Einblicke in die Historie eines außergewöhnlichen Stadions

Jens Kelm und Wolfgang Rausch führen Borussias Saarlandliga-Mannschaft durch das Ellenfeld

Unser Blick: Teamfoto in luftiger Höhe – die Borussen genießen die Aussicht von der Spieser Kurve sichtlich. (Foto: -jf-)    

„Wer nicht weiß, wo er herkommt, weiß auch nicht, wo er hinwill. Unter diesem Aspekt ist es mir eine besondere Ehre, heute die erste Mannschaft der Borussia durch unser Stadion zu führen.“ Die Vorfreude ist Jens Kelm deutlich anzumerken, als der Stadionexperte, unterstützt von Wolfgang Rausch, mit diesen Worten Spieler Trainer und Co-Trainer just einen Tag vor dem 112. Geburtstag des altehrwürdigen Ellenfelds begrüßt. Traditionsgemäß hat man sich an der Fußballer-Statue getroffen, die von Karl Hock entworfen 1955 den Borussen anlässlich des 50jährigen Vereinsbestehens vom Neunkircher Eisenwerk und der Schlossbrauerei gestiftet worden war und bis heute ein Symbol für die Neunkircher Fußball-Dreifaltigkeit aus Eisen, Hütte und Bier darstellt. Gespannt lauschen nicht nur die Neuzugänge den Erläuterungen der beiden Ellenfeld-Kenner, auch manch einer von denen, die schon länger das Borussen-Trikot tragen, werden im Laufe der nächsten 90 Minuten (plus „Nachspielzeit“) in manches bislang noch nicht bekanntes Geheimnis des Stadions eingeweiht. Garniert werden die Ausführungen mit einigen Anekdoten und zahlreichen Fotos aus der 112jährigen Geschichte der Borussen-Sportstätte.

Der Weg führt die Mannschaft vor den Haupteingang, wo Jens Kelm die heraldische Besonderheit des dort angebrachten Borussen-Logos erläutert, das die preußischen Farben Schwarz und Weiß aufgreift und nach dem goldenen Schnitt gestaltet ist. Zudem hat es der Vereinsname in sich: „Das Wort `Borussia´ ist neulateinisch. `Borussia´ dient als allegorische Frauengestalt das Symbol für den Staat Preußen“, fügt der Stadionfachmann seinen Erklärungen hinzu. Im Stadioninnern stehen die Tribünen des Ellenfelds im Fokus: Die erste, 1921 aus Holz und ganz im englischen Stil errichtet, befand sich an der Stelle der heutigen Gegengeraden und wurde schon 1928 durch ein Feuer zerstört. Mit Hilfe einer Tribünengesellschaft wurde dort, wo heute die Haupttribüne steht, aus Ziegelstein eine neue Tribüne mit ca. 700 Plätzen gebaut. Der Aufstieg in die Bundesliga erforderte 1964 eine Vergrößerung auf 2300 Sitzplätze. „Die Dachkonstruktion mit der weiten Auskragung ohne stützende Pfeiler war für die damalige Zeit eine architektonische Meisterleistung und diente als Vorbild für den Tribünenbau am alten Bökelberg in Mönchengladbach“, so Jens Kelm. Nicht vielen Fußballfans ist nämlich bekannt, dass Borussias Namensvetter vom Niederrhein, der im übrigen 1965 mit Bert Vogts und Günter Netzer im Ellenfeld seine Bundesliga-Premiere feierte, im ersten Bundesliga-Jahr noch ohne überdachte Haupttribüne „in der Kull“, wie das Stadion am Bökelberg auch genannt wurde, spielte.

Sorgen mit ihren lebendigen und anschaulichen Ausführungen für viel Aufmerksamkeit bei den Borussen: Jens Kelm (oben) und Wolfgang Rausch (unten). (Fotos: -jf-)

Vor dem Gang in die luftigen Höhen der Spieser Kurve heißt es jetzt: „Bitte erst umdrehen, wenn wir oben sind!“ Für die meisten der Borussen sind die mächtigen Stehränge jedoch nichts Neues mehr, haben sie doch schon im Rahmen des Konditionstrainings ihre ganz eigenen Erfahrungen mit den recht hohen Stufen gesammelt. Dennoch: Der Blick von oben ist immer wieder beeindruckend – erst recht bei der imaginären Vorstellung, „dass ursprünglich geplant war, auch die Gegengerade auf das Niveau der Spieser Kurve hochzuziehen, um dadurch die Kapazität auf über 40.000 Zuschauer zu erhöhen. Ein Plan, der letztlich am Veto der Schlossbrauerei scheiterte, die das dafür benötigte Gelände oberhalb der Gegengeraden nicht hergab“, erklärt Jens Kelm. So bleibt das Fassungsvermögen auf 29.000 begrenzt – eine Zahl, die allerdings hin und wieder übertroffen wird: So drängen sich 1967 beim Aufstiegsspiel gegen Bayern Hof 33.000 Fans (Rekordzahl in der Ellenfeld-Historie) auf den Rängen zusammen, vier Jahre später sind es 31.000 Anhänger, die die Borussen (ebenfalls in der Bundesliga-Relegation) gegen den 1. FC Nürnberg sehen wollen.

Beim Übergang von der Westkurve zur Haupttribüne wird dann sichtbar, dass die Spieser Kurve eigentlich gar keine Kurve ist: „Eine Kurve, die nur aus geraden Betonstücken besteht“, so Jens Kelm, der wenig später auf den Ehrenplatz von Willi Ertz verweist: „Dort hat der Torwart, der mit seinen Paraden in der Aufstiegsrunde 1964 beim 2:0-Sieg in München die Stürmer des FC Bayern zur Verzweiflung brachte und zur Legende wurde, immer mit seiner Frau Gisela gesessen.“ In den dunklen Katakomben der alten Tribüne aus den 30er-Jahren können die Borussen dann die alte Geschäftsstelle (mit Holzboden) in Augenschein nehmen, wo Geschäftsführer Willi Buschbaum in die Tasten seiner Schreibmaschine hämmerte. Der nächste Blick in die Toilette der Gästekabine lässt erahnen, „dass hier so manch einer der früheren Stars vor dem Anpfiff sein `Angstpippi´ gemacht hat, wofür gerade der 54er-Weltmeister Fritz Walter bekannt war“, weiß Jens Kelm zu berichten. Aufsehen erregen auch die kärglichen Duschen: Eine ganze Mannschaft muss sich mit zwei Duschköpfen zufriedengeben! Da ist es in der 1960 eröffneten neuen Sporthalle wesentlich komfortabler. Dort sorgt das Klacken der Fußballschuhe auf dem Weg von der Kabine zum Spielfeld bei Jens Kelm noch heute für Gänsehaut-Feeling. Egal, ob die Bayern Gerd Müller, Sepp, Maie und Franz Beckenbauer, die Gladbacher Berti Vogts, Jupp Heynckes und Günter Netzer, die Kölner Wolfgang Overath und Wolfgang Weber, die Dortmunder Hans Tilkowski, Rudi Assauer und Lothar Emmerich oder Weltmeister Helmut Rahn mit dem MSV Duisburg: „Durch dene Gang sinn se alle gar gang!“

Beim Anstieg in den Orcus der Sporthalle muss manch einer den Kopf einziehen, so niedrig sind die Decken. Das Entmüdungsbecken (ohne Abfluss – Jens Kelm: „Das musste immer abgepumpt werden!“) zieht die Aufmerksamkeit ebenso an sich wie das medizinische Stanger-Bad – beides Errungenschaften, die zur damaligen Zeit selbst in der Bundesliga eher außergewöhnlich waren! Zum Abschluss des Rundgangs verweist Jens Kelm im VIP-Raum auf zwei bedeutende Fotos: Das eine zeigt den langjährigen und einflussreichen Vorsitzenden der Borussia, Kurt Gluding, der mit seinem Engagement und seiner Vorstandsmannschaft die Erfolge der 60er-Jahre erst ermöglicht hat, das andere die Finalisten im DFB-Pokal 1959, die trotz der 2:5-Niederlage gegen Schwarz-Weiß Essen für den größten Erfolg in der Historie der Borussia sorgten. „Dieses Stadion verdient höherklassigen Fußball. Mein Wunsch ist es, dass Ihr als Mannschaft diesen Einblick in die Geschichte als Motivation mit in die neue Saison nehmt und alles dafür gebt, dass das Ellenfeld bald wieder überregionalen Sport zu sehen bekommt!“ Mit diesem Appell verabschiedeten Jens Kelm und Wolfgang Rausch die Mannschaft. Die bedankte sich mit großem Beifall bei den beiden Stadion-Experten für eine Führung, die die alten Zeiten wieder lebendig machte und das Bewusstsein für die große Tradition der Borussia schärfte: „Wer nicht weiß, wo er herkommt, weiß auch nicht, wo er hinwill.“

Ob die Jungs während des Gangs durch die historische Spielstätte auch den guten Geist vom Ellenfeld, den Borussias früherer Stadionmagazin-Kolumnist Raimund Eich einmal beschrieb, aufgespürt haben? Aber davon sei später erzählt! (-jf-)

Unsere Bilder zeigen weitere Eindrücke von der Stadionführung der Saarlandliga-Mannschaft mit Jens Kelm und Wolfgang Rausch. (Fotos: -jf-)

4 Kommentare

  1. Hallo,finde diesen Rückblick sehr intressant bin 66 und lese gerne viel über Tratitionsmannschaften eine Frage an Ihren Archivar könnte mann von den Spielen der Bundesliga Aufstiegsrunde und Bundesliga Kopien der Borussen Programmhefte von damals erwerben?
    Ich wünsche der Borussia eine erfolgreiche Sasion konnte sie live in der 2.Liga Süd damals beim FV 04 Würzburg sehen.
    Mit freundlichen und sportlichen Grüßen Michael Matura, Kitzingen

    • Lieber Herr Matura,
      vielen Dank für Ihr Interesse an den Programmheften unserer Borussia, in Tat haben wir viele! Das älteste Programmheft ist vom März 1938, ein Spiel gegen Eintracht Frankfurt. Sämtliche vorhandene Hefte sind im Saarländischen Sportarchiv in Saarbrücken-Scheidt gelagert. Der zuständige Archivar ist Herr Kraus, er kann Ihnen weiterhelfen.
      Hoch lebe Eisen und Unser Ellenfeld mehr als nur ein Stadion⚒🏟⚒
      Prof. Dr. Jens Kelm
      ELLENFELD e.V.

    • Vielen Dank,
      das freut uns sehr!
      Hoch lebe Eisen und Unser Ellenfeld, mehr als nur ein Stadion ⚒🏟⚒
      Prof. Dr. Jens Kelm
      ELLENFELD e.V.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*