„Hinweggefegt wie gelbe Blätter im Herbststurm!“

Aus Borussias traditionsreicher Geschichte: Heute vor 53 Jahren zweistellige Niederlage (0:10) im Borusse-Duell am Gladbacher Bökelberg / Offensivspektakel der Fohlenelf überfordert die saarländische Borussia

Unser Bild: Und dieses war der fünfte Streich! Soeben landet die Lederkugel nach Günter Netzers Schuss (nicht im Bild) hinter der Torlinie. Selbst mit der rechten Hand kann Jürgen Rohweder (am Boden) das Unheil nicht mehr verhindern, zumal Gladbachs Stürmer Peter Meyer (re.) ohnehin einschussbereit gewesen wäre. (Foto: 90 Minuten – Mit Ferdi Hartung in die Bundesliga).

Desaster. Abgeleitet ist das Wort über das Französische und Italienische aus der Sprache der alten Römer. Die Vorsilbe „dis-“ bezeichnet eine Trennung, das Wort „astrum“ steht für „Stern“. Desaster bezeichnet die Trennung von einem guten Stern, von einem guten Geschick. Und das passt ganz gut zu jenem trüben Tag Anfang November, an dem Neunkirchens Borussia im Bundesligaduell mit dem Namensvetter aus Mönchengladbach auf dem Bökelberg mit 0:10 unter die Räder geriet. Dabei waren die Borussen aus dem Ellenfeld nach vier ungeschlagenen Spielen deutlich im Aufwind und entsprechend unter einem guten Stern an den Niederrhein gefahren: Einem 3:2 gegen Karlsruhe und einem 2:1 gegen den 1. FC Köln waren immerhin ein 0:0 beim Hamburger SV und ein 2:2 gegen die Frankfurter Eintracht gefolgt. Es war wieder Land in Sicht im Abstiegskampf, die MAnnschaft aus dem Ellenfeld hatte Mut geschöpft: „Es geht doch!“ Da sollte auch in Gladbach was zu holen sein, oder?

Eine halbe Stunde lang ging auch alles gut. „Die kleine Borussia baute einen Wall vor ihrem Tor auf und wies den Ansturm der großen Borussia zurück. Nach den Methoden von Guerillakriegern wagten sich dann und wann drei oder vier Saarländer in des Gegners Hälfte, wurden dort aber ebenso sicher im Vordringen gestoppt, wie die Mönchengladbacher auf der anderen Seite“, beschrieb die „Saarbrücker Zeitung“ in ihrem Spielbericht vom 6. November 1967 die Taktik der Ellenfelder. Doch dann kam der Orkan. Nach dem ersten Einschlag durch Gladbachs vierfachen Torschützen Peter Meyer, der nach einem Pfostenschuss von Egon Milder geistesgegenwärtig reagierte und das abgeprallte Leder als willkommene Vorlage zum 1:0 nutzte, brachen bei den im traditionellen Schwarz-Weiß gekleideten Borussen alle Dämme. Günter Netzers Fernschuss, der dank freundlicher Unterstützung von Keeper Willi Ertz den Weg zum 2:0-Pausenstand ins Netz fand, ließ schon erahnen, was auf die jetzt zunehmend verunsicherten Schützlinge von Trainer Zeljko Cajkovski zurollen sollte.

Alle Fäuste voll zu tun: Borussias Keeper Willi Ertz setzt sich in dieser Szene mit Herbert Laumen auseinander (oben), konnte aber nicht verhindern, dass die Gladbacher gleich zehn Mal jubeln konnten (unten). (Fotos: 90 Minuten – mit Ferdi Hartung in die Bundesliga)

Gladbachs Mittelfeldregisseur im roten Trikot mit der Nummer 10 lief nach dem Seitenwechsel zu großer Form auf: „Mit einer Drehung nach rechts oder links verschaffte sich Netzer den Spielraum, um mit weiten Pässen die Demontage der längst brüchigen Neunkircher Mauer zu vollenden“, so die „SZ“, um anschließend eine Metapher zu bemühen: „Die Abwehr der Gäste, bei anhaltendem Druck durch zurückeilende Stürmer verstärkt, wurde hinweggefegt wie gelbe Blätter im Herbststurm.“ Wimmer, Meyer und Netzer stellten das Resultat nach 55 Minuten auf 5:0. Die Weisweiler-Truppe machte mutig und wild, ungestüm und unzähmbar ihrem Spitznamen „die Fohlen“ alle Ehre – ihnen gegenüber wirkten die Borussen trotz tapferen Kampfes eher wie lahme Brauerei-Pferde vom Schloss-Bräu. Allein in den letzten 20 Minuten trafen die Bökelberger durch Peter Meyer (2), Herbert Laumen (2) und Hacky Wimmer weitere fünf Mal und begeisterten mit atemberaubenden Offensivspektakel ihre 15.00 Anhänger ein ums andere Mal. „Es konnte einen kaum trösten“, meint die „SZ“, „dass man die zweistellige Niederlage gegen die mittlerweile berühmt gewordene Torfabrik vom Niederrhein kassierte.“ Dabei war die Borussia aus dem Ellenfeld nicht das erste Team, das am Bökelberg ein Fiasko beklagte: Schon Anfang des Jahres hatten die Gladbacher die Sterne vom Himmel heruntergespielt und den Schalkern ihr „blaues Wunder“ beschert, als sie die Gäste aus dem Pott auf schneebedecktem Boden einem Blizzard gleich mit 0:11 aus dem Stadion geblasen hatten.

Trostbedürftig: Jürgen Rohweder konnte den Zuspruch seines Torwarts Willi Ertz gut gerbauchen. (Foto oben: 90 Minuten – mit Ferdi Hartung in die Bundesliga). Noch heute präsent im Fohlen-Museum und dem Gladbacher Mitglieder-Magazin: Die Kantersiege der Weisweiler-Truppe. (Fotos unten: -jf-)

Galgenhumoristen aus dem Saarland, so die „SZ“, hätten nach dem Desaster in Mönchengladbach die Frage in den Raum gestellt, ob man Neun- jetzt nicht besser in „Zehnkirchen“ umbenennen sollte. Für die Borussen von der Saar war das Debakel vom Bökelberg der Auftakt zur einer Reihe von Spielen, die die Mannschaft dem Bundesligaabgrund näher bringen sollte: 1:2 gegen Eintracht Braunschweig, 0:5 bei 1860 München, 1:5 gegen Schalke 04, 1:2 beim VfB Stuttgart – erst das 0:0 gegen Werder Bremen am letzten Spieltag der Vorrunde im Ellenfeld sollte wieder einen Punktgewinn bringen. Von einem guten Stern war die Borussia da schon weit entfernt …

Für die Borussen aus Neunkirchen waren am Ball: Willi Ertz, Peter Czernotzky, Gerd Regitz, Jürgen Rohweder, Dieter Schock, Erich Hermesdorf, Günter Kuntz, Wolfgang Gayer, Hans Linsenmaier und Hugo Ulm. Gladbachs Trainer Hennes Weisweiler („Ich bin ein Freund des Offensivfußballs!“) hatte folgender Elf vertraut: Volker Danner – Egon Milder, Rudi Pöggeler, Berti Vogts, Heinz Wittmann, Peter Diedrich, Günter Netzer, Klaus Ackermann, Herbert Laumen, Peter Meyert, Hacky Wimmer. (-jf-)

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