Stadionführungen im Ellenfeld

Kostenloses Angebot vor Heimspielen / Anmeldung eine Woche vorher erforderlich / Borussias Stadionbeauftragter Prof. Dr. Jens Kelm führt als Experte die Reisenden in Sachen Fußball

Unser Bild: Das Ellenfeld – das einzige nahezu im Originalzustand der Bundesliga-Gründerjahre erhaltene Stadion Deutschlands (linkes Bild) – lockt alle zwei Wochen immer wieder Fußballinteressierte aus ganz Europa an, die dann die Aussicht von der imposanten Spieser Kurve aus genießen (rechtes Bild). (Fotos: -jf-)

Gürteltasche, dunkle Kleidung, eine Kamera – das könnten typische Merkmale eines Groundhoppers auf Fußballplätzen sein. Das meint jedenfalls Nicole Gabriel, die in ihrer Masterarbeit untersucht hat, was Menschen verbindet, die sich auf ausgetüftelte Routen begeben, um Kreuze zu machen und Ligen zu komplettieren. Nicole Gabriel weiß, wovon sie spricht: Als Mitarbeiterin des Fanprojekts Chemnitz ist sie beruflich derzeit in der 3. Liga deutschlandweit unterwegs. Aber auch privat hat die Szene es ihr angetan: „Ich mache keinen Urlaub, ohne ein Fußballspiel zu sehen“, sagt sie.

Groundhopping ist eine Sammelleidenschaft von Fußballfans, bei der es darum geht, Spiele in möglichst vielen verschiedenen Stadien zu besuchen. Die erste Idee, Groundhopping zu betreiben, hatte – glaubt man wikipedia – der Brite Geoff Rose im Jahr 1974: Fans, die alle 92 Stadien der ersten vier englischen Profiligen besucht hätten, sollten eine spezielle Krawatte erhalten, die diese Leistung würdigte. Vier Jahre später wurde der „92 Club“ gegründet. Außerhalb Englands hat sich die Bewegung dann seit den 1990er Jahren und der WM in Italien vor allem in Deutschland entwickelt. In der zentralen Publikation der Szene, dem jährlich erscheinenden „Groundhopper-Informer“ sind nahezu alle Stadien der Welt mit Adresse, Telefonnummer und Fassungsvermögen aufgelistet. Für manch hart gesottenen Fan ist Groundhopping dabei weit mehr als nur ein Hobby, eher eine Art Lebensform, der vieles, manchmal alles untergeordnet wird. Auch Abenteuerlust und die in den letzten Jahren aufgekommene Kritik an der zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs spielen eine wesentliche Rolle.

Dabei hören diejenigen, von denen hier die Rede ist, den Begriff „Groundhopper“ meist gar nicht so gerne. Als „Reisende mit Fußballhintergrund“ fühlen sich viele besser beschrieben und als solche finden sie sich nahezu bei jedem Spiel der Borussia im Ellenfeld ein. Darunter auch Stadionbegeisterte, die früher Ämter bei Traditionsclubs innehatten. So besuchten im April die ehemaligen Vorstände des Hamburger SV, Christian Reichert und Oliver Scheel, das Ellenfeld-Stadion. Unter der Führung von Dr. Jens Kelm, Borussias Stadionbeaufragtem, tauchten sie ab in eine Welt, die so gar nicht kompatibel erscheint zu den großen Arenen der Republik, in denen die Glamourwelt des sogenannten modernen Fußballs zuhause ist. In den Genuss dessen, was Christian Reichert und Oliver Scheel erlebt haben, können in Zukunft alle Reisenden in Sachen Fußball kommen. Borussia bietet nun bei Heimspielen für Groundhopper eine Stadionführung an. Voraussetzung dafür ist allerdings eine rechtzeitige Anmeldung per e-mail an die Geschäftsstelle (office@borussia-neunkirchen.saarland) eine Woche vor dem entsprechenden Spiel. Die Führungen sind kostenlos, über eine freiwillige Spende für den Erhalt des Stadions würde sich Borussia allerdings sehr freuen!

Was die Gäste dabei erwartet? Das nostalgische Fußballerlebnis beginnt an der neu aufgestellten Kohlen-Lore und der Fußballer-Statue. Dort gibt es erste Informationen zum Stadion und dem Block 5, der Heimat der Borussen-Fans. Schon der erste Blick in die Arena beim Durchschreiten des Eingangs macht Eindruck. „Das Ellenfeld ist eines der ältesten Stadien in Deutschland. Borussia spielt an dieser Stelle seit 1912“, erklärt Dr. Kelm. Der Intim-Kenner des Ellenfelds weiß viele Details zu erzählen: Zum Beispiel, dass es sich bei der Erstanlage um ein Erd-Stadion handelte, dass an der Stelle der jetzigen Gegengeraden eine Holztribüne mit einem Dach englischen Stils gestanden hat und 1928 abgebrannt ist. Man erfährt weiter, dass 1930 eine erste Steintribüne errichtet wurde, die nach dem Bundesliga-Aufstieg 1964 mit der mächtigen, damals über 3000 Sitzplätze bietenden heutigen Tribüne überbaut wurde. „Das freitragende Dach dieser Tribüne ohne sichtbehindernde Stützpfeiler war damals eine ingenieurtechnische Meisterleistung“, sagt Dr. Kelm nicht ohne Stolz.

Rarität im Bauch der alten Sporthalle: Entmüdungsbecken ohne Abfluss – das Wasser versickerte einfach im Boden (Bild oben). Pokale aus längst vergangenen Zeiten finden sich in den Räumen der alten Geschäftsstelle unter der Tribüne (Bild unten). (Fotos: -jf-)

Jetzt führt der Stadionrundweg Richtung Westen hin zur Spieser Kurve. „Bitte drehen Sie sich erst um, wenn wir oben angekommen sind“, empfiehlt Jens Kelm allen Fußballfreunden. Und in der Tat: Wer die steilen Stufen hinaufgekraxelt ist, dem bietet sich ein immer wieder imposanter Anblick. Mehr als 7.000 Fans bietet die Kurve, die eigentlich eine Gerade ist, Platz. Kaum einer, der bei diesem Anblick nicht überwältigt ist! Vor allem dann, wenn man hört, dass es beim Ausbau 1964 eigentlich geplant war, auch die Gegengerade auf die Höhe der Spieser Kurve zu bringen. „Dann hätten wir hier ein Stadion stehen mit einem Fassungsvermögen von nahezu 50.000 Zuschauern“, erläutert Dr. Kelm. Das Veto der Schloss-Brauerei, der das Gelände hinter der Gegengeraden gehörte, verhinderte dies. „Die höchste Zuschauerzahl, die das Ellenfeld erlebt hat, beläuft sich auf 33.000 beim Aufstiegsspiel zur Bundesliga 1967 gegen Bayern Hof“, weiß Dr. Kelm, der den Besuchern auf der Haupttribüne den Ehrenplatz von Torhüter-Legende Willi Ertz zeigt, ehe es über Block 5 in die Katakomben der 1960 eröffneten Sporthalle geht. Hier ziehen die Entmüdungsbecken und eine spezielle Wanne für Unterwassertherapien die Aufmerksamkeit ebenso auf sich wie die Gästekabine. Dort haben sich Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Gerd Müller und Günter Netzer umgezogen. Die Gladbacher, unter ihnen auch Berti Vogts und Jupp Heynckes haben im Ellenfeld im August 1965 ihr erstes Bundesligaspiel bestritten. Günter Netzer ist auf einem großformatigen Schwarz-Weiß-Bild wenig später im VIP-Raum zu besichtigen, hier kann man sich auch alte Mannschaftsfotos aus der Borussen-Historie anschauen. Der Rundgang endet mit einem Blick in die „Innereien“ der alten Tribüne von 1930, deren Funktionsräume bis in die Mitte der Fünfziger Jahre genutzt wurden. Hier zeigt Dr. Jens Kelm die Räume der früheren Geschäftsstelle. Duschen und Kabinen, in denen sich Fritz Walter sein Trikot überstreifte, wenn er mit seinen Weltmeistern vom 1. FCK zu Gast war, sind ebenfalls noch zu sehen. Sogar die Stelle, an der der Ofen stand und das Kaminrohr den Rauch nach oben führte, gibt es noch. Da kann sich der Besucher mit ein bisschen Phantasie gut vorstellen, wie der Betreuer durch das kleine Fenster nach draußen schaute, wann das Spiel zu Ende ist, um dann den Ofen für das warme Wasser anzuheizen!

Schon in der Theorie kann man erahnen: Eine Führung durch das altehrwürdige Ellenfeld lohnt sich. Das einzige nahezu im Originalzustand der Bundesliga-Gründerjahre erhaltene Stadion Deutschlands ist allemal eine Reise wert, nicht nur für Fußballnostalgiker! (-jf-)

Links zum Thema:

Tolle Fotos zum Ellenfeld-Stadion:

Beiträge zu Spielen mit Beteiligung der Borussia und viel Hintergrundinformationen, Fotos, aber auch Kritisches zur Kommerzialisierung des Fußballs:

1 Kommentar

  1. Guten Tag Herr Prof. Dr. Kelm,
    Sie haben mich letzte Woche angerufen und ich fragte, ob Sie noch einen Termin für die Stadionführung nächste Woche haben. Das hat sich nun erledigt. Ich werde den Termin am Samstag 12.08.23 um 12.30 h wahrnehmen.
    Viele Grüße
    Ralf Rösner

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