfolgreiche Mannschaft der Wiener Admira ins Saarland. Vor ziemlich exakt 90 Jahren am 14. April 1933 siegten die Gäste als amtierender Meister und Pokalsieger Österreichs mit all ihren Stars in Saarbrücken gegen eine erweiterte Saar-Auswahl mit 3:1, nur einen Tag später im Neunkircher Ellenfeld mit 2:1 gegen die Borussia. Die Wiener standen in dieser Zeit im Zenit ihres Könnens und konnten in internationalen Spielen auftrumpfen: 5:3 gegen Slavia Prag 6:1 gegen Ferencvaros Budapest, 2:2 gegen den FC Barcelona, 3:0 in England gegen Hudersfield Town und 2:1 gegen die Blackburn Rovers, 3:2 gegen Hertha BSC und 2:1 gegen den 1. FC Nürnberg – Ergebnisse, die nicht von Pappenstiel waren!

„Es wird darauf ankommen, ob die elf Spieler sich tatsächlich zu einem geschlossenen Team zusammenfinden, denn gut sind sie alle“, hatte deshalb die „Saarbrücker Zeitung“ (SZ) die Aussichten der Saargruppen-Auswahl eingeschätzt. Das sollte sich bestätigen: Die wackeren Saarländer schlugen sich wider Erwarten prächtig. „Bis weit in die zweite Halbzeit lieferten sie den Wienern einen offenen Kampf. Das Übergewicht der Wiener, das besonders in der Zusammenarbeit, in der Kondition der einzelnen Spieler und der vorbildlichen Ballbehandlung offenkundig war, kam erst in den letzten zwanzig Minuten erfolgreich zur Geltung. In dieser Periode lieferte die überragende Fußballkunst der Wiener Berufsspieler, allerdings begünstigt durch die eingetretene Erschlaffung der Widerstandskraft des Gegners, den erwarteten Triumph“, resümierte Reporter Hans Schneider im „Kicker“ die 90 Minuten. Bei den Saarländern, so heißt es weiter, hätten vor allem vier Akteure überzeugt: „Der Torwart Müller von der Neunkircher Borussia, der Mittelläufer Theobald vom gleichen Verein und der auf halbrechts stürmende Idarer Emil Meng. Der Angriff hatte in dem Saarbrücker Conen einen energisch sich einsetzenden und einige Pfundsschüssen aufwartenden Anführer.“ Conen war es denn auch, der die Saarauswahl vor 9000 Zuschauern nach 38 Minuten mit 1:0 in Führung brachte. „Als die Wiener ihren Gegner mürbe gemacht hatten und den zweiten Gang einschalteten, fiel es ihnen verhältnismäßig leicht, dem von Vogl kurz vor der Pause erzielten Ausgleichstreffer durch Sigl und Vogl zwei weitere Tore hinzuzufügen“, schließt der „Kicker“ seinen Bericht, über das Spiel, bei dem die Zuschauer zwei Minuten lang schweigend der Toten von Neunkirchen gedachten.

Im Unterschied zum Spiel in Saarbrücken war nur einen Tag später am Gründonnerstag die Mannschaft der Borussia nicht durch andere Akteure verstärkt – laut„SZ“ ein Plan, der „glücklicherweise fallen gelassen wurde. Es erwies sich, dass die prächtig eingespielte und technisch hervorragende Neunkircher Mannschaft ein besserer Gegner war als die Saargruppenrepräsentative.“ Sowohl in Offensive als auch Defensive hätten die Borussen den international renommierten Gegner herausgefordert, „noch mehr von ihrem großen Können in die Waagschale zu werfen.“ In einem ebenbürtigen Spiel, in dem beide Teams zu Ehren der Gasometer-Opfer Trauerflor trugen, hatte Borussia dem Bericht zufolge die besseren Torgelegenheiten, von denen aber nur eine verwertet werden konnte: Nach 41 Minuten verwandelte Anschütz eine Vorlage von Voß zur Führung. 6000 Zuschauer sahen dann, wie der Wiener Stürmer Schall ein Missverständnis in der Borussen-Abwehr zum Ausgleich nutzte. „Lange, bis kurz vor Schluss, blieb es beim 1:1. Gerade nachdem ein strammer Pfostenschuss das Wiener Tor gefährdet hatte, gelingt es Vogl, sich durch die Deckung zu schlängeln und mit einem platzierten Schuss ein wunderschönes Tor zu erzielen, von seiner Mannschaft lebhaft beglückwünscht“, gerät Autor Albrecht Menzel in der der damaligen Zeit eigenen Sprache regelrecht ins Schwärmen. Auch die Einzelkritik liest sich prächtig: „Diese Mannschaft hat aufs Neue bewiese, dass sie bei ernstem Willen auch heute noch zu großen Taten fähig ist. Überragend war wieder das Abwehrspiel des Torwarts Müller. Äußerst tapfer schlugen sich die beiden Verteidiger. Der junge Welsch war nicht kleinzukriegen. Besonders stark standen die Borussen in der Läuferreihe. Theobald und Reinhold Wiese spielten große Klasse und der kleine Litzenburger vollbrachte technische Glanzstücke. Im Angriff überragte der rechte Flügel. Koch war unermüdlich und er bediente Voß mustergültig. Anschütz hat einige Prachtschüsse aufs Wiener Tor gesetzt, einer davon ergab den Treffer der Borussia.“ Die Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Borussia fasst zusammen: Das erzielte Ergebnis sei „das Beste gewesen, was den Gegnern Admiras auf der Osterreise 1933 (nach Frankreich, Deutschland, Belgien und Holland) gelungen war.“

Doch die sportlichen Resultate waren in beiden Spielen nur zweitrangig. „Die Hauptsache ist, dass das Spiel, in jeder Hinsicht auf einer beträchtlichen Höhe der Fußballkunst stehend, seinem pietären Zweck durchaus würdig war und daher allen Erschienenen noch lange in dankbarer Erinnerung bleiben wird“, so die „SZ“. Die Wiener Gäste hätten durch günstige Bedingungen namhafte Überschüsse ermöglicht. Dank der Neunkircher Mannschaft, die sich der ehrenvollen Aufgabe weit mehr als gewachsen gezeigt habe, und dank des Veranstalters und der zahlreichen Zuschauer sei den Geschädigten der Gasometer-Explosion eine weitere so notwendige Unterstützung gewährt worden. Auch die Tennisspieler engagierten sich mit einem Benefiz-Turnier: Der Bezirk 12 (Saar-Pfalz-Baden) des Deutschen Tennis-Bundes veranstaltete in Neunkirchen repräsentative Tennis-Kämpfe, die von der Tennis-Abteilung der Borussia organisiert wurden. Die genaue Summe der Wohltätigkeitsveranstaltungen kann heute nicht mehr ermittelt werden.

Borussia sagt ganz herzlichen Dank den Stadtarchiven in St. Wendel, Neunkirchen und Saarbrücken, den Mitgliedern des Ellenfeld-Vereins e.V., Wolfgang Rausch, Prof. Dr. Jens Kelm, Tobias Fuchs und Ralf Pirrmann für die tolle Unterstützung bei den Recherche-Arbeiten zu diesem Beitrag! (-jf-)

1 Kommentar

  1. Ein Beweis dafür, dass sich unsere Borussia mit ihrem Ellenfeld schon in früheren Jahren ihrer sozialen Bedeutung und Möglichkeiten bewusst war!
    Jo, ich danke dir für diesen schönen Artikel und bin der Meinung, dass bis auf die Unkenntnis hinsichtlich des eingespielten Betrages, dieser Teil der Borussiageschichte nun umfassend aufbereitet ist.

    So kann Eisen hoch leben und unser Ellenfeld mehr als nur ein Stadion sein ⚒🏟⚒
    Prof. Dr. Jens Kelm
    Mitglied im ÄR der Borussia
    Stadiongesellschaft Ellenfeld
    ELLENFELD e.V.

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