Willi Ertz – eine Borussia-Legende wird 75!

Unser Bild: Fast 1000 Minuten ohne Gegentor blieb Willi Ertz in der Saison 1971/72 – hier wirft er sich mutig und entschlossen einem Pirmasenser Angreifer in den Weg (li.). Heute wird Borussias Torwart-Legende 75 Jahre alt! (Fotos: Mythos Ellenfeld – 100 Jahre Borussia Neunkirchen, linkes Bild / Thomas Burgardt, rechtes Bild)

„Williiiiii, Williiiiii, Williiiii“ – Mit großer Phonstärke erschallten jahrelang langgezogene Schlachtrufe durch das weite Rund des Ellenfeld-Stadions. Sie galten einem Mann, der ein gutes Stück Neunkircher Fußballgeschichte verkörpert. In seiner sportlichen Vita findet sich, sieht man von einem späteren Trainer-Intermezzo beim SV Martinshöhe (1981 – 1984) ab, nur ein einziger Verein: Borussia. In den Zeiten des sogenannten modernen Fußballs undenkbar. Sagenhafte 750 Spiele hat er für die Borussia absolviert, war nach der aktiven Laufbahn fünfzehn Jahre lang als Co- und Torwarttrainer engagiert. Ein Beitrag über ihn in „Mythos Ellenfeld“, dem Jubiläumsbuch zum hundertjährigen „Vereinsgeburtstag“, wird deshalb zurecht in die Rubrik „Ein Leben lang Borussia“ eingefügt. Und da er auch heute noch treuer Gast im Ellenfeld ist, trifft auch die Überschrift „Alte Liebe rostet nicht“ voll ins Schwarze. „Borussia liegt mir immer noch sehr am Herzen“, sagt der Mann, der am heutigen Montag 75 Jahre alt wird: Herzlichen Glückwunsch, Willi Ertz!

Im zarten Alter von 11 Jahren fing der Torwart bei Borussia mit dem Fußballspielen an. Doch der junge Willi Ertz hatte mehrere sportliche Vorlieben: Tischtennis und Handball hatten es ihm ebenfalls angetan. Tischtennis betrieb der Torwart mit Gardemaß (1,91 m) für den TuS 1860 und die DJK Scheib. Feldhandball, eine heute kaum noch bekannte Sportart, in der Jugend beim TuS Neunkirchen, später bei Borussia, aber nicht im Kasten, sondern als erfolgreicher Torewerfer! Erst mit dem Bundesliga-Aufstieg 1964 hatte der Fußball absolute Priorität. Drei Jahre zuvor war Willi Ertz aus der Borussia-Jugend zu den Senioren gestoßen, musste sich zunächst in der Regionalliga Südwest mit der Rolle als Nummer 2 hinter Horst Kirsch, der 1960 aus dem benachbarten Merchweiler ins Ellenfeld gekommen war, zufriedengeben. Denn in dieser Zeit hatte Borussia gleich zwei Torleute von großer Klasse. In der Rückrunde der Spielzeit 1963/64 schlug dann seine große Stunde: Willi Ertz, der Trainer Hans Pilz als seinen Entdecker bezeichnet, schaffte unter Horst Buhtz den Sprung ins Borussen-Tor. Mit Konkurrent Horst Kirsch sei er, so betont Willi Ertz, dennoch menschlich immer gut klargekommen: „Wenn zwei gleichwertige Torhüter da sind, kann halt immer nur einer spielen“, sagt er. Und hatte kein Problem damit, sich auch wieder auf die Bank zu setzen und dem Rivalen die Daumen zu drücken. Das muntere Wechselspiel zwischen den beiden endete erst, als Horst Kirsch 1969 zu Röchling Völklingen wechselte.

Ein Spiel katapultierte Willi Ertz mit einem Schlag in die Schlagzeilen und ließ ihn für alle Zeiten zu einer Borussia-Legende werden. München, Stadion an der Grünwalder Straße, 20. Juni 1964. Es war ein regnerischer Nachmittag, als Borussia in der Bundesliga-Aufstiegsrunde beim hohen Favoriten FC Bayern antrat, der bereits das Hinspiel im Saarbrücker Ludwigspark mit 1:0 gewonnen hatte. In Reihen der Roten war ein gewisser Franz Beckenbauer dank Sondergenehmigung als Jugendspieler erstmals bei den Senioren spielberechtigt – der Beginn einer wahrhaft kaiserlichen Karriere! Borussia war schon ein paar Tage vorher zu einem Kurz-Trainingslager an den Ammersee gereist. Im Mannschaftsbus saß nur ein Torwart: Willi Ertz. Rivale Horst Kirsch war zu Hause geblieben, bereitete sich in Merchweiler auf sein Techniker-Examen vor. „Es durfte ja eh nicht ausgewechselt werden, also reichte es, wenn nur ein Schlussmann mit auf die Reise ging“, erinnert sich der lange Torhüter, der mit seinen Reflexen und Paraden dem Münchner Sturmpulk nahezu zur Verzweiflung trieb. Immer wieder bekam Willi Ertz bei Großchancen der Bayern Hände und Füße irgendwie dazwischen. Die Zeitungslandschaft überbot sich in Superlativen, bescheinigte ihm eine „Weltklasse-Leistung“, sprach vom „Mann mit den tausend Händen“. Denn Ertz hatte wesentlichen Anteil daran, dass die großen Bayern, bei denen im Vorfeld der Partie lediglich um die Höhe des Sieges diskutiert wurde, in Richtung Bundesliga eine weitere Spielzeit lang eine Ehrenrunde drehen mussten. 2:0 siegte Borussia – dank Willi Ertz und den beiden Toren von Günter Kuntz und Karl Ringel. „Langes Ertz hat gekostet FC Bayern eine Jahr Bundesliga“, radebrechte später der kugelrunde Bayern-Coach Tschik („Stummel“) Cajkovski.  Im letzten Spiel zitterte sich Borussia dann zu einem 1:0-Sieg über Tasmania 1900 Berlin. „Wo bleibt der Schlusspfiff? Sekunden vielleicht noch – 10 Sekunden, 5 Sekunden, Schlusspfiff!! Borussia Neunkirchen hat es geschafft, ist in der Bundesliga!“ Die aufgeregten Worte in der Radio-Reportage des Saarländischen Rundfunks sind älteren Borussen-Fans noch heute Musik in den Ohren. Wer hat den Bayern jemals eine solche Schmach beschert?

„Ja, der Sieg in Gründwald war eine schöne Sache. Für moch sozusagen ein Jahrhundertspiel. In diesem Spiel ist alles gelaufen. Es war der Grundstein dafür, dass wir aufgestiegen sind. Aber es hat in meiner langen Zeit bei Borussia viele schöne Spiele gegeben“, will Willi Ertz die Bedeutung des Triumphs über den FC Bayern nicht zu hoch hängen. In den Jahren darauf erlebte er im Ellenfeld eine rasante Berg- und Talfahrt. 1966 der erste Abstieg aus der „bel etage“ des deutschen Fußballs, 1967 souveräne Südwest-Meisterschaft und erneuter Aufstieg, 1968 dann wieder runter in die Regionalliga mit erfolgreiche Zeiten, Titelgewinnen und Teilnahmen an Aufstiegsrunden – doch in die Bundesliga schaffte es der lange Willi mit Borussia nicht mehr. Dass er in der Saison 1971/72 eine Serie von 950 (!) Spielminuten ohne Gegentor hingelegt hat, erfüllt ihn heute noch mit Stolz; es wären sogar 995 Minuten gewesen, hätte Willi Ertz gegen den ASV Landau nicht hätte ausgewechselt werden müssen. Diese Serie war sogar dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ einen Beitrag wert! 1980 schaffte Ertz mit Borussia noch einmal einen Aufstieg – in die damalige 2. Liga Süd. So durfte er seine letzte Saison im überregionalen Rampenlicht absolvieren, ehe seine respektable Karriere im Sommer 1981 zu Ende ging. Was freilich nicht sein Ende bei Borussia bedeutete: Nachdem er für drei Jahre die Übungsleitung beim SV Martinshöhe nahe Bruchmühlbach übernommen hatte, kehrte Willi Ertz getreu dem Motto „Alte Liebe lebt!“ ins Ellenfeld zurück und gab ab 1995 als Co- und Torwarttrainer seine vielen Erfahrungen an die junge Borussia-Generation weiter. Dabei nahm er auch einige Male als Interimscoach auf der Bank Platz. Sein größter Erfolg dort: 2001 der Aufstieg in die Regionalliga. 2010 ging der inzwischen 67jährige frühere Maschinenbauer und Dreher der Dillinger Hütte auch sportlich „in Rente“. In Vergessenheit geriet er aber nie. 2013 wurde Willi Ertz anlässlich des 50jährigen Jubiläums der Bundesliga in eine „Saarland“-Jubiläums-Elf gewählt. In die Saarauswahl war er auch zu aktiver Zeit vom späteren Bundestrainer Jupp Derwall berufen worden. Gegen Griechenland und Holland war er in der deutschen Bundeswehr-Auswahl eingesetzt. Eine Einladung des DFB zum A-Länderspiel in Freiburg gegen England musste er verletzungsbedingt absagen.

Viel erzählen könnte Borussias Torwart also aus seiner langen Laufbahn. Von weniger erfolgreichen, aber auch sehr erfolgreichen Zeiten. Wenn es mal nicht rund lief, gehörte Willi Ertz nie zu denen, die schnell aufgaben. So hofft er auch heute noch auf bessere Zeiten für seine Borussia, auch wenn er weiß, wie schwierig das ist. Denn der langsame, aber stetige Abwärtstrend war eine Entwicklung, die parallel zum Ausbluten des früheren industriestandortes verlief. Willi Ertz sieht das einigermaßen unsentimental: „Das ist ja ganz logisch. Es gibt keine Schlossbrauerei mehr, es gibt kein Eisenwerk mehr – alles Unterstützer der Borussia, alleine durch die Arbeitsplätze. Wenn heute ein Spieler ins Ellenfeld kommt und fragt, wo er arbeiten kann, sind uns schon dei Hönde gebunden.“ Ertz sagt „uns“, die Identifikation mit seiner Borussia ist noch heute hundert Prozent. Auch beim „Endspiel“ der Saarlandliga gestern in Dillingen war er mt Gattin Gisela dabei. Das schätzen sie alle an ihm. Und noch etwas: „Williiiii, Williiiii, Williiiii“ – die begeisternden Rufe der Fans ließen Borussias Torwart-Ikone nie vom Boden der Realität abheben. Zurückhaltend, bescheiden, zuverlässig und vereinstreu – alle diese Tugenden sind ihm bis heute wichtig und machen den „Neinkerjer Bub“ zu einem ganz großen Sympathieträger Borussias weit über die Grenzen des Saarlandes hinaus. Deshalb hofft die ganze Borussia-Familie, ihre Torwart-Legende und seine Gisela noch möglichst oft und lange bei den Spielen im Ellenfeld und hinterher beim Bierchen im Borussia-Heim begrüßen zu können. Die allerherzlichsten Glückwünsche zu seinem 75. Geburtstag hat sich Willi Ertz mehr als verdient – alles Gute, Glück, Gesundheit und: Ad multos annos, lieber Willi!

1 Kommentar

  1. Lieber Willi alles gute zu deinem 75 Jahrestag.
    Es mögen noch viele viele Jahre mit dir und DEINER Borussia ins ins Land gehen und auf wieder Bessere Zeiten für deinem Verein Kommen.
    Deine Freunde aus von Hertha BSC aus Berlin.

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