Aus Borussias Bundesliga-Historie / Heute vor 60 Jahren: Selbst extreme winterliche Voraussetzungen konnten damals den Spielbetrieb nicht stoppen! / Heiden und Kuntz Borussias Torschützen
Unser Bild: „Beharkten“ sich im Tiefschnee des Ellenfelds fast wie in einem Privatduell – Herthas Otto Rehhagel (li.,) und Borussen-Stürmer Günther Kuntz. (Foto: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen)
Frau Holle hatte es gut gemeint mit dem Saarland in diesen Tagen Anfang Dezember 1964 vor dem 14. Spieltag der Fußballbundesliga. Fast zehn Zentimeter hoch lag der Schnee auf dem Rasen des Ellenfeld-Stadions. Mit Verhältnissen, die heutzutage in Bundesliga-Stadien dank der Rasenheizung nicht mehr anzutreffen sind, bei denen heutzutage aber auch kein Spiel mehr angepfiffen würde, hatten sich also die 22 Akteure, Schiedsrichter Rudolf Kreitlein aus Stuttgart und die 18.000 Zuschauer am 5. Dezember 1964 auseinanderzusetzen, als die Borussia und Hertha BSC unter den Augen des damaligen Bundestrainers Helmut Schön den in winterliches Weiß gekleideten Platz betraten.
Knapp verpasst hat Günther Heiden diese Flanke vor großer Kulisse im Ellenfeld. Hinter der Haupttribüne ist einer der Baukräne zu sehen, die der noch in Betrieb befindlichen alten Tribüne bald zu Leibe rücken werden, um einen Neubau erstehen zu lassen. (Foto: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Die Borussen hatten eine Woche zuvor Hannover 96 mit 2:1 niedergerungen, wollten den Sieg im unmittelbar folgenden Heimspiel gegen die Berliner so richtig vergolden und gleichzeitig in der Tabelle an ihren Gästen vorbeiziehen. Doch der tückische Untergrund setzte diesem Vorhaben arge Grenzen. Das immer wieder bemühte Kurzpass-Spiel der Borussia erwies sich als die falsche Strategie. Dem Zufall waren Tür und Tor geöffnet. „Einen Vorteil aus dem bis zu zehn Zentimeter hohem Schneeboden konnte kein Team ziehen. Für Techniker wie Achim Melcher und Erwin Glod auf Seiten der Borussen oder den Herthaner Jürgen Sundermann war der Untergrund natürlich Gift“, ist im Spielbericht auf fussballdaten.de zu lesen. Einige begriffen wohl auch erst sehr spät, dass ein solches Terrain für Dribblings denkbar ungeeignet war. Die Abwehrspieler hatten naturgemäß auf beiden Seiten Vorteile gegenüber den Angreifern, die oft vergeblich um Ballkontrolle bemüht waren und nur in wenigen Situationen für echte Gefahr sorgen konnten.
Führung für Borussia: Günter Heiden muss eine Kuntz-Vorlage nur noch einschieben (oben) und wird anschließend gemeinsam mit dem Vorlagengeber Günther Kuntz (Nr. 11) gefeiert (unten). (Fotos: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Nach zehn Minuten konnte Günter Kuntz seinem Bewacher Otto Rehhagel entwischen, legte für Günter Heiden auf, der nur noch zum 1:0 für die Borussia einschieben musste. Für die Gäste, die raumgreifender agierten, glich Lothar Groß aber schon kurz darauf aus (16.). Hertha spielte in der Folge zügiger, ließ sich nicht auf unnötige Zweikämpfe ein, blieb im Angriff aber stumpf und geriet so durch einen indirekten Freistoß wieder in Rückstand: Erneut war es Borussias bulliger Sturmtank, der sich einen „Heiden“-Spass machte und die Lücke fand, obwohl sich zehn Herthaner unmittelbar vor der Torlinie postiert und den Kasten verbarrikadiert hatten. Nach der Pause hatten die Borussen ein deutliches Übergewicht: Sie spielten jetzt, den Platzverhältnissen Rechnung tragend, mit weiten Pässen und erarbeiteten sich Chancen. Ein dicker Patzer von Keeper Kirsch, der Krampitz anschoss, so dass der Ball ins Tor prallte (64.), verhinderte am Ende den Sieg ebenso wie Pfosten (Kuntz), Querlatte (Melcher), Nationaltorwart Wolfgang Fahrian und der Schnee. So hatte der Nikolaus nach 90 Minuten Schneeball-Spiel am Vorabend seines Feiertages für jedes Team einen Punkt im Sack, mit dem die Borussen nicht so recht zufrieden waren.
Berliner Mauer – verhindern konnte auch dieses Bollwerk den 2:1-Führungstreffer durch Günter Heidens Freistoß nicht, der Ball saust zwischen allen Herthanern hindurch ins Netz (oben und unten). (Foto: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Denn sie hatten es verpasst, sich aus der Gefahrenzone der Tabelle Richtung Mittelfeld abzusetzen, und überwinterten nach der folgenden 2:3-Niederlage beim VfB Stuttgart auf Rang 14 unmittelbar vor den Abstiegsplätzen – einen Punkt vor dem Karlsruher SC, drei vor Schalke 04. Was zum Zeitpunkt des „Schneeball-Spiels“ noch keiner wissen konnte: Hertha BSC wurde am Ende der Saison vom DFB zum Zwangsabstieg in die Regionalliga verurteilt: Die Berliner hatten sich dazu hinreißen lassen, den Spielern höhere Handgelder als erlaubt zu zahlen – aus der historisch bedingten Not heraus, denn so kurz nach dem Mauerbau war es wohl nur durch illegales Zubrot möglich, hochklassige Spieler zu einem Engagement in Berlin zu bewegen.
Borussia spielte, betreut von Trainer Horst Buhtz, an jenem 5. Dezember 1964 mit: Horst Kirsch, Erich Leist, Dieter Schock, Hans Schreier, Günter Schröder, Erwin Glod, Dieter Harig, Achim Melcher, Günter Heiden, Günter Kuntz und Elmar May. Im Team der Hertha standen mit Otto Rehhagel, Uwe Klimschewski, Jürgen Sundermann, Willibert Kremer und Carl-Heinz Rühl gleich fünf Spieler, die sich in späteren Jahren in der Bundesliga als Trainer oder Manager einen guten Ruf erarbeiteten. Darüber hinaus hatte Trainer Josef Schneider Torwart Wolfgang Fahrian, Hans Eder, Lothar Groß, Hans Günter Schimmöller, Michael Krampitz und Kurt Schulz in das Schneegestöber des Ellenfelds geschickt. (-jf-)
Ein Blick ins unser Fotoalbum lässt weitere Szenen aus der „Schneeball-Schlacht“ im Ellenfeld lebendig werden. (Fotos: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Toll, solche Erinnerungen zu lesen! Herrlich!!!
Toller Bericht, da werden Erinnerungen wach!
Danke für den schönen Bericht. Mit Liebe geschrieben. Meine früheste Erinnerung an ein Winterspiel vor meinen Augen ist D – PL am Bußtag 1971 im Volksparkstadion. Gruß von Hansi aus Hamburg
tiefer Seufzer, aus der Ferne, schööööön
In der Sendung “Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs” des WDR3 zeigte Arnd Zeigler am Sonntagabend zum Thema “früher gabs noch Bundesligaspiele im Schnee” kurze Szenen aus verschiedenen Spielen der 1. Liga, unter anderem aus diesem Spiel der Borussen gegen Hertha BSC.