Der gute Geist vom Ellenfeld

Happy birthday, Ellenfeld! Heute vor 112 Jahren wurde das traditionsreiche Stadion in Neunkirchen im Jahr der olympischen Spiele in Stockholm 1912 mit einer nationalen Olympiade offiziell eröffnet. Auch wenn der Fußball natürlich im Zentrum stand, so ruhte doch bei der Einweihung der Ball: „Der Borussia-Sportplatz soll eine Werbefläche für die bürgerliche Sportbewegung werden“, schreiben Jens Kelm und Tobias Fuchs in ihrem Jubiläumsbuch „100 Jahre Ellenfeld-Stadion“.

Im Gegensatz zu den modernen und auf der grünen Wiese, meist weit weg von Wohngegenden (und den Herzen der Menschen?) errichteten Fußballarenen, die den Zuschauern zwar viel Komfort bieten, aber in ihrer einheitlichen Architektur kaum voneinander zu unterscheiden sind und zudem oft im Jahrestakt ihren Namen wechseln, ist das Ellenfeld-Stadion in seinem Ensemble eine Rarität und als Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit geradezu ein Magnet für Fußballromantiker und Nostalgiker. „Unser Ellenfeld – mehr als nur ein Stadion“ haben sich all diejenigen auf ihre Fahnen geschrieben, die in der altehrwüdigen Sportstätte nicht bloß einen Ort zum Fußballspielen sehen, sondern einen Ort der Begegnung, an dem die Menschen das Geschehen auf dem Platz zu einem Ereignis gemacht haben, lange bevor das Fernsehen es zu einem „Event“ getrimmt haben. Ein Ort, an dem Legenden der Leidenschaften entstanden sind, die die Besucher zur ständigen Wiederkehr animieren. Gemeinsame Freude, geteiltes Leid, Erinnerungen an große Siege, aber auch bedeutende Niederlagen, die sich auf ewig in die verwitterten Betonstufen schürfen, und die damit verbundenen Emotionen machen das Ellenfeld-Stadion zu einem Mikrokosmos, der manchem Fan fast so vertraut ist wie die eigenen vier Wände.

Der Geburtstag des Ellenfelds mag die Frage aufwerfen: Haben auch Räume, haben auch Stadien eine Seele? Dem menschlichen Körper wird eine Seele zugeschrieben, auch den Tieren. Bäume hätten Seelen, sagt man. Und in bestimmten Kulturkreisen gilt die gesamte Natur als beseelt. Die Seele ist ein Ort des Fühlens und Denkens. Was aber wäre dann mehr ein Ort der Seele als ein Stadion, in dem sich jedes Wochenende menschliches Fühlen, garniert mit ein bisschen Denken, ballt. Glaube keiner, ein Stadion werde seine Seele los, wenn die Scharen nach 90 und mehr Minuten wieder von dannen ziehen! Das Ellenfeld ist ein Ort der Fußballkultur mit eigenem Gesicht, mit eigenem Klang und eigener Seele. Ein Ort, der Heimat und Identifikation bietet. Dirk Zingler, der Präsident des Bundesligisten Union Berlin, spricht von der „Freude am echten Erleben“, von der „Sehnsucht nach einem Ort, der etwas mit einem selbst zu tun hat“. Ähnlich wie die Fans der Ostberliner, die vor Jahren beim Stadionumbau selbst mitanpackten, engagieren sich auch im Ellenfeld zahlreiche Menschen – sei es bei der Reinigung der Stehtraversen in Block 5, sei es bei der regelmäßigen Unkrautbekämpfung des ursprünglich als Erdstadions angelegten Sportstätte, sei es bei der Gestaltung der Betonwand vor der Haupttribüne oder bei Aufräumarbeiten in den Räumen im Bauch der Sporthalle und anderem mehr. „Seit 1920 wird an der Alten Försterei Fußball gespielt. Das kann man doch nicht einfach so wegwischen“, sagt Dirk Zingler. Seine Worte lassen sich eins zu eins auf das Ellenfeld-Stadion übertragen.

Auf die Frage, ob auch das Ellenfeld-Stadion eine Seele besitzt, kann Raimund Eich, der frühere Kolumnist des Stadionmagazins „Blick ins Ellenfeld“ zwar auch keine schlüssige Antwort geben. Doch er glaubt zumindest, dass in den alten Gemäuern ein guter Geist zuhause ist. Einer der sehnsüchtig darauf wartet, aufgeweckt, wiederbelebt zu werden. Anlässlich des 112. Geburtstages des Stadions hier Raimund Eichs kleine Geschichte:

„Kennt ihr eigentlich die Geschichte über den guten Geist vom Ellenfeld? Nein? Jammerschade, aber kein Problem, dann will ich sie hier ganz kurz erzählen. Man munkelt nämlich, dass in den Katakomben des altehrwürdigen Ellenfeldstadions noch immer ein Fußballgeist haust, der die Borussen in den sechziger Jahren sozusagen als guter Geist vom Ellenfeld bei ihren großen Erfolgen unterstützt und begleitet hat.

Erfolge gab es damals bekanntlich noch viele zu feiern. Dass die Borussen in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga 1964 den heute weltweit renommierten und ruhmreichen FC Bayern München hinter sich gelassen haben, ist aber längst Fußballgeschichte. Auch dass Fußballgrößen wie Stefan Kuntz und Jay Jay Okocha, um hier nur zwei zu nennen, die Grundlagen für ihre internationalen Karrieren im Neunkircher Ellenfeldstadion gelegt haben, ist leider auch schon längst in Vergessenheit geraten.

Jedenfalls gab es in den Goldenen Zeiten häufig Grund zum Feiern, und von der damals nahen Schlossbrauerei floss der Gerstensaft in Strömen. Auch unser guter Geist hatte sich über die zahlreichen Zuschauer, die phantastische Stimmung im heimischen Ellenfeldstadion und die vielen Siege, Meisterschaften und Pokale immer riesig gefreut. Und nachts, wenn ihn niemand dabei beobachten konnte, hatte er klammheimlich von der nahen Schlossbrauerei das eine oder andere Bierfass über die Wiese zwischen Brauerei und Stadion, vorbei an den in Vereinsfarben gefleckten Kühen, bis hinunter ins Ellenfeld kullern lassen.

Zusammen mit dem großen Fußballer, der noch heute als Denkmal vorm Ellenfeldstadion steht, hatte er dann im Ellenfeld zünftig gezecht und gefeiert. Doch als bei der Schlossbrauerei auf dem Büchel allmählich die Lichter ausgingen und auch die Erfolge für die Borussen auf dem grünen Rasen mehr und mehr ausblieben, wurde es still im Ellenfeld. So wurde auch der gute Geist vom Ellenfeld immer trauriger und einsamer und zog sich immer tiefer in die Katakomben unter der großen Tribüne zurück. Dort trauert er angeblich noch heute den guten alten Zeiten nach. Nur noch selten trifft er sich nachts im Ellenfeld mit dem Fußballer, der dann seinen Sockel vorm Stadion unbemerkt verlässt. Zusammen schlendern sie dann über den Rasen und schwärmen von den glorreichen alten Zeiten, bis die Morgendämmerung anbricht, der Fußballer wieder seinen Platz auf dem Sockel einnimmt und der gute Geist wieder unbemerkt in den Katakomben verschwindet.

Fürwahr eine traurige Geschichte, aber vielleicht wird der gute Geist vom Ellenfeld ja irgendwann von jungen und erfolgshungrigen Fußballern der Borussia wieder aus seiner Lethargie unter der Stadiontribüne zu neuem Leben erweckt. Es gilt übrigens als gesichert, dass auch der Fußballer vorm Ellenfeld schon sehnsüchtig darauf warten soll.“

Happy birthday, Ellenfeld-Stadion! (-jf- / Vielen Dank an Raimund Eich für die Bereitstellung seiner kleinen Geschichte!)

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