
Vor 60 Jahren: Borussia schlägt Schalke 04 in einem regelrechten Krimi mit 3:2 und verschafft sich vorübergehend etwas Luft im Kampf um den Erhalt der Bundesliga
Unser Bild: Die Protagonisten des Spiels in Aktion – Schalkes Torwart Gyula Toth begräbt das Leder unter sich, bevor Günter Heiden (li.) und Heinz Simmet (im Hintergrund) eingreifen können. Libero Friedel Rausch sichert seinen Torhüter ab. (Foto: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Schlüsselspiele im Kampf um den Klassenerhalt erwarteten den Bundesliga-Aufsteiger aus dem Ellenfeld in den Frühlingstagen vor 60 Jahren. Zwar rangierten die Schützlinge von Trainer Horst Buhtz vor dem 25. Spieltag mit 19:29 Zählern auf Rang 13, doch die Abstiegsplätze, eingenommen vom Karlsruher SC und Schalke 04, waren nur ein winziges Pünktchen entfernt. Und ausgerechnet die Knappen und der KSC waren jetzt die nächsten Gegner der Borussia, die nach der vorangegangenen unnötigen 2:4-Niederlage bei 1860 München unter Druck stand. Wir blicken heute auf die Partie gegen Schalke 04 zurück.
„Drei Ecken, Elfer!“ Wer kennt sie nicht aus Kinder- und Jugendtagen, diese alt Bolzplatz-Regel! Für das Spiel der Borussia Ende März 1965 gegen Schalke 04 gilt eine leicht abgewandelte Form: „Drei Ecken, drei Tore!“ Denn es waren die Eckstöße von Neunkirchens „blondem Engel“ Elmar May, die in jenem packenden Kampf zwischen den Königsblauen aus dem Ruhrpott und den Schwarz-Weißen aus der Hüttenstadt, die aufgrund ihrer Bergbau-Tradition ja auch das „Schalke des Südwestens“ genannt wurden, die Entscheidung brachten.

Zuverlässiger Schalke-Keeper: Gyula Toth schnappt sich das Leder, Borussias Günter Kuntz kommt vor der beeindruckenden Kulisse auf der Baustelle Ellenfeld um Sekundenbruchteile zu spät. (Foto: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Die 25.000 Zuschauer erlebten auf der Baustelle Ellenfeld (die Dachkonstruktion der neuen Haupttribüne gerade erst im Entstehen!) gleich zu Beginn einen Paukenschlag, als Schalkes Manfred Kreuz einen wohlgezielten Hammer auspackte und das Leder aus gut 20 Metern mit einer Vehemenz in die Maschen donnerte, dass Horst Kirsch im Borussen-Tor Hören und Sehen verging: 0:1 – genau das hatten Horst Buhtz und seine Mannen verhindern wollen! Die Gäste „stürmten jetzt auch weiterhin mit aller Macht“, weiß der „Kicker“ zu berichten, „und das war gewiß richtig, denn die Borussen-Abwehr war zu dieser Zeit alles andere als ein festgefügter Block, und der noch lädierte Torwächter Kirsch schien ein Nervenbündel zu sein.“ Da war es geradezu ein Segen für die Borussia, dass schon nach knapp 10 Minuten Erwin Glod per Kopf einen famosen Eckball von Elmar May zum Ausgleich ins Tor lenkte. Während das Schalker Spiel nach wie vor flüssiger lief, mussten sich die Borussen ins Spiel hineinkämpfen. Eine Wende erhielt die Partie nach etwa 30 Minuten: Schalkes Mittelfeldregisseur Günter Herrmann hatte sich ohne gegnerische Einwirkung eine Zerrung im Oberschenkel zugezogen und absolvierte die restliche Spielzeit mehr hinkend als laufend – eine Auswechslung war damals noch nicht möglich! Und da die Borussen-Abwehr mittlerweile an Zuverlässigkeit gewonnen hatte, neigte sich die Waage jetzt zugunsten der Ellenfelder.
Die nahmen nach dem Seitenwechsel, von Coach Buhtz neu justiert, wie erwartet das von Gyula Toth gut gehütete Tor der Knappen unter Beschuss. Schalke wurde jetzt regelrecht in der eigenen Hälfte eingeschnürt. „In eine großartige Form steigerte sich vor allem Heiden, der einem Willi Schulz in bester Form alles abverlangte und ein ums andere Mal von links her in die Schalker Deckung einbrach“, ist im Archivbericht des „Kicker“ nachzulesen. Das Fachmagazin hebt auch Elmar May hervor, der trotz hautenger Bewachung von Friedel Rausch Torhüter Toth mit kraftvollen Schüssen herausgefordert habe. Als Günter Kuntz einen weiteren May-Eckball zum 2:1 verwertet hatte, schienen die Borussen endgültig auf die Siegerstraße eingebogen zu sein. Aber der listige Waldemar Gerhardt sah Horst Kirsch weit vor dem Tor stehen und schon hatten die Schalker den Gleichstand geschafft! In der Schlussphase bliesen die Borussen zum Generalangriff, im Strafraum der Blauen wurde es turbulent. Als Günter Heiden Heinz Simmets präzise Flanke zunächst an die Latte knallte und den Abpraller genau auf Torhüter Toth platzierte, sodass der abwehren konnte, rauften sich die 25.000 die Haare (85.). Sollte es das jetzt gewesen sein? Doch die Rechnung der Gäste, die jetzt auf den einen Punkt hoffen konnten, war ohne Elmar May gemacht. Der servierte zwei Minuten vor dem Abpfiff – nach dem Motto: Aller guten Dinge sind drei! – erneut einen Eckball, diesmal auf Günter Heiden, der seine herausragende Leistung („Kicker“-Note: 1 – als einziger aller Akteure!) nun endlich mit einem Tor krönte und den Borussen-Anhang erlöste.

Höchste Gefahr: Im letzten Moment spitzelt Schalkes Nationalspieler Willi Schulz (im Liegen) Borussias Elmar May den Ball vom einschussbereiten Fuß. (Fotos: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Die Stimmung nach den 90 Minuten in den Kabinen konnte natürlich nicht unterschiedlicher sein. S04-Ikone Fritz Szepan lächelte trotz der Last-minute-Niederlage zwar nach wie vor in aller Freundlichkeit, bedauerte aber vor allem die Verletzung von Mittelfeldakteur Günter Herrmann und meinte, Schalke sei derzeit wirklich „vom Glück verlassen: Denn mit elf gesunden Spielern wäre ein Punkt hier drin gewesen!“ Ins gleiche Horn blies auch Schalke-Coach Fritz Langner: „Der Ausfall Herrmanns hat uns einen Punkt gekostet!“ Auf die jetzt noch verbleibenden Chancen auf den Liga-Erhalt angesprochen, zeigte sich Langner skeptisch: Man habe jetzt nur noch geringe Aussichten, die beiden folgenden Heimspiele gegen Bremen und Meiderich hoffe man dennoch zu gewinnen.
Ganz anders die Atmosphäre bei Borussia. Präsident Norbert Engel schwärmte von der Moral seiner Truppe: „Die Mannschaft hat bis zum Umfallen gekämpft und sich den Sieg hochverdient.“ Trainer Horst Buhtz sprach von „einem für Schalke durchaus tragischen Spielverlauf“, hielt den Erfolg der Borussen aber ebenfalls für berechtigt: „Wir haben uns eine große Anzahl an Torchancen erspielt.“ Horst Kirsch habe er trotz seiner schmerzhaften Schulterprellung aufgestellt, ja aufstellen müssen, da Willi Ertz sich beim Aufwärmen am Wadenmuskel verletzt habe.

Riesenfreude beim Borussen-Anhang über den eminent wichtigen 3:2-Sieg gegen Schalke. (Foto: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)
Mit dem Sieg gegen Schalke konnte sich Borussia im Abstiegskampf etwas Luft verschaffen und mit jetzt 21:29 Punkten einen Rang (am 1. FC Kaiserslautern vorbei) vorrücken. Doch weiterhin war höchste Wachsamkeit angesagt! Denn bereits eine Woche später sollte mit der Partie im Karlsruher Wildpark-Stadion der nächste direkte Konkurrent, der KSC, warten, der nach einer 1:5-Pleite bei Borussia Dortmund auf den letzten Platz abgerutscht war. Aber angeschlagene Boxer sind bekanntlich besonders gefährlich – genau das sollte die Borussia auch zu spüren bekommen! (-jf-)
Statistik: Borussia Neunkirchen – FC Schalke 04 3:2 (1:1)
Borussia: Horst Kirsch – Erich Leist, Hans Schreier, Günter Schröder, Erwin Glod, Achim Melcher, Dieter Schock, Günter Heiden, Günter Kuntz, Elmar May, Heinz Simmet. – Trainer: Horst Buhtz.
Schalke: Gyula Toth – Uwe Kleina, Hans Nowak, Friedel Rausch, Willi Schulz, Heinz Crawatzo, Günter Herrmann, Günter Karnhof, Manfred Kreuz, Karl-Heinz Bechmann, Waldemar Gerhardt. – Trainer: Fritz Langner.
Tore: 0:1 (4.) Manfred Kreuz, 1:1 (9.) Erwin Glod, 2:1 (70.) Günter Kuntz, 2:2 (78.) Waldemar Gerhardt, 3:2 (88.) Günter Heiden. – Schiedsrichter: Kurt Tschenscher (Mannheim). – Zuschauer: 25.000.
Unsere Bilder zeigen weitere Impressionen vom Spiel der Borussia vor 60 Jahren gegen den FC Schalke 04. (Fotos: Ellenfeld-Verein e.V. / Archiv Borussia Neunkirchen Hartung)








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