Sternstunde Aufstiegsrunde (5)

Aus der Historie – Borussia steigt in die Bundesliga auf / Kleine Serie, Teil 5 – heute vor 60 Jahren: Das 1:0 beim FC St. Pauli öffnet die Tür zur 1. Liga sperrangelweit, die Borussen haben es jetzt in der eigenen Hand!

Unser Bild: Karl Ringel (li.) und Horst Buhtz – der Einsatz des Borussen-Kapitäns beim FC St. Pauli stand bis unmittelbar vor Spielbeginn auf der Kippe. Bei Ringels Siegtor saß Borussias Coach hinter dem Hamburger Tor, sein anschließender Purzelbaum ist leidet nicht fotografisch dokumentiert! (Fotos: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen)

Borussia ist wieder da! Das war das Signal, die Kapitän Karl Ringel und seine Mannschaftskameraden in Schwarz und Weiß mit ihrem sensationellen 2:0-Sieg beim Aufstiegsfavoriten in Fußball-Deutschland aussendete. Daheim in Neunkirchen saßen sie, mangels TV-Übertragung, am Radio und haben die Daumen gedrückt. „Gott, haben wir gejubelt“, kommentiert Eva Müller den Beitrag über die Partie im Stadion an der Grünwalder Straße auf Borussias facebook-Seite. Doch der Erfolg von München war nur der erste Schritt hin zu dem Wunder, das die „Saarbrücker Zeitung“ (SZ) beschworen hatte: „Bei drei eigenen Siegen (…) müssten dann die Münchener noch in Berlin bei Tasmania verlieren. Eine Rechnung mit `wenn´ und `aber´, doch immerhin eine Rechnung, die theoretisch noch aufgehen könnte.“

Eine solche Rechnung konnte freilich auch für die Tasmanen noch aufgehen. Denn die hatten im Poststadion fast 35.000 Zuschauer verblüfft und gezeigt, dass das 5:1 im Auftaktspiel gegen die Borussia keine Eintagsfliege war: Als Schiedsrichter Sturm aus Hannover die Partie abpfiff, schlichen die favorisierten Bayern mit 0:3 geschlagen wie geprügelte Hunde vom Platz. Held des Tages im Berliner Freudentaumel: Mittelstürmer Fischer – „ein langsam wirkender, aber äußerst schwer vom Ball zu trennender Spieler“ (Hamburger Abendblatt) – hatte mit einem Doppelschlag binnen drei Minuten (60. / 63.) Münchens Bundesligatraum einen erheblichen Dämpfer versetzt, das 3:0 durch den Halblinken Fiebach in der Schlussminute war lediglich Ergebniskosmetik. Fischer und Fiebach – das Sturmduo der Tasmanen hatte im ersten Spiel bekanntlich auch die Borussen das Fürchten gelehrt und jetzt wieder erbarmungslos zugeschlagen!

Als die Borussen derweil beim FC St Pauli durch Karl Ringels Tor fünf Minuten vor dem Ende mit 1:0 in Führung gingen, kannte Horst Buhtz durch „Fernübertragung“ das Endresultat aus Berlin bereits. Wie das „Hamburger Abendblatt“ (Foto oben) berichtete, saß der Borussen-Trainer beim Siegtreffer seiner Jungs hinter dem St.Pauli-Tor und schlug vor lauter Freude einen vollendeten Purzelbaum! Denn Buhtz, selbst früher ein begnadeter Fußballer und Profi in Italien, wusste: Jetzt kann Borussia au eigener Kraft den Sprung in die Bundesliga packen! In den 85 Minuten zuvor hatten die Borussen keinen Wert darauf gelegt, der Schönheit des Spiels en ersten Preis zu verleihen. „Sie setzten alles auf den möglichen Erfolg“, analysierte das „Hamburger Abendblatt“, „bauten in erster Linie auf die taktischen Mittel.“ Fokussiert auf Sicherheit hatte Horst Buhtz zwei der fünf Offensivkräfte im rückwärtigen Mittelfeld positioniert. Kein Tor kassieren, vorne hilft der liebe Gott – so lautete die Marschrichtung!

Bis zu jener 85. Minute ging allerdings nur der erste Teil der Rechnung auf. Borussias Abwehr stand sicher – so konnte Eisen hochleben! Dass den Gastgebern, die im Falle eines Sieges selbst nochmal ins Rennen hätten eingreifen können, kein Treffer gelang, war auch wieder Willi Ertz geschuldet, der seine Form von München auch im Norden Deutschlands eindrucksvoll konserviert hatte: „Der 21jährige bot eine brillante Leistung, zog wie ein Magnet die Bälle an. Seine Hände reichten am höchsten, er flog immer in die von den gegnerischen Stürmern gemeinte Richtung“ stellte das „Hamburger Abendblatt“ dem Legenden Willi ein erstklassiges Zeugnis aus. Als die Zeiger der Uhr bereits das Spielende erahnen ließen, schlug Karl Ringel zu: Borussias Kapitän machte sich auf, trieb das Leder entschlossen nach vorne und versuchte, schräg vor dem Tor stehend, sein Glück – und fand es! Denn „hoch oben ins Toreck flog der Ball zum 1:0, die Neunkirchener Spieler führten Freudentänze auf.“ (Hamburger Abendblatt). Karl Ringel, der „Fußballgott“ hatte tatsächlich geholfen! Dass die Entscheidung so spät fiel und Nerven kostete, hatten sich die Borussen aber auch selbst zuzuschreiben: Eigentlich hätte man bereits zur Pause mit 2:0 führen müssen, doch Elmar May, der während der Aufstiegsspiele seiner Form hinterherlief, und Günter Kuntz hatten zweimal lediglich die Latte anvisiert.

Anspannung vor dem Spiel: Karl Ringel (3. v. li. zwischen Heinz Simmer und Paul Pidancet) musste lange um seinen Einsatz bangen! (Foto: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)

Otto Westphal, St. Paulis Trainer, attestierte dem Team aus dem Ellenfeld anschließend einen „cleveren Fußball“. Seine Mannschaft kämpfte zwar beherzt, hatte in Torwart Thoms und Stopper Porges gute Kräfte, doch insgesamt, so die Hamburger Presse, habe es an einer Persönlichkeit gefehlt, „die bedingungslos alle Kräfte mobilisiert.“ Borussias Buhtz hingegen war sehr zufrieden, seine Taktik war voll aufgegangen. Dennoch hatte der Coach vor dem letzten Spiel und dem Gegner Tasmania Berlin große Respekt: „Von den spielerischen Mitteln kommt weniger Gefahr. Aber Tasmanias Spieler sind Athleten, in der Nutzung der Chancen mit unkomplizierten Methoden – darin liegt für uns die Gefahr“, so die Einschätzung des erfahrenen Trainers, der das 1:5 vom Hinspiel als deutliche Warnung vor Augen hatte. Einer war nach dem 1:0 im Volksparkstadion besonders glücklich: Karl Ringel! Denn der Einsatz des 31jährigen, der mit seinen Mannschaftskameraden vom bayrischen Quartier am Ammersee direkt nach Hamburg gereist war, war höchst fraglich: Borussias Kapitän hatte sich beim Sieg in München eine Verletzung zugezogen, hütete mit stark angeschwollenem und verformtem Knie im Hotel Rex, wo die Borussen in unmittelbarer Stadionnähe logierten, das Bett. Mannschaftsarzt Dr. Richard Kaufmann schüttelte noch tags zuvor den Kopf: „Keine Chance auf einen Einsatz am Mittwoch!“ Noch 90 Minuten vor dem Anpfiff saß Karl Ringel auf der Tribüne, zeigte sein lädiertes Knie und ließ alle wissen, er müsse passen. Doch beim Anstoß war er dabei! „Überraschendes war nicht selten vom gebürtigen Franken zu erwarten“ notierte Max Klein, Redakteur der „Saarbrücker Zeitung“ in Borussias 100-Jahre-Chronik „Mythos Ellenfeld“. Oder sollte die Sache gar Teil der ausgetüftelten Taktik von Trainer Horst Buhtz gewesen sein? Auf jeden Fall: Borussia war wieder da, und wie! Im Ludwigspark stand jetzt gegen Tasmania Berlin ein Endspiel an. „Noch dreimal siegen – dann sind wir aufgestiegen!“ So hatte die Botschaft nach dem ernüchternden 0:1 im Heimspiel gegen die Bayern gelautet. Sie konnte jetzt tatsächlich Realität werden. (Fortsetzung folgt / -jf-)

Die Tabellensituation vor dem letzten Spieltag:

1.Tasmania Berlin 12:8 Tore, 6:4 Punkte

2.Borussia Neunkirchen 8:7 Tore, 6:4 Punkte

3.FC Bayern München 6:6 Tore, 5:5 Punkte

4.FC St. Pauli 7:12 Tore, 3:7 Punkte

Statistik:

FC St. Pauli – Borussia 0:1 (0:0)

FC St. Pauli: Hans-Joachim Thoms – Heinz Deininger, Peter Gehrke, Rolf Gieseler, Werner Pokropp, Rolf Bergeest, Ingo Porges, Peter Danjus, Horst Haecks, Klaus Kokoska, Peter Osterhoff. – Trainer: Otto Westphal.

Borussia: Willi Ertz – Erwin Glod, Erich Leist, Dieter Schock, Hans Schreier, Günter Schröder, Achim Melcher Karl Ringel, Horst Berg, Günter Kuntz, Elmar May. – Trainer: Horst Buhtz.

Tor: 0:1 (85.) Karl Ringel. – Schiedsrichter: Ewald Epping (Castrop-Rauxel). – Zuschauer: 7.700 im Volksparkstadion.

Herzlichen Dank an das Museum des FC St. Pauli (Thomas Glöy) für die digitale Version des Berichts zum Spiel aus dem „Hamburger Abendblatt“!