Zwei besondere Hamburger Fußballfreunde zu Besuch beim Spiel der Borussia gegen den SV Auersmacher / Die ehemaligen HSV-Vorstände Christian Reichert und Oliver Scheel genießen eine nostalgische Stadionführung mit Dr. Jens Kelm
Unser Bild: Regen und eine steife Brise – trotz Schmuddelwetter lauschen Oliver Scheel (li.) und Christian Reichert (Mitte) gespannt den Ausführungen von Borussias Ellenfeld-Spezialisten Dr. Jens Kelm (rechts). (Foto: -jf-)
Als sie pünktlich um 14.00 Uhr auf dem Mantes-La-Ville-Platz aus dem Auto klettern, müssen sie sich fast wie zuhause gefühlt haben. Tiefhängende Wolken, Sprühregen, dazu eine steife Brise – regelrechtes Schmuddelwetter empfängt die beiden Fußballfreunde aus Hamburg, die den weiten Weg auf sich genommen haben, nur um dem Ellenfeld-Stadion anlässlich des Heimspiels der Borussia gegen den SV Auersmacher einen Besuch abzustatten. Nur? Das würden Christian Reichert und Oliver Scheel aus Hamburg so sicher nicht stehen lassen. Denn unter der Führung von Dr. Jens Kelm, Borussias Stadionbeaufragtem, tauchen sie ab in eine Welt, die so gar nicht kompatibel erscheint zu den großen Arenen der Republik, in denen die Glamourwelt des sogenannten modernen Fußballs zuhause ist.
Diese Glamourwelt haben Christian Reichert (55) und Oliver Scheel (53) am eigenen Leib miterlebt. Unter den zahlreichen Groundhoppern und Besuchern, die immer wieder das Ellenfeld aufsuchen, sind die beiden etwas Außergewöhnliches. Denn jahrelang waren sie in ihrer Heimat in verschiedenen Funktionen beim traditionsreichen Hamburger SV tätig. Beide gingen den Weg über den Supporters Club bis in den HSV-Vorstand. Dort war Christian Reichert verantwortlich für die Mitgliederwerbung, das HSV-Museum sowie Merchandising, Marketing und Catering. Auch an der Umgestaltung des früheren Volksparkstadions war Reichert beteiligt, reiste 2002 als offizieller HSV-Vertreter zur Trauerfeier für Fritz Walter auf den Betzenberg nach Kaiserslautern. Oliver Scheel gehörte ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern des HSV-Supporterclubs; der Anwalt und begeisterte Hobby-Marathonläufer löste Christian Reichert 2008 im Vorstand des langjährigen Bundesliga-Dinos ab. Was beide – neben der Liebe zu ihrem HSV – eint: Christian Seifert und Oliver Scheel sind Kritiker der Ausgliederung und haben sich nach dem Vollzug dieser Strukturreform 2014 aus dem Club zurückgezogen.
Am Samstag heißt es nun: Ellenfeld statt Volksparkstadion. Das nostalgische Fußballerlebnis beginnt an der Fußballer-Statue. Dort werden die Hamburger von Dr. Jens Kelm begrüßt, der erste Informationen zum Stadion gibt und auf den aufgeständerten Block 5, die Heimat der Borussen-Fans, hinweist. Schon der erste Blick ins Stadion beim Durchschreiten des Eingangs macht mächtigen Eindruck auf die beiden. Die Blicke schweifen durch das Viereck. „Das Ellenfeld ist eines der ältesten Stadien in Deutschland. Borussia spielt an dieser Stelle seit 1912“, erklärt Dr. Kelm. Der Intim-Kenner des Ellenfelds weiß viele Details zu erzählen: Zum Beispiel, dass es sich bei der Erstanlage um ein Erd-Stadion handelte, dass an der Stelle der jetzigen Gegengeraden eine Holztribüne mit einem Dach englischen Stils gestanden hat und 1928 abgebrannt ist. Die beiden Gäste erfahren weiter, dass 1930 eine erste Steintribüne errichtet wurde, die nach dem Bundesliga-Aufstieg 1964 mit der mächtigen, über 2000 Sitzplätze bietenden heutigen Tribüne überbaut wurde. „Das freitragende Dach dieser Tribüne ohne sichtbehindernde Stützpfeiler war damals eine architektonische Meisterleistung“, sagt Dr. Kelm nicht ohne Stolz.
Jetzt führt der Stadionrundweg Richtung Westen hin zur Spieser Kurve. „Bitte drehen Sie sich erst um, wenn wir oben angekommen sind“, empfiehlt Jens Kelm den Hamburger Fußballfreunden. Und in der Tat: Wer die steilen Stufen hinaufgekraxelt ist, dem bietet sich ein immer wieder imposanter Anblick. Mehr als 7.000 Fans bietet die Kurve, die eigentlich eine Gerade ist, Platz. Christian Reichert und Oliver Scheel sind überwältigt, vor allem, als sie hören, dass es beim Ausbau 1964 eigentlich geplant war, auch die Gegengerade auf die Höhe der Spieser Kurve zu bringen. „Dann hätten wir hier ein Stadion stehen mit einem Fassungsvermögen von nahezu 50.000 Zuschauern“, erläutert Dr. Kelm. Das Veto der Schloss-Brauerei, der das Gelände hinter der Gegengeraden gehörte, verhinderte dies. „Die höchste Zuschauerzahl, die das Ellenfeld erlebt hat, beläuft sich auf 33.000 beim Aufstiegsspiel 1967 gegen Bayern Hof. Heute sind aufgrund diverser Auflagen nur noch 5.000 Besucher zugelassen. Die Wellenbrecher sind zu niedrig und müssten versetzt stehen, auch die Begrenzungszäune am oberen Rande der Spieser Kurve und von Block 5 sind nicht hoch genug“, weiß Dr. Kelm, der den Besuchern auf der Haupttribüne den Ehrenplatz von Torhüter-Legende Willi Ertz zeigt, ehe es über Block 5 in die Katakomben der 1960 errichteten Sporthalle geht. Hier zieht das Entmüdungsbecken mit einer speziellen Wanne für Unterwassermassagen die Aufmerksamkeit der beiden Hamburger ebenso auf sich wie die Gästekabine. Dort haben sich Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Gerd Müller und Günter Netzer umgezogen. Die Gladbacher, unter ihnen auch Berti Vogts und Jupp Heynckes haben im Ellenfeld im August 1965 ihr erstes Bundesligaspiel bestritten. Günter Netzer ist auf einem großformatigen Schwarz-Weiß-Bild wenig später im VIP-Raum zu besichtigen, hier schauen sich Christian Reichert und Oliver Scheel auch alte Mannschaftsfotos aus der Borussen-Historie mit großem Interesse an. Der Stadionrundgang endet mit einem Blick in die „Innereien“ der alten Tribüne von 1930, deren Funktionsräume im ersten Bundesligajahr bis zur Fertigstellung der neuen Tribüne noch genutzt wurden. Hier zeigt Dr. Jens Kelm die Räume der früheren Geschäftsstelle. Duschen und Kabinen, in denen sich Fritz Walter umzog, wenn er mit seinen Weltmeistern vom 1. FCK zu Gast war, sind ebenfalls noch zu sehen. Sogar die Stelle, an der der Ofen stand und das Kaminrohr den Rauch nach oben führte, gibt es noch. „Da kann man sich mit ein bisschen Phantasie gut vorstellen, wie der Betreuer durch das kleine Fenster nach draußen schaute, wann das Spiel zu Ende ist, um dann den Ofen für das warme Wasser anzuheizen“, bemerkt Christian Reichert.
Dass sich die beiden HSVer abschließend für die Borussia beim 1:0-Sieg gegen Auersmacher als „Glücksbringer“ erweisen, rundet einen gelungenen Nachmittag ab. Bewaffnet mit der aktuellen Ausgabe des Stadionmagazins „Blick ins Ellenfeld“ sowie dem Jubiläumsbuch „100 Jahre Ellenfeld“ steigen Christian Reichert und Oliver Scheel, um ein Fussball-Erlebnis reicher, wieder in ihr Auto. Mit einem „großen Dank für die einmalige Stadionführung“ heißt es jetzt Abschied nehmen. Es hat aufgehört zu regnen, die Wolkendecke öffnet sich. 657 Kilometer, wenn es gut läuft, knapp sieben Stunden Fahrzeit, liegen jetzt vor den beiden. Aber es hat sich gelohnt: Das einzige nahezu im Originalzustand der Bundesliga-Gründerjahre erhaltene Stadion Deutschlands ist auch eine weite Reise vom Volkspark ins Ellenfeld wert! (-jf-)
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