Aus der Historie – Borussia steigt in die Bundesliga auf / Kleine Serie, Teil 2 – heute vor 60 Jahren: 4:1 gegen den FC St. Pauli / Borussen geben richtige Antwort auf das 1:5 von Berlin / Schachzug von Trainer Horst Buhtz mit Stürmer Horst Berg
Unser Bild: In der Ruhe liegt die Kraft! In der Einsamkeit des Kirkeler Waldes sammelten sich die Borussen vor dem schon vorentscheidenden zweiten Spiel gegen den FC St. Pauli. (Foto: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Mit reichlich viel Frust waren die Borussen aus Berlin heimgekehrt. Die 1:5-Niederlage bei Tasmania nagte am Selbstbewusstsein. Jetzt war Trainer Horst Buhtz vor allem als Psychologe gefragt. Erste Maßnahme: Rückzug der Mannschaft in das Schulungsheim der Arbeitskammer im Kirkeler Wald. Dort besannen sich die Mannen um Kapitän Karl Ringel wieder auf ihre Stärken und beschworen den Teamgeist, während der Coach an der Aufstellung für das Heimspiel gegen Nordmeister FC St. Pauli tüftelte.
Die Gäste aus Hamburg hatten unter ihrem neuen Trainer Otto Westphal, der zuvor die Nationalmannschaft von Togo betreut hatte, mit zwei Zählern Vorsprung vor Hannover 96 den Titel gewonnen, waren gegen den ernsthaftesten Konkurrenten in der Regionalliga-Saison zweimal unbesiegt geblieben (4:3, 0:0). Doch ebenso wie die Borussen waren sie am ersten Spieltag der Aufstiegsrunde unter die Räder gekommen: Das 0:4 im eigenen Stadion am Millerntor, das erst im November 1963 nach Neugestaltung eingeweiht worden war, hatte den Hoffnungen auf den Sprung in die Bundesliga einen argen Dämpfer versetzt. Im nun bevorstehenden Duell der Prügelknaben aus Runde 1 waren beide Teams praktisch gezwungen zu punkten, sofern man das Aufstiegsziel nicht schon vorzeitig begraben wollte.
Bei den Borussen war nach dem 1:5 in Berlin eine Torwartdiskussion entbrannt. „Willi Ertz und Horst Kirsch – beide gleich stark in ihren Vorzügen wie anfällig in ihren Schwächen – wurden von Trainer Horst Buhtz gegeneinander ausgespielt“, bewertet Max Klein, ehemaliger Redakteur der „Saarbrücker Zeitung“ (SZ) im Jubiläumsbuch zum 100jährigen Bestehen der Borussia („Mythos Ellenfeld“), die damalige Konkurrenz-Situation: „Wer patzt, fliegt! Die Tagesform entschied.“ So nahm der Borussen-Coach nach dem Desaster von Berlin einen Wechsel zwischen den Pfosten vor: Willi Ertz wurde zweite Wahl, Horst Kirsch durfte ran. Zudem übernahm Hennes Schreier die Position von Achim Melcher, für Heinz Simmer stürmte Horst Berg, der 1962 vom SSV Troisdorf ins Ellenfeld gekommen war und im Borussen-Trikot bereits in den Endrunden-Spielen um die Deutsche Meisterschaft erfolgreich mitgewirkt hatte.
Für die Heimspiele wich die Borussia wegen der zu geringen Kapazität des damals noch nicht ausgebauten Ellenfeld-Stadions nach Saarbrücken aus. 25.000 Anhänger hatten trotz des Dämpfers in Berlin den Glauben an ihre Borussen noch nicht aufgegeben und waren an jenem 10. Juni nicht nur aus Neunkirchen in den Ludwigspark gepilgert. Sie sahen angesichts der Bedeutung des Spiels eine eher fahrige Partie: „Weder die Hüttenstädter noch die Truppe aus dem Hamburger Stadtteil konnten die Zuschauer überzeugen, dass hier zwei potentielle Bundesligisten gegeneinander antraten“, resümierte SZ-Redakteur Max Klein. Als Schiedsrichter Weyland aus Oberhausen zur Halbzeit pfiff, hatten die Borussen knapp die Nase vorn: Günter Kuntz hatte mit einem Volleyschuss nach etwa einer halben Stunde die Borussen auf Kurs gebracht und die 1:0-Führung erzielt. Doch die Gäste kamen entschlossener aus der Kabine zurück und folgerichtig durch Peter Osterhoff gleich zum verdienten Ausgleich (51.).
Freud und Leid: Gerade schlägt der Schuss von Paul Pidancet (re.) hinter St. Paulis Torhüter Thoms zum 3:1 im Netz ein, während Kapitän Ingo Porges der Schreck ins Gesicht geschrieben steht (oben). Unter dem Strich streckten sich die Hamburger im Ludwigspark trotz guter Leistung vergeblich und blickten reichlich konsterniert der Niederlage entgegen (unten). (Fotos: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Was nun, Borussia? Das fragten sich die 25.000 im Ludwigspark, die jetzt sogar den bangen Eindruck gewannen, als könnten die Mannen vom Millerntor mit ihrem zügigem Flügelspiel die Begegnung drehen. Aber ein Neunkircher Doppelschlag stellten die Weichen für Borussia auf Sieg: Zehn Minuten nach dem Ausgleich (61.) sorgte Horst Berg für die erneute Führung, der Paul Pidancet wiederum nur zwei Zeigerumdrehungen später mit sattem Schuss das 3:1 folgen und die Aufstiegshoffnungen im Stadion wieder steigen ließ (63.). Spätestens mit dem 4:1 durch Horst Berg war dann „de Käs gess“ – „ein Endergebnis, das sehr viel deutlicher aussah, als es das Spiel bei der phasenweise Überlegenheit der St. Paulianer gewesen war“, bilanzierte Max Klein (SZ). Wie dem auch sei: Borussen-Coach Horst Buhtz durfte sich in seinen Personalrochaden bestätigt sehen: Horst Kirsch wirkte sehr zuverlässig, Hennes Schreier lieferte eine solide Partie. Als Knaller hatte sich Mittelstürmer Berg erwiesen, der nicht nur durch seine zwei blitzsauberen Treffer seine Berücksichtigung mehr als nur rechtfertigen konnte und die Borussen aus dem Tal heraus Richtung „Berg-Fahrt“ lenkte.
Die Aufstiegsfrage war nun nach der zweiten Runde wieder offen, zumal die Bayern in ihrem Heimspiel gegen erneut überraschend starke Tasmanen aus Berlin nicht über ein 1:1 hinausgekommen waren, dabei sogar nach Helmut Fiebachs Führung für die Berliner (23.) bis zur 77. Minute warten mussten, ehe Dieter Brenninger der Ausgleich gelang. Eben diese Bayern waren jetzt zweimal hintereinander Gegner der Borussia: Es sollten denkwürdige Begegnungen werden, die in die Annalen beider Vereine eingingen. Doch das konnte zum damaligen Zeitpunkt noch keiner ahnen. (-jf-/ Fortsetzung folgt)
Die Tabelle der Aufstiegsrundengruppe 2 nach dem 2. Spieltag:
1.Tasmania Berlin 6:2 Tore / 3:1 Punkte
2.FC Bayern München 5:1 Tore / 3:1 Punkte
3.Borussia Neunkirchen 5:6 Tore / 2:2 Punkte
4.FC St. Pauli 1:8 Tore / 0:4 Punkte
Statistik: Borussia – FC St. Pauli 4:1 (1:0)
Borussia: Horst Kirsch – Erwin Glod, Erich Leist, Dieter Schock, Hans Schreier, Günter Schröder, Karl Ringel, Horst Berg, Günter Kuntz, Elmar May, Paul Pidancet. – Trainer: Horst Buhtz.
FC St. Pauli: Hans-Joachim Thoms, Heinz Deininger, Peter Gehrke, Rolf Gieseler, Werner Pokropp, Rolf Bergeest, Ingo Porges, Guy Acolatse, Peter Danjus, Horst Haecks, Peter Osterhoff. – Trainer: Otto Westphal.
Tore: 1:0 (28.) Günter Kuntz, 1:1 (51.) Peter Osterhoff, 2:1 (61.) Horst Berg (61.), 3:1 (63.) Paul Pidancet, 4:1 (73.) Horst Berg. – Schiedsrichter: Hans-Joachim Weyland (Oberhausen). – Zuschauer: 25.000 im Saarbrücker Ludwigspark.