Ein Relikt aus rauer Zeit

Thomas Posse geht seit 44 Jahren ins Ellenfeld und besitzt ein seltenes Stück aus der traditionsreichen Geschichte der Borussia

Heute gehört sie allumfassend zum Alltag: Das Bekenntnis der eigenen Fan-Liebe. In den öffentlichen Verkehrsmitteln, im Supermarkt, am Auto, in den Schulen, zuweilen sogar in den Betrieben. Überall begegnet man den Zeichen stolz gelebter Vereinsliebe. Die Renner: Die roten Trikots des FC Bayern oder die gelben Leibchen der Dortmunder Borussia. Doch für den wahren Fan sind Erfolge, aktueller Tabellenstand oder Ligazugehörigkeit nur von nebensächlicher Bedeutung, denn vor allem geht es darum, Farbe zu bekennen. In den Fanshops der großen Clubs gibt es – dank der ausufernden Kommerzialisierung – nichts, was es nicht gibt: „Von Badelatschen über Quietsche-Entchen, Chipstüten, Hustenbonbons, Eiwürfelformen, Toastern, die das Vereinswappen einbrennen, bis hin zu Dingen, die man eher im Beate-Uhse-Shop vermuten würde“, hat Hardy Grüne vor ein paar Jahren im Magazin „Zeitspiel“ schon festgestellt und gleichzeitig daran erinnert, dass „in den 80ern Fans von derlei Souvenirkaufhäusern weiter entfernt waren als das fußballspielende Leipziger Werbeprodukt heute vom Ruf eines Traditionsvereins.“

Thomas Posse kann ein Lied davon singen. Der 60jährige leidenschaftliche Borussen-Fan aus Wiebelskirchen geht seit 44 Jahren ins Ellenfeld. An seine ersten Spiele in der Saison 1978/79, damals in der 2. Liga Süd, kann er sich noch gut erinnern: „Wir haben gegen Homburg und Saarbrücken gewonnen“ – in diesen Worten schwingt noch heute eine gute Portion Stolz mit! Vor allem die Partie gegen den Rivalen aus der Landeshauptstadt ist ihm noch bestens im Gedächtnis: Nach zwei Toren von Nationalspieler Ferdi Keller führen die Borussen 2:1, die Fans des FC werden von Minute zu Minute leiser, ehe ein Hundebiss Saarbrückens Stürmer Unger zum Ausscheiden zwingt. „Hunger auf Unger“ – diese Schlagzeile aus der Presse kommt aus Thomas Posses Mund wie aus der Pistole geschossen. Dem Protest wird stattgegeben, doch auch das Wiederholungsspiel gewinnt die Borussia. Was den Abstieg am Ende der Saison nicht verhindert. Auch auswärts ist der damals 16jährige hin und wieder dabei, in drei ausgebuchten Fan-Bussen geht es beispielsweise zum FC Hanau 93 und reichlich frustriert wieder zurück, nachdem die Borussen mit 0:4 verloren haben.

Sich mit Freunden vor dem Spiel im Ellenfeld treffen, die 90 Minuten aufmerksam verfolgen und auch im Urlaub Botschafter seines Vereins sein (v.l.): Thomas Posse ist seit 44 Jahren begeisterter Anhänger der Borussia. (Fotos: privat)

Ein wertvolles Erinnerungsstück aus dieser Zeit hat Thomas Posse jetzt wieder „ausgegraben“: Seine Kutte, eine Jeansjacke mit abgeschnittenen Ärmeln, auf die das Wappen der Borussia und des Fanclubs sowie die Logos als anderer, sympathisch empfundener Clubs aufgenäht sind. „Das hat meine Tante für mich mit der Nähmaschine erledigt, die Stickerei des Fanclub-Namens habe ich unter ihrer sorgfältigen Anleitung allerdings selbst besorgt“, erzählt er. Den HSV („Horst Hrubesch habe ich immer als ehrlichen Fußballarbeiter bewundert!“) und den 1. FC Köln, den er mal im DFB-Pokal beim FC Homburg erlebt hatte, fand er damals gut, für Fortuna Düsseldorf hegte er eine Vorliebe ebenso wie für die Münchener Löwen: „Die 60er haben wir damals beim Gastspiel im Homburger Waldstadion unterstützt. Gesehen haben wir allerdings nicht viel, so voll waren die Ränge!“ Bundesligaspiele hat er nicht viele besucht, war mal in Stuttgart („Da hatten wir Verwandtschaft“) und in seiner Lehrzeit mal auf dem Betzenberg in Kaiserslautern.

Im Ellenfeld stand er Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre gemeinsam mit den Mitgliedern des Fanclubs noch in der Spieser Kurve, wo selbstgestrickte Schals, mindestens drei Meter lang und knapp über dem Boden endend, hergestellt meist in Auftragsarbeit von Mutti, Oma oder erster Freundin, das zentrale Utensil der Fan-Identität darstellten. Der legendäre Borussen-Leo schwenkte seine Fahne und reiste als Botschafter mit seinem Motorrad der Mannschaft durch die ganze Republik nach. Doch Thomas Posses Blick zurück ist nicht verklärt, er weiß durchaus um die zuweilen ruppige Realität jener Epoche, in der Hooligans und nicht Ultras das Sagen in den Kurven hatten und ihr Revier mit fliegenden Fäusten statt bunten Stickern markierten. „Wir waren keine Klosterschüler“, bekennt Thomas Posse, „es waren ziemlich raue Zeiten, ging es doch darum, anderen Fans gegenüber klare Kante zu zeigen, notfalls auch mal mit robusten Kräften.“ Borussias Vorstandsmitglied Dieter Woll habe einmal in der „Gudd Stubb“ ein Interview gegeben wegen Randale, erinnert sich Thomas Posse: „In der Saarbrücker Zeitung stand anschließend ein großer Bericht.“ Die „Gudd Stubb“ – das war damals das Szenelokal, die Stammkneipe des Fanclubs „Schienewolf“. Dort traf man sich vor dem gemeinsamen „Pilgerweg“ zum Ellenfeld, dort fanden sich die Anhänger auch nach dem Spiel wieder ein, um sich über die 90 Minuten auszutauschen. Wie der Name des Fanclubs entstand, was er zu bedeuten hatte, das kann Thomas Posse nicht mehr sagen.

Zweite Fußball-Liebe: Die deutsche Nationalmannschaft, deren Spiele Thomas Posse (2. von re.) mit Kumpels zusammen interessiert verfolgt. (Foto: privat)

Einige „Schienewolf“-Mitglieder sind schon verstorben, berichtet er, der bis heute der Borussia treu geblieben ist und auch nach dem Abstieg 2017 in die Saarlandliga bei jedem Spiel im Ellenfeld anzutreffen ist. Nicht nur das: Der Maschinenführer bei der Firma Treofan GmbH & Co. KG, einem Unternehmen, das in der Neunkircher Bergstraße Verpackungsmaterialien herstellt, hat gemeinsam mit seinem Schichtführer Karsten Weißert und Arbeitskollegen für die Jugendabteilung schon Geld eingesammelt. Allerdings anlässlich eines traurigen Ereignisses, als sein Freund, Kollege und Borussen-Fan Chris Bläs im April dieses Jahres plötzlich und unerwartet aus dem Leben schied. Dem bis heute vermissten Kumpel zu Ehren findet in wenigen Wochen, am 28. Oktober, ein Gedenkturnier für D-Jugend-Mannschaften in der Ferraro-Sportarena statt – eine Veranstaltung, bei der sich auch Thomas Posse wieder einbringen will: „Wir werden auf jeden Fall für die Borussen-Jugend nochmal eine Sammlung veranstalten!“

Selbst aktiv Fußball gespielt hat der Kuttenträger von damals nicht. Im Handball hat er sich beim TuS 1860 Neunkirchen mal für kurze Zeit versucht, wobei es ihm in erster Linie um die Gemeinschaft und Kameradschaft ging. Seine Gattin, mit der Thomas Posse seit 1985 zusammen und seit 1987 verheiratet ist, ist kein Fußballfan, toleriert aber seine Leidenschaft für den Fußball im Allgemeinen und die Borussia sowie die deutsche Nationalmannschaft im Speziellen. Vielleicht hat das auch damit was zu tun, dass er (als gelernter Bäcker) herausragend backt und kocht und auch den Garten immer gut in Schuss hält!

Ob seine Kutte noch passt? Thomas Posse sollte es ausprobieren. Denn wenn am kommenden Samstag beim Heimspiel gegen den VfL Primstal der Fahnentag ausgerufen ist, so bietet ist auch die Kutte eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Farben der Borussia mit Stolz zu präsentieren. Wie anno dazumals, wie „sellemols“ Fan-Legende Leo in seinem selbst gestrickten schwarz-weißen Pullover! (-jf-)

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