Ein perfektes Sommermärchen

Aus Borussias traditionsreicher Historie – heute vor 59 Jahren: Mit einem 1:0 gegen Tasmania Berlin steigt Borussia in die Bundesliga auf / Elmar May Schütze des goldenen Tores / Über 40.000 Fans im Saarbrücker Ludwigspark

Unser Bild: Kein Halten mehr gab es nach den 90 Minuten im Backofen Ludwigspark – die Borussen-Fans stürmten den Rasen, um ihre Helden zu feiern – Bundesliga, wir kommen! (Foto: Hartung / Ellenfeld-Verein, Archiv Borussia Neunkirchen)

Das ganze Saarland im Fußballfieber! So kann man ganz gut die Gemütslage der Fußballfans im kleinsten Bundesland in jenem Juni 1964 beschreiben. Ein Fieber, für das nicht nur die extrem heißen Temperaturen sorgten, sondern das die Begeisterung für die Neunkircher Borussia entfacht hatte. Denn die Mannschaft aus dem Ellenfeld wollte dafür zu sorgen, dass das Saarland nach dem Abstieg des 1. FC Saarbrücken weiterhin in der damals gerade neu gegründeten höchsten deutschen Spielklasse vertreten war. So pilgerten am 28. Juni mehr als 40.000 Zuschauer in den Ludwigspark nach Saarbrücken. Dort musste im letzten Gruppenspiel der Aufstiegsrunde zwischen den Borussen und Tasmania Berlin die Entscheidung fallen, wer den Sieger der anderen Staffel, Hannover 96, als Neuling in die Bundesliga begleiten sollte.

Rund um den Park gab es keine Parkplätze mehr, mutige Fans waren selbst die Flutlichtmasten hinaufgeklettert, um beim Aufstieg der Borussen dabei zu sein. Kein Wunder, denn die sportlichen Voraussetzungen konnten spannender nicht sein: Berliner und Neunkircher konnten es beide aus eigener Kraft schaffen, beide hatten 6:4-Punkte, Tasmania mit 12:8 das bessere Torverhältnis gegenüber den Borussen (8:7). Wer siegt, steigt auf – so lautete die einfache Devise! Der Drittplatzierte, die hoch favorisierten Bayern aus München um ihren blutjungen Libero Franz Beckenbauer waren bei ihrem finalen Spiel gegen St. Pauli auf Schützenhilfe, sprich auf einen unentschiedenen Spielausgang, in Saarbrücken angewiesen, hatten sie es doch eine Woche zuvor zuhause an der Grünwalder Straße bei der überraschenden 0:2-Heimniederlage gegen Borussia versäumt, den Aufstiegssack vorzeitig zuzumachen.

Der Ball ist im Netz – Elmar May hat getroffen! Tasmanias Torwart Basikow und Verteidiger Balaszus blicken sich entgeistert an (oben), währned die Borussen jubelnd abdrehen (unten). (Fotos: Hartung / Ellenfeld-Verein Archiv Borussia Neunkirchen)

Den Borussen war die Schwere ihrer Aufgabe bewusst. Denn zum Auftakt des „Abenteuers Aufstieg“ hatten sie in Berlin bei Tasmania eine herbe 1:5-Packung kassiert, die Berliner hatten darüber hinaus auch den Bayern mit 3:0 das Fell regelrecht über die Ohren gezogen und damit beiden Clubs die gute Ausgangsposition erst ermöglicht! Im „Backofen Ludwigspark“ legten die Mannen um Kapitän Karl Ringel und Willi Ertz, dem Held von München, los wie die Feuerwehr. Und schon nach zehn Minuten gelang das Tor, das die Tür zum Bundesliga-Himmel weit aufstieß: Paul Pidancet verlängerte einen Ringel-Eckball zu Elmar May, der „blonde Engel“ erinnerte sich an seine Torjägerqualitäten und netzte zum „goldenen Tor“ ein – sein einziger Torerfolg in der Aufstiegsrunde, in deren Verlauf der Ex-Trierer seiner Form hinterher gelaufen war. Dass es trotz guter Gelegenheiten auf beiden Seiten bei diesem Resultat bis zum Schlusspfiff bleiben sollte, konnte da noch keiner ahnen.

Auch die Presse würdigte am Tag danach den Aufstieg des Südwestmeisters in die Bundesliga.

Als Schiedsrichter Günter Sparing aus Kassel die Partie abpfiff, gab es im Ludwigspark kein Halten mehr. Mit Pauken, Trompeten und Fahnen fluteten die Fans in Schwarz und Weiß den Rasen, trugen die Helden des Tages, Karl Ringel, Paul Pidancet, Günter Kuntz und Elmar May auf Schultern vom Platz. Sogar Fußballfreunde aus der Pfalz erwiesen mit einem Transparent („Der 1. FC Kaiserslautern grüßt den neuen Bundesligisten Borussia Neunkirchen!“) dem Überraschungsaufsteiger die Ehre. „Borussias Sommermärchen“ (Saarbrücker Zeitung) war perfekt!

Und die Bayern? Die hatten zeitgleich mit 6:1 gegen den FC St. Pauli gewonnen – das hätte gereicht, wäre es im Ludwigspark beim 0:0 geblieben. Doch jetzt hatten sie das Nachsehen. Was kaum jemand weiß: Die Bayern hatten sich vor der Aufstiegsrunde gründlich verzockt: Dass sie im Süden hinter Hessen Kassel „nur“ Tabellenzweiter wurden, war kalkuliert! „Denn als Meister wäre man in eine vermeintlich stärkere Aufstiegsrundengruppe gekommen, in der man vor allem Westmeister Alemannia Aachen fürchtete“, ist in Dietrich Schulze-Marmelings Bayern-Chronik nachzulesen, wo es weiter heißt: „Es hätte auch der Meistertitel sein können, aber am vorletzten Spieltag unterlag der FCB nach einem fröhlichen Scheibenschießen daheim gegen Ulm mit 4:6. Eine Niederlage, die voll beabsichtigt war.“ Kurios: Der dreifache Torschütze Otto Jaworski, der später (1970) im Trikot des 1 FC Saarbrücken seine Spielerkarriere beendete, wusste nichts von dem Plan und musste nach seinem 4:3-Führungstreffer „zurückgepfiffen“ werden, so dass die Ulmer Gäste in den verbleibenden Minuten noch dreimal zuschlagen konnten. Auch am letzten Spieltag bei der Spvgg Neu-Isenburg war mehr drin, aber die Bayern begnügten sich mit einem 3:3. Und so nahmen die Dinge ihren Lauf.  Franz Beckenbauer, Sepp Maier & Co mussten eine weitere Ehrenrunde in der Regionalliga drehen. (-jf-)

Unser Bilderreigen lässt die Partie gegen Tasmania Berlin heute vor 59 Jahren noch einmal lebendig werden. (Fotos: Hartung / Ellenfeld-Verein, Archiv Borussia Neunkirchen)

6 Kommentare

    • Ja, Udo ich stand auf der anderen Seite hinter dem Borussentor. Mit einem von mehreren Sonderzügen waren wir in Saarbrücken. Es war ein prägenden Erlebnis. Wir waren so stolz in der Borussenjugend zu spielen. lg

  1. Auch ich war an diesem heißen Tag im
    Ludwigspark.
    Das frühe Tor Elmar Mays musste lange
    gehalten werden!
    „Hoch lebe Eisen, hoch lebe Stahl…“
    Gruß aus Frankfurt
    W.Bohr

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