Die Gnade des hohen Alters: Ein Meistertrainer der Borussia ist 90!

Unser Bild: Gleich geht´s los! Trainer Erwin Türk (re.) mit seinen Schützlingen vor Spielbeginn im Ellenfeld. (Foto: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)

Er erlebte mit der Borussia die vielleicht aufregendste Meisterschaft in der Historie. Am 1. Mai 1974 waren die Hoffnungen auf den Titelgewinn in der Regionalliga Südwest (damals 2. Liga) im Ellenfeld nicht besonders groß. Zwar konnten die Borussen gegen den ASV Landau ihr letztes Saisonspiel mit 4:0 gewinnen, doch gleichzeitig musste Tabellenführer 1. FC Saarbrücken zuhause gegen den VfB Theley schon verlieren, damit die Borussen auf den letzten Metern noch vorbeiziehen könnten. Was keiner gedacht hätte, geschah tatsächlich: Die Schaumberg-Elf siegte im Ludwigspark mit 1:0, im Ellenfeld brachen regelrechte Jubelstürme aus. Mittendrin: Erwin Türk. In den vergangenen Tagen wurde Borussias Meistertrainer stolze 90 Jahre alt. Ob er da noch einmal an diesen Mai-Feiertag gedacht hat? Borussia jedenfalls gratuliert Erwin Türk und wünscht von Herzen alles Gute!

Dabei wäre Erwin Türk in jungen Jahren beinahe gar kein Fußballer geworden! Handball war seine Leidenschaft, der er in seiner Heimatstadt Bielefeld beim TuS Ost nachging. Dort bekam der kleine Erwin vom Kaufman um die Ecke den geschichtsträchtigen Spitznamen „Ata“, der an den türkischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk (1881 – 1938) erinnerte. Erst mit 15 erwachte sein Interesse für den Fußball, beim VfB Bielefeld nahm die Karriere Fahrt auf. 23jährig folgte Erwin Türk 1957 dem Ruf des VfL Osnabrück. Erster großer Erfolg: Der Gewinn des Nordpokals mit einem spektakulären 3:2-Sieg gegen den großen Hamburger SV. Erwin Türk hatte sich zu einem erstklassigen, extrem zweikampfstarken und voraus schauend agierenden Verteidiger entwickelt. Nach insgesamt 168 Spielen und 9 Toren im lila-weißen Trikot musste Erwin Türk wegen einer Meniskusoperation 1964 seine Karriere als Vertragsspieler beenden und kehrte als Amateur zu seinem Heimatverein VfB Bielefeld zurück. Dort war er bald wieder, wie er erzählt, „trotz eines Hinkebeins Stammspieler“, es gelang sogar der Aufstieg und Erwin Türk wurde noch einmal in die Westfalenauswahl berufen. Als es gar nicht mehr ging, übernahm er den VfB Bielefeld als Trainer. Von dort ging es weiter zum FC St. Pauli, am Millerntor stand Erwin Türk drei Jahre in der Verantwortung (1968 – 1971), kreuzte in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga mit der Borussia die Klingen: Im Ellenfeld siegten die Borussen 3:0, am Millerntor waren Türks St. Paulianer mit 2:1 erfolgreich.

Anschließend kehrte er auf die Trainerbank nach Osnabrück zurück, führte auch den VfL in die Aufstiegsrunde zur Bundesliga. Auch hier gab es wieder Duelle mit der Borussia: Im Sommer 1972 siegte der VfL an der Bremer Brücke mit 2:0, im Ellenfeld dagegen behielten die Borussen mit dem gleichen Ergebnis die Oberhand. Ob es ihm in der Hüttenstadt gut gefallen hat? Jedenfalls übernahm Erwin Türk 1973 die Borussia, führte die Ellenfelder nach verkorkster Hinrunde noch auf den fünften Tabellenplatz, ehe ein Jahr später (1974) der Titelcoup gegen den alten Rivalen aus der Landeshauptstadt gelang. Doch ein Bundesliga-Aufstieg blieb Erwin Türk und seinen Schützlingen versagt: Gegen Tennis Borussia Berlin, den FC Augsburg, Rot-Weiß Oberhausen und Türks Ex-Club St. Pauli landeten die Borussen in der Relegationsrunde auf Platz 4, hatten sich aber für die neu eingerichtete 2. Bundesliga-Süd qualifiziert. Dort mussten die Türk-Männer schwere Brocken schlucken: Der Karlsruher SC, die Münchner Löwen, der 1. FC Nürnberg – allesamt Ex-Bundesligisten und deutsche Meister in bester Verfassung. Borussia schaffte den Klassenerhalt nicht. Erwin Türk verließ im Sommer 1975 das Ellenfeld, Nachfolger Stefan Abadijew übernahm.

Erwin Türk (2. von re.) und Co-Trainer Günther Kuntz (hinten 2. v. li.) und ihre Jungs vor dem Aufwärmen beim Spiel (oben) und freudestrahlend beim Abgang (mit Heinz Histing und „Jupp“ Henkes) nach einem erfolgreichen Spiel (unten). (Fotos:  Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)

Doch Erwin Türk, der immer wieder mit Verletzungsproblemen zu kämpfen hatte und nach mehreren OPs schließlich mit einem steifen Bein leben muss, blieb nicht lange untätig. Seine erfolgreiche Arbeit hatte sich herumgesprochen, er war beim 1. FC Kaiserslautern als Nachfolger von Erich Ribbeck im Gespräch, dem Vernehmen nach war er sogar bei Branchengrößen wie Borussia Dortmund und Bayern München, wo Dettmar Cramer ihn als Manager auf dem Zettel hatte, ein Thema. Doch engagiert hat ihn der damalige Zweitligisten Eintracht Bad Kreuznach. Hier eröffnete sich eine zweite berufliche Perspektive: In seiner Jugend hatte der junge Erwin Türk eine Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann absolviert, trat aber in die Fußstapfen seines Vaters und wurde Nähmaschinenmechaniker, später Außendienstmitarbeiter der Allianz. In Bad Kreuznach nahm Weingut-Besitzer Elmar Pieroth, zugleich Hauptsponsor der Eintracht, den vielseitigen Fußball-Lehrer als Verkaufsleiter in seinen Mitarbeiter-Stab auf. In ostfriesischen Leer baute er einen Kundenstamm auf, dort lebte er mit Ehefrau Wilma bis zu seinem Ruhestand. Mit alkoholischen Getränken hatte er übrigens schon in seiner Heimatstadt zu tun: In Bielefeld betrieb Türk eine Zeitlang die Gaststätte „Ata“, die eigentlich für 50 Personen konzipiert war. „Aber da kamen immer viel mehr“, verriet er einmal, „wir haben im Monat 28 Hektoliter Bier ausgeschenkt.“

Als Fußballtrainer galt Erwin Türk als Disziplin-Fanatiker. Den Vorwurf, seine Mannschaften allzu defensiv ausgerichtet zu haben, bestritt er immer wieder: „Wer Meister werde und aufsteigen will, darf gar nicht defensiv spielen. Aber ein Konzept muss er schon haben“, meinte er, wobei der gewiefte Coach natürlich schon den Gedanken im Hinterkopf hatte, dass man mit der Offensive Spiele, aber mit der Defensive Meisterschaften gewinnt. Der Mensch Erwin Türk hat trotz aller gesundheitlicher Probleme seinen Humor nie verloren, kann richtig leidenschaftlich über Fußball sprechen und hat dabei mehr Anekdoten zu erzählen als viele andere. Erwin Türk scheint ein Elefantengedächtnis zu haben: Der Ex-Trainer erinnert sich an kleineste Details, hat Aufstellungen und Resultate in seinem privaten Archiv ebenso wie im Kopf gespeichert. „Seinen ersten Trainervertrag zaubert er daraus ebenso hervor wie jahrzehntealte Briefe, Dokumente und Notizen“, heißt es in einem Zeitungsartikel der „Neuen Westfälischen“ 2014 anlässlich seines 80 Geburtstages. Darin berichtet er auch vom „Meniskus, den man mir bei meiner ersten Knie-OP entfernt hat. Den habe ich mitgenommen, er steht heute noch in einem Glas mit Spiritus in meinem Badezimmer.“ Typisch Erwin „Ata“ Türk!

Die Borussia denkt gerne an die erfolgreiche Zeit mit Erwin Türk zurück. Besonders gerne an jenen 1. Mai vor 50 Jahren im Ellenfeld, den Tag, an dem Erwin Türk seine vielleicht aufregendste Meisterschaft gewonnen hat. Herzlichen Glückwunsch, Erwin „Ata“ Türk, zum seltenen (90.) Geburtstag, alles Liebe und Gute, vor allem Gesundheit! (-jf-)

Untenstehend: Erwin Türk und seine Borussen-Teams im Ellenfeld. (Fotos: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen)

 

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