Steigerlied beim „Schalke des Südwestens“

Große Verehrung nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auch im Saarland und Neunkirchen / Steigerlied vor Spielbeginn erinnert im Ellenfeld an die alte Bergbautradition

Unser Bild: Neunkirchen und Borussia, lange Zeit im Schatten des Saar-Bergbaus – symbolisiert durch die Hammer und Schlägel sowie das Zahnrad der Eisenhütte (neben der Christuskirche) sowie die Schutzpatronin St. Barbara mit der Grubenlampe in ihrer rechten Hand.

„Glück auf, Glück auf!/ Der Steiger kommt! / Und er hat sein helles Licht bei der Nacht / und er hat sein helles Licht bei der Nacht / schon angezünd, / schon angezünd!“ Auf Schalke, aber auch im altehrwürdigen Ellenfeld-Stadion gehört diese alte Bergmannsmelodie schon seit geraumer Zeit zum Liedgut, das die Stadionregie um Michael Rosar und Oliver Gerber vor Spielbeginn auflegt, wenn auch nicht in Gänsehaut-Atmosphäre wie in der Veltins-Arena. Aus gutem Grund ertönt das Lied in Neunkirchen, gehörten doch Hüttenwerke und damit verbunden die Eisen- und Stahlindustrie jahrzehntelang zum Inventar der Stadt und zum Unterstützer-Pool der Borussia. Nicht nur, dass Hüttenarbeiter Borussen-Fans waren und ihre Mannschaft „über Tage“ bei den Heimspielen anfeuerten, nein, auch mancher Kicker im schwarz-weißen Trikot malochte die Woche über „unter Tage“ oder in der Verwaltung, ehe er am Wochenende auf dem grünen Rasen die Ärmel hochkrempelte.

„Die Kohle, das Eisen, der Fußball“ – so beschriebt Werner Skrentny ein Kapitel in „Mythos Ellenfeld“, der Festschrift zum 100jährigen Jubiläum der Borussia aus der Hüttenstadt, wo die Männer „off die Hidd“ oder „in die Grub“ gingen. Stadt der „Kohle und des Eisens“ wurde Neunkirchen genannt, womit der Weg zum „Schalke des Südwestens“ nicht mehr weit war, wie Max Klein in eben genannter Festschrift erklärt: „So lange ätzende, gelbliche Wolkenbänder über die arbeitssame, düstere Stadt zogen, solange beim Schichtwechsel der Stumm´schen Hütte die Büffets, wie hier die Tresen und Theken heißen, in Dreierreihen umlagert waren, so lange war Borussia wer.“

Im Bergbau hatten nach dem zweiten Weltkrieg über 65.000 Menschen Arbeit gefunden. Im Jahre 2000 waren es immerhin noch 11.000. Viele Gemeinden wurden vom Bergbau bestimmt. Die „Kaffeküche“ in den Bergwerken war ein wichtiges Zentrum der Kommunikation. Bergbaugewerkschaften spielten im sozialen Leben des Saarlandes eine bedeutende Rolle – keine Volkspartei konnte es sich leisten, im Landtag nicht auch mit Bergleuten vertreten zu sein. Mit der Schließung des Bergwerks Saar endete im Juni 2012 der traditionsreiche Kohleabbau. Nicht ohne Folgen für die Stahl- und Eisenindustrie, nicht ohne auch für den Fußball im Ellenfeld: „Der Klub litt erheblich unter der Stahlkrise“, resümiert Hardy Grüne in seinem Buch „50 Jahre zweite Liga“ über die Borussia.

Borussia, das Schalke des Südwestens – eine Zaunfahne mit diesem Motto ziert zuweilen auch das Ellenfeld-Stadion bei den Spielen der Borussia und zeigt ebenso die Verbindung zum Bergbau wie die ausgediente Kohlenlore, die unterhalb des Fanblocks 5 an die industrielle Vergangenheit erinnert. (Fotos: -jf-)

Da konnte den Bergleuten auch die heilige Barbara nicht mehr helfen. Sie war zwar nie im Saarland, ist nie in eine Hütte eingefahren, dennoch war sie eine vertraute Person – als Schutzpatronin der Bergleute. Heute, am 4. Dezember, ist ihr Feiertag. Ihr zu Ehren gründete Pfarrer und Dechant Johann Anton Hansen in Ottweiler 1855 die erste „St. Barbara-Bruderschaft für Berg- und Hüttenleute“, weitere folgten und schlossen sich zu einer Gemeinschaft zusammen. Die Namen gebende Heilige soll während der Regierungszeit des römischen Kaisers Maximus Daja (310-313 n. Chr.) in Bithynien, dem Nordwesten der heutigen Türkei als christliche Glaubenszeugin den Märtyrertod erlitten haben – vom eigenen Vater im Turm eingesperrt und mit dem Schwert hingerichtet, weil sie ihrem Glauben nicht abschwören wollte. Auf dem Weg in ihr Gefängnis blieb sie mit ihrem Gewand an einem Zweig hängen und stellte den abgebrochenen Zweig in ein Gefäß mit Wasser – er blühte just an dem Tag auf, an dem sie für ihren Glauben starb, und ist bis heute als „Barbara-Zweig“ bekannt. Warum sie, neben anderen Aufgaben, auch die Schutzpatronin der Bergleute wurde, dafür gibt es unterschiedliche Deutungen. Nach einer Version wurde Barbara auf ihrer Flucht von einem Bergfelsen geschützt, eine andere Variante glaubt, dass der dunkle Turm, in dem sie eingesperrt war, sich gut mit den Verhältnissen unter Tage in Einklang bringen ließ.

Dass die saarländischen Bergarbeiter ihr besonders verbunden waren, verwundert nicht. Denn in den Kohlegruben lauerten tödliche Gefahren, wie noch im Jahre 1962 beim großen Grubenunglück in Luisenthal deutlich wurde. Kinder beteten für ihre Väter: „Sankt Barbara, in jeder Nacht / fahr mit dem Vater in den Schacht! / Steh du im bei in jeder Not, / bewahr ihn vor dem jähen Tod!“ Die Bergarbeiter selbst riefen die Heilige an: „Oh heilige Barbara, du edle Braut! / Mein Leib´ und Seel´ sei dir anvertraut! / Sowohl im Leben als auch Tod / kommt mir zu Hilf´ in letzter Not!“ In Demut und Hingabe gesprochene Zeilen mit der Bitte um gute Heimkehr, die sich auch heute noch im Steigerlied wiederfinden, wie es in der Veltins-Arena oder im Ellenfeld erklingt: „… du kehr ich heim zur Liebsten mein, / dann erschallet des Bergmanns Gruß bei der Nacht: / Glück auf, Glück auf!“ Auf Schalke singen sie in der letzten Strophe: „Die letzte Schicht, datt glaub´ ich nich´ , warum steh´ ich hier jede Nacht am Schacht / und Sankt Barbara hält für uns die Wacht, / passt schön auf uns auf, / Glück auf, Glück auf!“

Auf Schalke mag Barbara in dieser Zeit tatsächlich aufpassen müssen, dass nicht tatsächlich die letzte Schicht in Liga 2 angebrochen ist und die königsblauen „Steiger“ runtermüssen – sie werden aber weiter auf ihre Schutzpatronin vertrauen. Auf jeden Fall ist der heutige Jahrestag der Heiligen eine gute Gelegenheit, sich wieder einmal an althergebrachte Bräuche, Lieder und Gebete zu erinnern, sich ihrer Bedeutung bewusst zu werden. Bräuche, Lieder und Gebete aus einer Zeit, die so weit weg scheint, aber offenbar immer noch Spuren in den Herzen mancher Fußballfans hinterlassen hat … (-jf-)

1 Kommentar

  1. Ein Superbeitrag!
    Schade, dass mein Großvater Heinrich Honecker und mein Onkel Friedel Buchmann, Borussia-Anhänger und zusammen fast 70 Jahre unter Tage, diesen Artikel nicht mehr lesen können.
    Lieber Jo, vielen Dank und ein herzliches Glück Auf!
    JK

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